Enteignen, nicht verschleppen!

Wohnen Die neuen Regierungen in Berlin und im Bund wollen die Wohnungskrise durch Bauen lösen. Das muss scheitern. Was bräuchte es wirklich?
Ausgabe 04/2022
Hallo Frau Giffey, wollen Sie wirklich einen Volksentscheid ignorieren?
Hallo Frau Giffey, wollen Sie wirklich einen Volksentscheid ignorieren?

Foto: Imago Images

Seit dem 21. Dezember ist der neue Berliner Senat unter Franziska Giffey (SPD) als Regierender Bürgermeisterin im Amt. Doch erst jetzt legte die rot-grün-rote Regierung ein 100-Tage-Programm mit Meilensteinen vor. Unter Punkt 32 liest man da von einer geplanten Expertenkommission, die den Volksentscheid über die Enteignung von Deutsche Wohnen & Co „prüfen“ soll. Zur Erinnerung: Am 26. September hatten 57,6 Prozent bei 73,5 Prozent Wahlbeteiligung in Berlin dafür gestimmt, große private Wohnungsunternehmen mit mehr als 3.000 Wohnungen zur vergesellschaften. Die neue Berliner Regierung muss damit nun umgehen. Ihre Antwort bisher: die Expertenkommission. Erst Ende März wird bekannt sein, wie genau dieses Gremium tatsächlich arbeiten wird. Klar ist allerdings bereits jetzt, dass die auf ein Jahr angesetzte Kommission den Entscheid eher verschleppen als tatsächlich umsetzen wird. Denn den Volksentscheid befürwortet hatte nur die Linke.

Zeitgleich werden gleich zwei wichtige Vorhaben der Wohnpolitik in der Senatskanzlei direkt angesiedelt und, wie Franziska Giffey ankündigte, zur „Chefinnen-Sache“ gemacht: ein Bündnis für Wohnungsneubau und soziales Wohnen mit den Immobilienunternehmen selbst und eine weitere Senatskommission zum Wohnungsbau. Die Prioritäten sind klar gesetzt: Sie liegen nicht auf der Sicherung des Wohnungsbestands, geschweige denn der politischen Hoheit über den Mietenmarkt, sondern auf der Zusammenarbeit mit den Unternehmen an einem Runden Tisch.

Währenddessen kündigen die Wohnkonzerne Deutsche Wohnen, Vonovia und Heimstaden Mieterhöhungen an. Der geplanten Übernahme von Deutsche Wohnen durch Vonovia steht außerdem nichts mehr im Wege. Zusammen gehören ihnen 550.000 Wohnungen im Wert von 80 Milliarden Euro, davon die meisten in Deutschland. Auf diese Weise wird Vonovia zum größten privaten Wohnkonzern Europas.

Statt diese Mega-Unternehmen zu regulieren, setzen sowohl der Berliner Senat als auch die frisch angetretene SPD-Bauministerin Klara Geywitz auf den Wohnungsbau. Sie folgen damit dem Mantra „Bauen, Bauen, Bauen“. Die ehemalige Co-Kandidatin von Olaf Scholz für den SPD-Parteivorsitz hält an seinem viel gepriesenen Hamburger Modell fest, das allerdings nachweislich gescheitert ist. Denn Hamburgs Mieten stiegen in den vergangenen zwei Jahren laut neuestem Mietspiegel so schnell wie seit 20 Jahren nicht. Mit 9,29 Euro pro Quadratmeter für die Netto-Kaltmiete liegt Hamburg sogar noch vor Berlin.

Klara Geywitz möchte trotzdem 400.000 Wohnungen pro Jahr bauen und sucht wie ihre Kollegin in Berlin den Dialog mit der Bauwirtschaft. Schon in der vergangenen Legislatur war das Ziel, jährlich 375.000 Wohnungen zu bauen, allerdings verfehlt worden. Wie es bei Personal- und Ressourcenmangel dieses Mal klappen soll, ist nicht geklärt.

Die Ampel hat es in der Hand

Zudem: Der Fokus aufs Bauen allein verstellt den Blick auf den Wohnbestand und die nötigen Sanierungen. Der Volksentscheid in Berlin war auch deshalb erfolgreich, weil der Frust über steigende Mietpreise und Verdrängung aus der Innenstadt ohne politische Kontrolle ein Ventil brauchte. Zumal der Berliner Mietendeckel vom Bundesverfassungsgericht gekippt und erst kürzlich das kommunale Vorkaufsrecht vom Bundesverwaltungsgericht ausgehebelt wurde (der Freitag 46/2021). Kommunen und Landesregierungen haben damit kaum Möglichkeiten mehr, den Mietmarkt effektiv zu regulieren.

Ein Antrag der Linken im Bundestag zum kommunalen Vorkaufsrecht in Milieuschutzgebieten, der in dieser Sitzungswoche im Bundestag debattiert wird, hat wohl keine Chance gegen die Ampel-Regierung. Es läge in ihrer Hand, sowohl das Vorkaufsrecht zu ermöglichen als auch einen bundesweiten Mietendeckel einzuführen. Beides ist bisher nicht geplant, stattdessen setzt man weiter auf eine unbrauchbare Mietpreisbremse, sodass sich die Menschen in Ballungsgebieten weiterhin auf steigende Mieten einstellen müssen.

Demonstrativ stellte sich Klara Geywitz nun auch gegen das Enteignen, weil es keine einzige neue Wohnung schaffe und nur bedeute, dass sich die Eigentümerstruktur der Immobilien ändern würde. Genau das ist aber der springende Punkt, wenn es darum geht, die Mietpreise langfristig zu kontrollieren und auch grünes Bauen überhaupt erst zu ermöglichen. Denn das Vergesellschaften und die Rückführung in die öffentliche Hand unter demokratischer Kontrolle würde auch das Ende des Privatisierungsmodells bedeuten. Es würde eine neue Ära der Wohnpolitik einleiten, statt das Problem durch leere Bau-Versprechen in die Zukunft zu verschieben. Dass eine Mehrheit in Berlin für dieses gar nicht mal so radikale Vorhaben gestimmt hat, zeigt, was auf dem angespannten Wohnmarkt möglich wäre, wenn der politische Wille zur Umsetzung da ist.

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