Auf eigenen Füßen

Zwischen Ironie und Pathos Zwei Schriftstellertreffen auf Schloss Elmau

Kann sich noch jemand an die "Generation 78" erinnern? Unter diesem Rubrum versuchte vor ein paar Jahren der Schriftsteller Matthias Politycki eine neue Generation auszurufen. Die Ära der literarischen Heroen läuft aus. Der moralische Überschwang der engagierten Literatur a la Grass und Wolf scheint überholt. Da schien es dem Autor der ironischen Rückschau auf die siebziger-WG-Jahre namens Weiberroman an der Zeit, die Knappen des heiteren Differenzierens zu sammeln. Der Initiator der zwei Elmauer Schriftstellertreffen im Mai 2001 und April 2002, der seine Generation mit der so halb- wie lautstarken These "Literatur muss sein wie Rockmusik" besang, wehrte empört ab, wenn man ihm unterstellte, eine neue Gruppe 47 gründen zu wollen - oder gar zur "Machtergreifung" der 78er aufzurufen. Doch spätestens, als im letzten Jahr Spiegel-Kulturchef Helmut Höbel am Schluss des ersten Treffens von circa 30 Schriftstellern und Kritikern im noblen Schloss Elmau nahe Garmisch-Partenkirchen seinen Freund Politycki resigniert fragte: "Phlegma statt Dogma?" war klar, dass manche auf mehr gehofft hatten als bloß auf einen geistreichen Austausch.
Zum Glück kam in den deutschen Alpen kein Manifest der 78er zu Stande. Das lag nicht nur an der bizarren Spannweite der Positionen, die sich in einer Glasmenagerie mit Blick auf das imposante Wettersteinmassiv versammelten. Was hat der eloquente Retter des deutschen Bildungsbürgertums, Tilman Krause von der Literarischen Welt, mit taz-ler Dirk Knipphals gemein, dem Ritter wider den Kreuzzug gegen die Pop-Literatur? Außer, dass sie vielleicht einmal ein Buch von Politycki rezensiert haben? Was hat der Oberstudiendirektor des Literaturbetriebs, Burkard Spinnen, mit dem ästhetischen Partisanen Alban Nikolai Herbst oder der superlockeren Nebenerwerbsslampoetin Nadine Barth, Textchefin von Amica, gemein?
Ein Manifest wäre auch verfrüht gewesen. Denn was das Treffen unter dem irritierenden Motto "Ohne Titel" zu Tage förderte, waren Fragen. Die gewiss nicht alle mit Polityckis Hausmittel Ironie zu beantworten wären. Hinter dem zunächst als Diskursguillotine beargwöhnten Verfahren, ausnahmslos jedem Teilnehmer einen Vortrag von exakt fünf Minuten abzupressen und ihm bei Überschreitung der Redezeit sofort das Wort abzuschneiden, kristallisierten sich wie durch Zauberhand die Themen heraus, die den Betrieb unter der geölten Routine beunruhigen: Wie bringt man Ironie und Ernst zusammen? Wie antwortet die phantasmagorische Postpostmoderne (Martin R. Dean) auf die Medialisierung? Wie sieht der Realismus nach dem Realismus aus? Soll man auf die Digitalisierung und Technisierung der Ästhetik mit der heiligen Inspiration antworten? Wie lässt sich der irrwitzige Betrieb entschleunigen? Was tut man gegen seine Eventisierung mit Buchpräsentationen, Partyhäppchen und Medienmätzchen? Überall drückt es im scheinbar luxuriösen Betriebsschuh.
Am deutlichsten war den Elmauern die Verunsicherung über die Geschichte anzumerken. Im Vorjahr hatten sie noch überwiegend über Probleme des Betriebs West klagen können. In diesem Jahr zuckten sie spürbar zusammen, als der Intendant des Baseler Theaters, Michael Schindhelm die Post-11. September-Formel: "Wir sind alle Amerikaner" mit den Kollektivierungsversuchen des untergegangenen Staatssozialismus verglich und von der "Entzauberung der Freiheit" in der "scheinoffenen Gesellschaft" sprach. Der immer noch schwärende Epochenbruch ist wahrscheinlich erst vollzogen, wenn die Generation der heute vierzigjährigen ihr Erbe antritt. Wie wird sie dieser absehbare Zeitpunkt treffen, fragte sich Georg Klein. Nur einer plädierte für gelassenes Selbstbewusstsein: "Eigene Fußstapfen erzeugen und nicht erschrecken" riet der Berliner Schriftsteller Alban Nikolai Herbst seinen (leider überwiegend männlichen) Freunden. Schon für die Live-Show dieser ausgeästelten Autorenpsyche in einer Übergangsperiode hat sich die fast vollkommen ungesponsorte Elmauer Tagung gelohnt.
We don´t need another hero. Die "Generation 78" gibt es nicht mehr. Nicht nur, weil die Zeitläufte längst die Frage stellen, wie man Ironie mit Moral verknüpft. Sondern auch, weil den ungeliebten Turnschuhliteraten der sehr leicht kränkbare Herold der Ironie Politycki so schnuppe ist wie die Moral-Fanfare Grass. Pop und slam könnten mit einer Elmauer Front herzlich wenig anfangen. Wer soll das sein? Über die Zukunft der Kunst können Literaten in Deutschland heute nur schwer diskutieren ohne die Pop-Schwergewichte Thomas Meinecke oder Andreas Neumeister. Und in interdisziplinären Zeiten, wo sich die Genres samt ihrer Kunstformen mischen, wirkt der Rückzug auf einen reinen Literaturclub anachronistisch. Ist Elmau also nichts weiter als ein Angebot zur Korruption, wie Jörg Magenau von der FAZ in seinem Plädoyer für die Entmischung der Funktionen argwöhnte? Der Berliner Kritiker, der gern genau hinschaut, plädierte für mehr Distanz unter den Betriebsnudeln. Das leuchtet ein, liegt aber auch nah an der etwas altertümlichen Scheidung der Primär- von den Sekundärformen im Literaturbetrieb, mit der Günter Grass den Primat der Autoren befestigen will. Dabei eint Kritiker und Autor, wie Edward Said einmal festgestellt hat, eine strukturelle Identität: der Drang zum Schreiben. Aber in der Tat ist der alltägliche Literaturbetrieb eine heikle Gratwanderung zwischen Konkurrenz und Kumpanei. Die Gefahr einer nepotistischen Seilschaft von Polityckis handverlesenen Gnaden, die sich ein ums andere Jahr privatissime sieht, sich bestens kennt und hier und da beim Veröffentlichen, Rezensieren, Türen öffnen hilft - man kennt sich ja aus Elmau - ist bei diesem Projekt nicht auszuschließen.
Treffen wie diese konstruieren auch in Reinform das "Feld", von dem Pierre Bourdieu sagt, dass es mehr darauf ankommt, sich darin markant zu positionieren, als wirklich ästhetische Leistung ins Feld zu führen. Am wirkungsvollsten kann man sich darin übrigens als Positionierungskritiker positionieren, wie der Tagesspiegel-Redakteur Helmut Böttiger, ein tragischer Fall der sogenannten In-Between-Generation: Nicht mehr 68er, aber auch nicht 78er und schon gar nicht Pop. Vielleicht grantelt er deshalb so oberlehrerhaft gegen die neuen, coolen Bescheidwisser. Der Mann trägt schwer an einer historischen Lücke. Zur Buße will er jetzt mit Tilmann Krause die Scherben zusammenkleben, die die 68er beim Sturm auf die Bildung hinterlassen haben. Wer keine Arbeit hat, macht sich welche.
Im besten Fall könnte Elmau, sollte das Treffen noch einmal zu Stande kommen, eine Art kategorialer Rückversicherung sein in Zeiten, in denen die Maßstäbe dahin schmilzen wie Softeis in der Sonne des Entertainments. Wenn die Runde es noch einmal schafft, sich mit mehr zu beschäftigen als mit der Synchronizität des Niedergangs von Pop und Fußball seit 1972, wäre schon viel gewonnen. Dazu gehörte vor allem, was der Münchener Autor Hans Pleschinski mit dem eigentlich aufs Schreiben gemünzte Benn-Motto "Alles ist offen" meinte, also keine neuen Etiketten. Was der Ästhetik gut tut, steht auch ihrem Club gut an. Man knüpfte an ein sehr erfolgreiches Motto an, wenn es auch in Elmau hieße: No Logo.

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