Der Geist weht, wo er will

Suhrkamp zieht um Die Debatte um den Umzug des Suhrkamp-Verlages in Berlin krankt an ihrer Autoritätsfixierung. Nicht die Verlage sorgen für Impulse, sondern ihre Autoren

Kreml-Astrologie. Mit diesem Wort bezeichnete man in den siebziger und achtziger Jahren eine beliebte Tätigkeit: Wenn man nur lange genug auf die Zwiebeltürme am Roten Platz und die Pelzmützen der Machthaber schaut, die sich regelmässig auf ihm versammelten, lässt sich eventuell sagen, welche Machtranküne sich vielleicht dahinter abspielt.

Kann ein Mythos überhaupt umziehen?

An denselben Kurzschluss vom Außen auf das Innen fühlt man sich bei der aktuellen Debatte um den Suhrkamp-Verlag erinnert. Ratlos stehen alle vor dem unscheinbaren Verlagshaus in der Frankfurter Lindenstraße und grübeln. Kann ein Mythos überhaupt umziehen? Was wollen die in Berlin? Was wird dann aus Frankfurt? Und was aus der Republik? Mit solchen Fragen stochert nicht nur das deutsche Feuilleton im Nebel des Weltgeistes, der ja in Frankfurt quasi seinen Zweitwohnsitz hat.

Jede Handbewegung von Ulla Berkewicz wird wie ein Zeichen gedeutet, jeder Satz hin- und hergewendet wie einst die Prawda, jede noch so winzige Personalrochade gerät zum Menetekel geistesgeschichtlichen Ausmaßes. Der wahren Wahrheit über den Kurs und das Schicksal von Suhrkamp ist man mit dieser Art gehobener Sterndeuterei bislang nicht näher gerückt.

Keine Meisterin des kommunikativen Handelns

Ganz unschuldig ist die Institution, um die sich die Debatte dreht, daran nicht. Denn die Frau, die ihre Geschicke leitet, steht den verflossenen Kremlherren in einer Hinsicht kaum nach. Sie weiss zwar um die Wirkung inszenierter Auftritte. Ist aber nicht gerade eine Meisterin der Praxis, für die ihr Hausautor Jürgen Habermas einmal das schöne Paradigma des „kommunikativen Handelns“ erfunden hatte. So war es, als sie den Beirat abservierte, der nach dem Tod von Siegfried Unseld als geistiger Kompass des Verlages dienen sollte. So war es, als sie mit Berlins Wirtschaftssenator Harald Wolf verhandelte, um den Umzug des Verlages vorzubereiten.

Die Vor- und Nachteile des Umzugs nach Berlin sollen hier nicht weiter erörtert werden. Im Zeitalter der nomadisierenden Geistesnomaden ist es herzlich gleichgültig, wo ein Verlag seinen „Stammsitz“ hat. Und dass er eine Stadt quasi intellektuell veredelt, ist nichts weiter als ein Ammenmärchen. Hat es München so wahnsinnig „vergeistigt“ oder „literarisiert“, nur weil der Hanser-Verlag in ihren Mauern weilt?

Suhrkamp als Sammelpunkt einer revolutionären Intelligenz?

Was an der Debatte derzeit besonders nervt, ist die – ziemlich deutsche - Fixierung auf eine zentrale (Geistes-)Autorität. Die mag Suhrkamp in der Vergangenheit gehabt haben. Die Leitfunktion, die der Verlag von Gershon Scholem und Hermann Hesse, Theodor Adorno und Jürgen Habermas in der Nachkriegszeit hatte, ist unumstritten. Konnte aber so nur entstehen, weil die Nazis eine geistige Wüste hinterließen. Doch gelten diese Bedingungen in der ausgefaserten Medienwelt des 21. Jahrhunderts noch?

Dass der Suhrkamp-Verlag in Berlin sein bürgerliches Gewand abstreift und dort zum Sammelpunkt einer revolutionären Intelligenz wird, der der „Berliner Republik ein geistiges Maßgewand schneidert, wie die FAZ am Wochenende raunte, würden wir natürlich gern glauben wollen. Und ist – mit Blick auf die „linke Vergangenheit“ der Beteiligten Berkewicz und Wolf – eine hübsche feuilletonistische Volte in der an ausgeleierten Argumenten nicht armen Suhrkamp-Debatte. Bis zu einem handfesten Beweis dieser These bleibt das doch nur eine weitere von den vielen Projektionen, an denen jede dieser Debatten krankt.

Auch nachhaltige Komposthaufen stinken

Mag Ulla Berkewicz auch noch so sehr von dem „Labor“ Berlin fasziniert sein. Das Moment des Nichtfestgelegten, des Experiments, der prinzipiellen Offenheit, das sie hier mehr als in Frankfurt zu finden meint, gab es vielleicht kurz nach der Wende einmal. Doch was Besucher von außen für kreativen Esprit und geistigen Humus halten, entpuppt sich bei näherer Betrachtung meist als das ganz normale Prekarier-Elend. Auch noch so nachhaltige Komposthaufen stinken eben.

Wie wahrscheinlich es ist, dass die Berliner Luft eine neue Realitätswahrnehmung ermöglicht, kann man an der Bundesregierung sehen. Die Insassen des Bonner Raumschiffes haben es prima geschafft, sich von den Realitäten abzuschotten, auf deren hautnahe Erkundung sich die Volksvertreter samt ihren beamteten Vollstrecker nach vierzig beschaulichen Jahren am Rhein so sehr gefreut hatten. Nun sitzen sie in ihrem schicken Bundestags-Tunnel unter der Spree und hoffen, dass die Krise an ihnen vorübergeht.

Eine Erfahrung, die auch die Suhrkamp-Angestellten bald machen werden. Mag das neue Verlagshaus auch in Berlin-Mitte liegen. Denn es sind ja in der Regel nicht die Verlage, die selbst denken, also ihre Lektoren, Buchhalter und Marketingleiter, sondern die Autoren. Und dazu brauchen sie kein Berlin. Es gehört schon ein gehöriges Maß an Gläubigkeit dazu, zu meinen, dass in den zerstreuten Öffentlichkeiten der real existierenden Postmoderne ein einziger Verlag zum intellektuellen Stichwortgeber der Republik werden könnte. Der polyzentrische Weltgeist der Zukunft braucht keine Magneten wie Suhrkamp. Denn der weht bekanntlich, wo er will. Und überall gleichzeitig.

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