Punk Royal. Auf jedem Grabbeltisch bei Woolworth kann man inzwischen nach dem anrüchigen Outfit wühlen. Auf jeder Opernpremiere wird man mit beifälligem Schmunzeln bedacht, wenn man die Hose mit dem Schriftzug in Goldfraktur trägt. Und natürlich ist auch in Berlin Mitte das Signum billiger Unangepasstheit unter gelangweilten Mittelstandskids längst zu einem ähnlich beliebten Symbol geworden wie die Embleme der DDR-Kultur. Derweil würde man die letzten echten Punks in Kreuzberg am liebsten unter Naturschutz stellen. Noch jede subversive Bewegung, die sich dem Mainstream der nivellierten Mittelstandskultur, Rock´n´Roll inklusive, entziehen will, endet, so scheint es, einen schönen Tages als Abziehbild ihrer selbst im kapitalistischen Kreislauf der entschärften Zeichen.
Es macht den Reiz der Berliner Ausstellung Ostpunk aus, dass sie zu einem Zeitpunkt an Punk erinnert, wo der seinen rebellischen Geist fast nur noch im Designerladen ausstellt - Patti Smith und Bert Papenfuß einmal ausgenommen. Gemeinhin gilt Punk als die Neubelebung der Verweigerung aus dem Geist von Müll und Gosse. Und die Geschichte des Punks ist eine Erfolgsstory West. Die Sex Pistols und Vivienne Westwoods zeitweiliger Lebensgefährte, der Stil-Punker Malcolm McLaren, waren der große Magnet auch für die Punker im Osten. Doch der Versuch der Berliner Szeneprotagonisten Henryk Gericke, Michael "Pankow" Boehlcke und Christoph Tannert eine verschüttete "Traditionslinie" des Punk, seinen Seitenarm Ost, wenn man so will, noch einmal frei zu legen, fördert einige markante Unterschiede zwischen Ost und West zu Tage. Mit ihrer Mischung aus authentischen Dokumenten, antimusealer Location und kluger Konzeption bei vergleichsweise geringem Budget haben sie eine der schönsten Berliner Ausstellungen derzeit auf die Beine gestellt.
Mit ihrem Standort setzen die Ex-Punker ein unübersehbares Zeichen. Zum "Salon Ost" haben sie eine kleine Autowerkstatt in den Hinterhöfen eines alten, noch nicht zum violett illuminierten Erlebniscenter aufgemotzten Brauereigeländes in Berlin Mitte kurzerhand umbenannt. Gleicht der Prenzlauer Berg, bis auf die letzte Trash-Insel um den Rosenthaler Platz, inzwischen einer durchsanierten Eigentumswohnung West scheint in diesen verwahrlosten backrooms zu seinem Beginn an der Schönhauser Allee noch einmal der Geist der guten, maroden DDR auf, ohne dass das aufgesetzt wirkte oder als Retro-Signal rüberkäme. Ein Foto der Berliner Schliemannstraße aus dem Jahr 1962 ruft diese Kulisse auf: ein bröckelnder Hinterhof aus der Gründerzeit, in dem ein verrostetes Fahrrad im Dämmerlicht auf den Sieg des Sozialismus wartet.
Mit dem Bild eines unbekannten Fotografen scheint man gleich das Raster bei der Hand zu haben, das den für den Westler unwahrscheinlichen Erfolg des Punk in der DDR erklären könnte: Kein Wunder bei den Zuständen! Doch Too much future, der irritierende Titel der Ausstellung stößt gleich mit dem Zeigefinger auf einen markanten Unterschied zur Bewegung West, die sich bekanntlich hinter dem düsteren Verzweiflungsruf No future versammelte. Die DDR war zwar keine Luxusgesellschaft. Aber die "soziale Überversorgung" war ein Hauptmotiv für das nicht nur ästhetische Abweichlertum. "Ich hatte Arbeit und mit 16 meine Planstelle weg. In der DDR brauchte man keine Lebensversicherung, das Glück war Mitglied der Partei und die Zukunft ein Pudel, der auf Befehl Männchen machte ... Ich fühlte mich von einer verordneten Zukunft, die zuviel des Guten war, in den Schraubstock gespannt", erinnert sich Henryk Gericke an seine Punk-Sozialisation. "Planlos" hieß deshalb auch nicht zufällig eine der ersten DDR-Punkbands. Die Entscheidung für den Punk war ein Aufstand gegen die verordnete Zukunft vom Reißbrett.
Die Protagonisten Ost, die man auf zwei Fotostrecken von Harald Hauswald und Christiane Eisler noch einmal in voller Montur sehen kann, glichen ihren Pendants und Vorbildern im Westen zum Verwechseln: Punks wie Chaos, Stracke und Ralle trugen Irokesenschnitt, enge Jeans und Kajal. Und Devotionalien wie die abgewetzten Lederjacken, die man in einem Hinterzimmer bewundern kann, ließen sich wohl noch von manchem Erinnerungsspeicher West ziehen. Auch der Ostpunk verachtete den Pop: "Ich hasse Pink Floyd" kann man auf einem T-Shirt lesen. Und er setzte auf Musik als Tiefenbohrung: Auf einer Installation von Robert Lippok stecken drei Heimwerkerbohrer in drei Vinylscheiben.
Der Unterschied zum Westen war jedoch der, dass die Punks mit der öffentlichen Aufmerksamkeit, die sie erregten, nicht Kasse machten, wie viele ihrer Kollegen West, sondern rigoros verfolgt wurden. Statt einer Popkarriere winkte der Knast. Früh erkannte die SED die Brisanz des subkulturellen Aufbegehrens. Für die Einheitspartei war der Punk nur ein "Mittel im Arsenal bürgerlicher Ideologie". Bedenklich war zudem, dass sich dem auch bildende Künstler anschlossen, die generationsmäßig nicht unbedingt zu den Punkern gehörten, aber ihr rotziges Lebensgefühl teilten. Dazu zählt etwa die 1953 in Berlin geborene Cornelia Schleime. Der ist zwar heute noch der Uniformierungszwang der Szene ein Dorn im Auge. Ansonsten liebte die Künstlerin, die 1984 die DDR verließ, es auch gern deftig. Eine Allianz mit kreativen Langzeitwirkungen: Die Schriftsteller Johannes Jansen, Bert Papenfuß oder der Dokumentarfilmer Lutz Dammbeck entstammen dieser subkulturellen Schnittmenge. Außerdem gab es jede Menge Westkontakt, wie mit den Kunstpunks der legendären "Tödlichen Doris" aus Berlin (West).
Die Ausstellung führt noch einmal die Mischung aus Hilflosigkeit und Härte vor Augen, mit dem sich das Honecker-Regime seiner erklärten und unerklärten Widersacher zu entledigen suchte. Schier unglaublich, wieviel Originaldokumente die Ausstellungsmacher aus Privatbesitz zusammen getragen haben. Aber eines der interessantesten Dokumente ist ein Video vom Mai 1989 aus dem Bestand der Birthler-Behörde. Damals observierte die Stasi ein Punk-Treffen in der Lichtenberger Erlöserkirche: Ein Punk kommt raus, zwei gehen rein. So geht das stundenlang. Von der komplizierten Soziologie, Binnenpsychologie oder gar dem politischen Bewusstsein einer Subkultur erfährt man aber nichts. Wenn solche ungelenken Übungen in polizeilicher Medientechnik nicht so unangenehme Folgen für die Beteiligten gehabt hätten, könnte man sich über dieses Dokument eines naiven Realismus, quasi eines frühen Vorläufers von Lars von Triers Dogma, lustig machen. Doch die Ausstellungsmacher dokumentieren im gleichen Raum auch Strafanzeigen und Verurteilungen. Die Planmäßigkeit, mit der die SED Jagd auf ein paar hundert junge Leute in Lederjacken und gewagten Frisuren machte, mutet auch dreißig Jahre später gespenstisch an. Noch 1988 wurde in Dresden ein Innenstadtverbot für Punker verhängt.
Ob der Beschluss der DDR-Behörden, das "Punk-Problem" bis 1983 zu lösen, der "Endlösung" der Nazis gleicht, wie die Ausstellungsmacher sagen, kann man bezweifeln. Nicht nur wegen des unpassenden Vergleichs. Sondern auch wegen der Kursänderung gegen Ende der DDR. Hie und da arrangierte man sich mit der Punkbewegung über Plattenlizenzen und Auftrittsgenehmigungen. Schließlich gab es gegen Schluss des Realsozialismus quasi staatlich lizenzierte Punkbands wie Die Anderen. Wahrscheinlich hat nur das plötzliche Ende der DDR dem Ostpunk den Mythos der unkorrumpierten Gegenkultur gerettet.
Zu den beliebten Spielchen bei einst aufmüpfigen sozialen Bewegungen gehört der Vorher-Nachher-Vergleich. Gemessen daran, wie sich manche westliche Pop+Punk-Rebellen von einst in ästhetische Biedermänner verwandelt haben, die für Gerhard Schröders Familienpolitik werben, können sich die Ostpunker durchaus sehen lassen: Zwischen der Jana des Jahres 1983 von der Ostberliner Band Namenlos und der von heute auf zwei Fotos von Regina Geisler ist der Unterschied verblüffend gering. Nur der Lederjacke treu zu bleiben dürfte allerdings kaum reichen, wollte man den rebellischen Geist des Punk wieder beleben. Aus der energetisierenden Spannung zwischen Diktatur und Subkultur wird sich der Punk made in GDR nicht neu beleben lassen. Dazu sind die neuen Verhältnisse zu geschmeidig. "Sperrfeuer gegen die Spießergesellschaft" (Christoph Tannert) sind zwar in wiederkehrenden Abständen vonnöten. Und der selbstgefälligen Neuen Mitte würden ein paar Erschütterungen wie bei dem mitreißenden Eröffnungskonzert von Ostpunk in dem baufälligen alten Bierkeller sicher gut tun. Jürgen "Chaos" Gutjahr traktierte da einen Blechcontainer mit der Heimwerkersäge. Doch gegen soziale Überversorgung dürfte momentan sicher niemand aufstehen. Und Leipzig in Trümmern, den Song, den die Band Wutanfall 1981 über die verfallende Sachsenmetropole sang, müsste heute wohl New Orleans oder Bagdad in Trümmern heißen.
Nur weil ein paar Ex-Punker ins bürgerliche Lage abgedriftet sind, heute Linux-Systeme optimieren, der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten vorstehen oder der Modepunk derzeit das Feld beherrscht, muss der Punk aber nicht tot sein. Wir vertrauen auf die Zeit. Wie die Friedensbewegung ist Punk eine unterirdische Energie, die jederzeit wieder belebt werden kann. Wie heißt doch das schöne alte Punk-Motto: "Be warned: The nature of your oppression is the aesthetics of our anger". Wahlverweigerung ist Punkrock kann man einer Häuserwand im tiefsten Kreuzberg schon lesen: Punk lebt.
Too much future. Ostpunk. Salon Ost, Saarbrücker Str. 20, Berlin, noch bis zum 25. September, Katalog 10 EUR
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