Bodentruppen

VERSTECKTE AUFKLÄRUNG Die erste gesamtdeutsche Pen-Tagung zeigte eine neue Skepsis der Intellektuellen

Wieviel Divisionen hat die Vernunft?« Die Frage hat ihre Berechtigung noch immer. Auch wenn sie von dem damaligen Vorsitzenden des DDR-Schriftstellerverbandes Hermann Kant stammt. Ausgesprochen hat er sie auf einem Kongreß von Schriftstellern für den Frieden. In Köln. 1982. Auf dem Höhepunkt der Kampagne gegen die Stationierung von Mittelstreckenraketen in Europa.

Wer die betroffenheitsinnigen Appelle, das deklamatorische Übersoll, die Fraktionsrituale, Resolutionskartelle und die alternativen Generalstäbler der alten Friedensbewegung noch im Ohr hat, mußte erfreut sein, wie skrupulös der Schriftstellerverband Pen auf das alte Dilemma, wie wenig Literatur gegen den Krieg vermag, reagiert hat. Und wie schwer er es sich auf seiner Jahrestagung in Bremen gemacht hat, zum Krieg im Kosovo Stellung zu beziehen. Fast zu schwer. Zwar ist der kleine, gerade eben mal vereinigte Club, eine merkwürdiger Zwitter aus literarischen Underdogs und verdrucksten Honoratioren, die sich gern bei reichen Verwandten durchfressen, schon lange nicht mehr der Nabel der intellektuellen Welt. Und die anfangs erschreckend lustlose Diskussion, bei der so merkwürdige Formeln wie die Warnung vor »blutleeren« Appellen fielen, hatte natürlich noch mit den Traumata der vorangegangenen, deutsch-deutschen Vereinigungskriege zu tun. In denen in eigener Sache - nebenbei bemerkt - erheblich mehr Moralbomben abgefeuert wurden als jetzt gegen den Allesvernichter Krieg. Die mühsam verabschiedete Forderung nach einem Moratorium war nicht sehr mutig. Ein Moratorium will ja heute jeder. Und hatte den unangenehmen Nebeneffekt, daß nach getaner Abstimmung die Frage, wie man den bedrohten Autoren und der Literatur im Kriegsgebiet denn nun konkret helfen könnte, hintenüber fiel. Und fast hätten die Geistesarbeiter ihre vornehme Zurückhaltung übertrieben. Hinter der Idee der Berliner Lyrikerin Brigitte Oleschinski, eine internationale Schriftstellerkonferenz auf dem Balkan einzuberufen, die eine Synopse (!) der verschiedenen Konfliktlagen erarbeiten sollte, lugte ein weltfremder Akademismus hervor. Der Kosovo-Krieg als DFG-Sonderforschungsbereich mit Sekretariat und Forschungsplan? Nach zehn Jahren Zerfall, Bürgerkrieg und ethnischer Säuberung im ehemaligen Jugoslawien schlidderte der Club mit solchen Ideen, dem Argument: »Wir wissen nicht, was zu tun ist«, der Forderung nach »versteckter Aufklärung« (Flugblätter auf Belgrad!) und seinem rührenden Appell, die Unterhaltungssendungen im Fernsehen einzustellen, ganz knapp an einem intellektuellen Armutszeugnis vorbei. Und das in einem Verband, für dessen Klientel sein überzeugender Präsident Christoph Hein in Anspruch genommen hatte, das »bessere Gedächtnis« zu sein. Hätte man etwa ganz schweigen sollen in einem Moment, wo sich die »Geneigtheit zum Kriege«, die Günter Gaus schon in der »Vorkriegszeit« von 1982 erkennen zu können glaubte, wo sich der Unverstand der Divisionäre des Krieges in voller Brutalität zeigte und nun auch Günter Grass nach verbrannter Erde ruft - bis zum Schluß? Die »Selbstverpflichtung zur Kopfarbeit« in allen Ehren. Aber was, wenn ihren Adressaten derweil der Kopf abgesäbelt und das Dach darüber weggebombt wird? Dennoch zeigte die Spannbreite an Reaktionen, von der bedenkenswerten Abneigung Oleschinskis gegen die »bloße Rhetorik der Meinungen« bis zur Schlußresolution die Post-’89er-Intellektuellen in einem hoffnungsvollen Übergang zwischen der alten Rolle der allwissenden Präzeptoren und den gewissenhaften Differenzierern, die aber dennoch nicht unpolitisch agieren wollen.

Was vermag Literatur gegen Krieg und genozidähnliche Vertreibung? 1982 forderten Peter Härtling und Ingeborg Drewitz eine Friedensbibliothek für Kinder und eine Selbstverpflichtung der Schriftsteller, ein Werk zu schaffen, in dem es um den Frieden geht. Die Ideen sind so vergessen wie ihre Urheber. Wie lange wird es diesmal dauern, bis die zerstörten und zerbombten Bibliotheken im Kosovo wieder aufgebaut, die albanischen Flüchtlinge in Mazedonien mit Büchern in ihrer Heimatsprache versorgt sind, wie es der OSZE-Beauftragte für die Freiheit der Medien, Freimut Duve forderte? Mag sein, daß eine Ästhetik des Friedens zu schaffen, nicht nur lange dauert, sondern zu den Selbsttäuschungen der Literatur gehört. Wann war sie jemals per se friedlich? Schon die wiederkehrenden Proteste der Schriftsteller gegen die Militarisierung der Sprache wirken selbstgerecht. Denn ihre eigene ist bereits von der Rhetorik der Verschleierung infiziert. »Rapid Actions« nennen sie martialisch ihre verdienstvollen, humanitären Interventionen für inhaftierte oder drangsalierte Schriftsteller in aller Welt. Die aber nur unendlich langsam etwas ausrichten verglichen mit den mauerstürzenden Interventionen derer, denen sie diese Wortbildung abgeschaut haben. Doch für die Zivilgesellschaft und das Bürgerbewußtsein, die im Balkan wieder aufgebaut werden sollen, brächten sie dringend benötigte Tugenden mit. Das neue Militär will nur noch von weitem treffen. Literatur ist Nahkampf. Auge in Auge stellt sie sich dem Leser. Dieser Mut zum Dialog bleibt die eigentliche, nicht endende Sisyphos-Aufgabe der Bodentruppen der Humanität.

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