Als Tony Blair 1994 als neuer Chef der Labour-Party antrat, muss er manchen seiner Getreuen wie der sagenhafte König Artus erschienen sein. Gleichsam im Handstreich zog er das Schwert der Macht aus dem Felsen der schier unbesiegbaren Margret Thatcher und ihrer schwächlichen Erben. Und flugs zauberte er noch den schimmernden Stahl namens "Dritter Weg" aus der leeren Ideen-Scheide der alten Arbeiterpartei. Seither schien der Widerschein dieses Helden heller als tausend Sonnen zu strahlen.
In die Bewunderung mischte sich - wie oft bei Heldenfiguren - früh ein Gran Furcht. Nicht nur das messianische Auftreten des Premiers jagte schon in der Frühzeit manchen seiner Anhänger kalte Schauer über den tief gebeugten Rücken. Dazu gesellten sich mehr als typisch britische Skurrilitäten. Spätestens als sich der Premier beim Urlaub mit der Gattin in Mexiko bei einem Maya-Wiedergeburtsritual mit Schlamm und zerstampften Obst eingerieben, laut geschrieen und ein Dampfbad in einer New-Age-Pyramide genommen haben soll, fragten sich manche, wes Geistes Kind dieser Mann eigentlich sei. Wollte er dem wiedergeborenen Christen George Bush nacheifern? Dem Weltfrieden hat Blairs Selbstkasteiung wenig genutzt. Unvergessen sein kurz danach ausgestoßenes Wort vom "Blutzoll", den sein Land für die Sache der Freiheit zu zahlen habe.
Nun war das ausgelaufene zwanzigste Jahrhundert das Saekulum der großen Versprechen, die den von den Heilsversprechen Beglückten einen unvorstellbaren Blutzoll abforderten. Da schadet es vielleicht nicht, die Entwürfe für das einundzwanzigste Jahrhundert, bevor wieder alle bluten müssen, rechtzeitig unter die Lupe zu nehmen. In der Frühphase solcher Blaupausen sollen ja immer noch Löwen zu Lämmern werden. Auch Blairs Merlin, der britische Soziologe Anthony Giddens, hatte in seiner Prophezeiung eines neuen Zeitalters Jenseits von links und rechts euphorisch die "nachmilitärische Gesellschaft" beschworen, die durch die schwindende Autonomie der klassischen Nationalstaaten anbrechen werde. In ihr werde "Gewalt bei der Entschärfung internationaler Spannungen und Probleme eine immer geringere Rolle spielen". Giddens sah schon "Staaten ohne Feinde" für das Zeitalter nach dem Kalten Krieg heraufdämmern.
Wie genau, so fragt sich der geneigte Gefährte des Dritten Wegs, verträgt sich das mit den Bildern erigierter US-Kanonenrohre, die seit Wochen in Großbritannien über die Bildschirme flimmern? "All the way to Bagdad" haben die Amerikaner darauf gepinselt. Nach einer friedensfähigen Zivilgesellschaft für das 21. Jahrhundert klingt dieses mediale Säbelrasseln nicht. Genauso wenig wie die rhetorische Mobilmachung, mit der Blair - anders als sein vorsichtiger Außenminister - einen Waffengang als unausweichlich scheinen lassen will. Druck und Kontrolle haben Saddam Hussein bislang einigermaßen in Schach gehalten. Präventivkriege waren in Giddens´ "Kultur der gewaltfreien Konfliktlösung" nicht vorgesehen. Dass er diese Formel seines Chefdenkers auf eine intelligente Praxisprobe stellen will, hat Blair auch bei seiner Rede vor britischen Botschaftern in dieser Woche nicht erkennen lassen.
Fehlt es auch sonst an Vielem in Großbritannien. An folgenlosen Begriffshülsen aus der strahlenden Anfangszeit Blairs ist kein Mangel. Vom Milleniumsdom bis zum National Health Service - Ruinen, wohin man schaut. Die des Nahen Ostens will man offenbar auch noch in Kauf nehmen. Peter O´Toole würde Tony Blair den Blick neiden, mit dem der Labourführer Nach Bagdad! ruft. Schon als das Osmanische Reich darnieder sank, hatte die öldurstige britische Kolonialpolitik mit vorbildlicher terroristischer Energie gesät, was sie heute in Form von überreifen Diktaturen erntet. Nun will Blair also wieder das Schwert ziehen. "Der Krieg mit Frankreich ist wahrscheinlich eine Riesendummheit" lässt der Dramatiker Tankred Dorst König Artus in seinem Stück Merlin oder das wüste Land sagen, das zwischen den Jahren in der Berliner Schaubühne gespielt wurde. Keine große Inszenierung. Eins kann man an ihr aber doch ablesen: Als dem Helden von einst diese Erkenntnis dämmert, ist es zu spät. Die Leichen der Getreuen aus der Runde, die einst allen Menschen Freedom and Democracy bringen sollte, säumen das wüste Feld. Von Blairs "Leuchtturm des Guten" blinken die Signale der Schlacht. Tony von Arabien bleckt die Zähne. Gegen diese Mimik wirkt Gerhard Schröders Raubtierlächeln wie ein Taubengurren. Man darf es in utopieloser Zeit ruhig als Menetekel nehmen, dass vom viel versprechend funkelnden "Dritten Weg" vorerst nicht viel mehr übrig geblieben scheint als - der Weg zum Krieg.
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