Bloße Kunst

Eros Die Documenta 12 fängt schon mal mit einer Theoriezeitschrift an

Der böse Prophet des Profits. Das Urteil, das der amerikanische Kunstkritiker Jed Pearl kürzlich über Andy Warhol fällte, ist hart und ungerecht. Natürlich wurden mit dem legendären Pop-Artisten auch Glamour, Geld und Oberfläche zu Paradigmen der Kunst und des Kunstbetriebs. Und es gehört einiger Wagemut dazu, den Hohepriester des Celebrity-Kults mit seiner kalkulierten politischen Indifferenz als Wegbereiter einer kritischen "Marktreflexivität" zu deuten, wie die deutsche Kritikerin Isabelle Graw anlässlich seines 20. Todestages Ende Februar.

Ex-Sex-Pistol Malcolm McLaren, der "Erfinder" des Punk, einst Gefährte von Vivienne Westwood und gewiss kein Anhänger irgendeiner Kunstreligion, erinnerte sich an das Hauptverdienst seines Freundes einigermaßen unverblümt "Andy hat aus Kunst Mode gemacht. Er machte Kunst banal und damit zu einer der Mode unterworfenen Ware".

Doch auch wenn der Soziologe Warhol seinem Freund McLaren durchaus verborgen geblieben ist. Man kann nicht so tun, als ob dieses Chamäleon nicht auch ein paar der bedeutendsten Kunstwerke des 20. Jahrhunderts geschaffen hätte. Es führt kein direkter Verschwörungsweg von seinen kolorierten Dollarbündeln auf Leinwand zu den gummibandverschnürten Dollarbündeln, mit denen die Sammler auf der letzten Art Basel Miami Beach ihre Schnäppchen bezahlten. Deswegen muss einem aber umgekehrt die "Sprache des Geldes", deren Diktatur im Kunstbetrieb heute Pearl geißelt, nicht unbedingt gefallen. Gegen die mondäne "Laissez-Faire-Ästhetik", die dort herrscht, kommt einem die romantische Emphase, mit der die zwei gerade verstorbenen Kunst-Sammler Heinz Berggruen und Lothar Buchheim an der Kunst hingen, fast schon wieder vorbildhaft vor.

In der ewigen Zwickmühle zwischen Phantasie (dem Titel von Buchheims Sammler-Museum am Starnberger See) und Markt versucht sich der Welt größte und bedeutendste Kunstausstellung, die 1955 von Arnold Bode in Kassel gegründete Documenta, immer wieder in der Rolle eines Korrektivs der Ökonomie. Das hat seine Tücken. Der documentaX der französischen Kuratorin Catherine David merkte man 1997 die Anstrengung an, dem Betrieb seine Bilderbesoffenheit mit Dokumentarvideos auszutreiben. Der Documenta 11 ihres Nachfolgers Okwui Enwezor aus Nigeria 2002 das Bemühen, seinen Eurozentrismus mit postkolonialistischen Feldforschungen zu überwinden.

In eine ähnliche Falle könnte ihr Nachfolger Roger Buergel tappen. Zwar scheint er die Fallstricke der Politisierung zu fürchten. Sonst würde der 1962 in Berlin geborene Wiener Kurator und Gründer der Kunstzeitschrift springerin nicht immer wieder auf die sinnlichen Potenzen der Kunst pochen. Vielleicht hat er deshalb den spanischen Star-Koch Ferran Adriá eingeladen, im Juni als Künstler nach Kassel zu kommen? Oder einen neuen Glaspavillon in die Kasseler Karlsauen bauen lassen. Vielleicht will er deshalb "Palmenhaine" zum "Träumen und Reden" pflanzen?

Andererseits setzt Buergel auch auf Kapitalismuskritik als "Leitthema" seiner Documenta. Schon das Walter Benjamin entlehnte Motto Bloßes Leben klingt, auch wenn es auf die Elementarerfahrung des "ungeschützten Lebens" zielen mag, wie das Glaubensbekenntnis des Prekariats. Wie Richard Sennett in der Arbeitswelt schimpft Buergel auf den Verlust handwerklicher Fähigkeiten in der Kunst. Seinen eigenen Ausstellungen, merkt man aber eine ausgeprägte Liebe zum Konzeptuellen an: Gouvernementalität. Kunst in Auseinandersetzung mit der internationalen Hyperbourgeoisie und dem nationalen Kleinbürgertum nannte der Foucault-Verehrer eine Kunstschau 2000 in der Kestner-Gesellschaft. Immerhin klingt es aufreizend antizyklisch und wie Spott über die Pisa-Hysterie, wenn Buergel "intellektuellen Eros als Gegenkultur" zum Kommerz aufbieten will und mit Schleiermacher Bildung als Herausbildung der "Eigentümlichkeit des Menschen" definiert. Freilich sollte er aufpassen, dass sein, mit einem der bislang umfangreichsten "Vermittlungs"-apparate aufgerüstetes "Museum der 100 Tage" keine volkspädagogische Musterschau wird, hinter der die Kunst am Ende nicht mehr zu erkennen ist.

Hinter Buergels rhetorisch glänzend kaschierten Ambivalenzen blitzt jedoch immer wieder eine problematische Idee auf. Denn bei der groß angelegten Archäologie der Moderne, die die Kunstschau begleiten soll, muss die Kunst wieder einmal als Ersatzwissenschaft herhalten. Unter dem Titel: "Ist die Moderne unserer Antike?" hat seit anderthalb Jahren ein weltweites Online-Netz von Theoretikern und Kritikern um mehr als 90 Kunstzeitschriften eine abgelaufenen Epoche untersucht, deren Utopien Buergel wohl nicht ganz zu Unrecht "in Trümmern" liegen sieht. Das Problem dieses virtuellen Grabung: Seine Ergebnisse werden gedruckt vorliegen - nicht gerade das Leitmedium der Sinnlichkeit. Und die Fundstücke aus den "lokalen Modernen" von Marokko bis zum Nordpol, die im ersten (von drei) "Magazine"-Bänden namens Modernity? ausgebreitet werden, sehen nicht so aus, als ob sich damit eine Moderne für alle basteln ließe.

Nichts gegen einen Dialog zwischen Kunst und Wissenschaft, Kunst und Politik. Für den überfälligen Versuch, eine menschenfreundliche Moderne zu begründen, sollten möglichst viele Kräfte gebündelt werden. Doch wenn man selbst von den größenwahnsinnigsten Projekten der womöglich gescheiterten Moderne etwas lernen kann, dann, dass Kunst die Suche nach der außergewöhnlichen Form ist. Das hätte sicher selbst der böse Prophet des Trivialen so gesehen.


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