Schwulendrama. Das abschätzige Lob, das dem sagenumwobenen Film des taiwanesisch-amerikanischen Regisseurs Ang Lee voraus ging, transportierte einen irritierenden Unterton. War es der resignierte Seufzer, dass eine weitere Bastion der bürgerlichen Libido in Feindeshand überging? Verschanzte sich hinter dem Profiargument des Kitschverdachts nur eine unausrottbare Restabneigung gegen den abweichenden Eros? Oder schwang darin auch die geheime Anerkennung mit, dass es die ganz großen Gefühle nur noch bei Schwulen gibt, während der Hetero-Mainstream frustriert in der Sackgasse von Sex and the City steckt?
Zugegeben. Die bewegende Geschichte der unerfüllten Liebe zweier Männer, die 20 Jahre nach der ersten Begegnung mit dem Tod eines der Beteiligten endet, ist in das schwammige Genre des Melodrams nicht vollkommen falsch einsortiert. Damit war die Aufregung freilich nicht recht zu erklären, die dem Film vorausging wie der zitternde Erdboden einer Stampede. War diese Kategorie doch spätestens seit Jonatham Demmes AIDS-Drama Philadelphia oder Tony Kushners nicht minder melodramatischem Angels in America einigermaßen ausgereizt. Es musste also mehr hinter der Geschichte stecken, die Präsident George Bush zu dem defensiven Scherz trieb: "Ich kann mit ihnen über die Viehzucht plaudern, aber ich habe den Film nicht gesehen".
Wer über den Erfolg von Brokeback Mountain nachdenkt, landet schnell in näherliegenden Schublade. An Ang Lees Verfilmung einer Geschichte, die die amerikanische Bestsellerautorin Annie Proulx 1997 in der Zeitschrift New Yorker veröffentlichte, frappiert, wie gut ausgerechnet der Western, also der amerikanische Mythos schlechthin, mit schwulen Codes vereinbar ist, ja womöglich nach ihnen funktioniert.
Als der junge Cowboy Jack Twist (Jake Gyllenhaal) zu Beginn der sechziger Jahre in dem miesen kleinen Provinznest Signal in Wyoming zum ersten Mal auf den Mann trifft, dem er wenig später verfallen wird, steigt er aus seinem schäbigen schwarzen Truck, knickt die Hüfte leicht nach außen und stellt sich vor die Ladefläche. Halb herausfordernd, halb verlegen betrachtet er den blonden Ennis del Mar (Heath Ledger), einen anderen Cowboy, der auf den Stufen vor dem Büro für Vieharbeiter sitzt. Der Rodeofan Twist ist der lebenslustigere der beiden, wenig später auf dem Brokeback, wo beide Schafe hüten sollen, erweist er sich als Verführer. Aber er ist gewiss keine Tunte. Und doch zeigt sich für den Bruchteil einer Sekunde, wie schmal der Grat vom Machoman zum Camp-Hero ist.
Es hätte dieser winzigen Anleihe an das performative Repertoire des schwulen trash nicht bedurft, um zu zeigen: Vom gebrochenen Helden über den Mann ohne Frau bis zum Outlaw - fast alle Versatzstücke einer identitätsstiftenden Erzählweise sind ohne Widerstände queer lesbar. Dass beide Männer nach ihrem unerwarteten Liebessommer in den Bergen Frauen heiraten, widerlegt die These nicht. Als sie sich vier Jahre später wieder treffen, fällt die Ehe mit Lureen (Ann Hathaway) und Alma (Michelle Williams) von ihnen ab wie eine Maske. Sie können die Zeit bis zum nächsten Ausflug kaum abwarten. Und Heath Ledger spielt den Typus des wortkargen loner, als ob er Angst hätte, mit jedem Wort, das er sich vom fest zusammen gebissenen Kiefer mahlt, gegen das ungeschriebene Genre-Gesetz zu verstoßen, nach dem die Sprache des Westerns das Schweigen ist.
Brokeback Mountain hat das schwule Fundament des Westerns also nur offen gelegt und bis zur letzten Konsequenz einer Liebesszene geführt, die uns bei den wettergegerbten Hünen aus dem Lande Marlboro immer vorenthalten wird. Suchende, Jagende und Gejagte - man könnte meinen, der Western sei eigentlich für Schwule erfunden worden. Die nervöse Neugier, mit der Amerika dem Film entgegensah, hat also etwas mit der Furcht zu tun, was von einem Kernstück der (amerikanischen) Identität bleibt: "Wenn zwei Cowboys, Ikonen der Männlichkeit, die 100-prozentige Männer sind, dem erliegen, welche Chance habe ich dann noch, ich viertel bis halber Mann?" begründete der amerikanische Komiker Larry David seine Weigerung, den Film anzuschauen. Männer, nach Susan Faludi die großen Verlierer des 20. Jahrhunderts, sind nicht nur ein betrogenes, sie sind ganz offenbar auch ein gefährdetes Geschlecht.
Es ist aber weder ein Generalangriff auf die amerikanische Machokultur, noch ein ironischer Meta-Western, den Lee in Szene setzt. Der Regisseur von Wedding Banquet und Ice Storm braucht auch keine neuen Trendklamotten wie Pop-Star Madonna, als sie sich für ihr Album Music als Westernlady kostümierte. Ebenso wenig ist Brokeback Mountain ein cineastisches Desillusionierungsprogramm in Sachen amerikanischer Mythos, weil seine Protagonisten nur noch rechtlose Tagelöhner sind, die es nicht einmal schaffen, ein paar Wochen eine Viehherde beisammen zu halten und - wie Jack - als Mähdrescherverkäufer enden. Lee meint es ernst mit einer ganz einfachen Liebesgeschichte. Seine Kraft bezieht das provozierend konventionell und langsam erzählte Epos aus der Dialektik von engem und weitem Horizont.
In Brokeback Mountain ruft Lee das Motiv der frontier auf. Die Trips, die Jack und Ennis nach ihrer Wiederbegegnung regelmäßig unternehmen, sind Reisen an ihre sozialen und psychischen Grenzen: Flucht aus ihrer homophoben Umwelt, wo man sich schon verdächtig macht, wenn man einem Rodeokumpel ein Bier ausgibt, Aufbruch in ein Nirgendwo, wo eine verbotene Liebe möglich ist. Wie um ihnen ihre unerschlossenen Perspektiven zu eröffnen, schwenkt die Kamera immer wieder auf die gewaltige Naturkulisse, die weiten Horizonte und den aufgerissenen Himmel: Natur als Versprechen und als Grenze. Doch sie überschreiten sie nicht. Dem immer fordernderen Drängen Jacks, auf einer kleinen Farm ein neues, gemeinsames Leben anzufangen, widersetzt sich Ennis bis zum Schluss. Kein Wunder, dass Jack auf ihrem letzten gemeinsamen Trip in den - inzwischen geflügelten - Verzweiflungsruf: "I wish I knew how to quit you" ausbricht.
Ist Brokeback Mountain also doch ein schwules Vom Winde verweht? Lees Drehbuchautoren Larry McMurtry und Diana Ossana geben dem Film Untertöne einer emotionalen Anklage gegen die Unterdrückung von Schwulen, wo Proulx mit trockenster Lakonie arbeitet. Als Jacks Frau Ennis mit kalter Stimme am Telefon erzählt, dass ihr Mann bei einem Autounfall gestorben sei, blitzen für Sekunden Szenen eines Lynchmordes an Jack auf. Als Kind zwang ihn sein Vater, sich das Bild eines schwulen Ranchers anzusehen, der von den Nachbarn an seinem Penis durch die Wüste zu Tode geschleift wurde. Doch wenn er den alt gewordenen Ennis Jacks aggressiv trauernde Eltern besuchen sieht, schmilzt der Zuschauer dahin wie in einem ganz gewöhnlichen Liebesfilm. In dem Kinderzimmer des Freundes entdeckt Ennis sein eigenes Hemd mit dem getrockneten Blutfleck von jener kleinen Schlägerei des ersten Sommers. Wie sehr Jack ihn geliebt haben muss, erkennt Ennis daran, dass er sein Hemd darüber gestreift hat. In Brokeback Mountain erzählt Ang Lee von einer unmöglichen Liebe. Doch er erzählt auch das universelle Drama von zwei Menschen, die sich nicht mehr Freiheit zutrauten.
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