Ist Che Guevara noch ein zeitgemäßes Symbol? Man muss die Frage so stellen. Denn eigentlich existiert der 1967 in Bolivien ermordete Revolutionär nur noch als Symbol. Jeder kennt das Bild des bärtigen Guerilla-Führers, der der Welt die Stirn mit dem sternbewehrten Barrett bietet. Aber wer kennt eigentlich noch seine Schriften? Der Markt jedenfalls, der unbestechlichste aller Indikatoren für kulturelle Trends, sagt Ja zu diesem Che. Sowohl im alternativen Immergrün Kreuzberg, wie auch im alternativen Niemandsland zwischen Berlin Mitte und dem Prenzlauer Berg boomt in den Second-Hand-Läden der Guevara-Boom: Che auf T-Shirts, Che auf Taschen, Che auf Schweißbändern. Nicht, dass sich dort eine neue Partisanen-Bewegung breit gemacht hätte, die im Dickicht der Hinterhöfe Aufstände anzetteln und auf Zulauf von den Boulevards hoffen würde. Aber irgendeine Affinität, die mehr ist als der zynische Lifestyle derer, die sich - wie im Fall DDR - gern mit den Symbolen Ihrer unterlegenen Gegner schmücken, muss es schon sein, dass ein gescheiterter argentinischer Revolutionär noch als modisches Zugpferd für die utopielose MTV-Generation dienen kann. Angesichts des neuerlichen Booms könnte man sich fragen, ob Che Guevara der Kunstgeschichte nicht ein Schnippchen geschlagen hat. Glaubt man Walter Benjamin, geht das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit seiner Aura verlustig. Doch in dem Symbol des Che Guevara meint man immer einen nicht tot zu kopierenden Rest von Aura, Zorn und Aufbegehren zu entdecken, der sich gegen die Degradierung zum geschichtslosen Abziehbildchen wehrt. Eigentlich verwunderlich, dass ausgerechnet das Bild des Che in revolutionärem Saft und Kraft den symbolischen Siegeszug durch Raum und Zeit angetreten hat. Denn in dem Moment, als der Mythos geboren wurde, sah Guevara gar nicht nach einem Mythos aus. Der CIA-Agent Felix Rodriguez, der den gefangenen Guevara 1967 im bolivianischen La Higuera traf, sah einen zerlumpten Mann mit kleinen Augen, zerfilzten Haaren, Ödemen an den Beinen und einer dicken Narbe über der Stirn. Die bolivianischen Militärs, die ihn erschießen ließen, legten ihn auf einen Holzbock und behaupteten, er sei bei Scharmützeln mit den Partisanen umgekommen. Dieser Leichnam erinnerte die frommen Frauen von Vallegrande so an den toten Jesus von Nazareth, dass sie in der nämlichen Nacht Kerzen anzündeten: A legend was born. Die Neuauflage eines Mythos befördert die kleine Biographie, die gerade in der ebenfalls schon legendären Rowohlt-Reihe Monographien erschienen ist, nicht. Der Sachbuchautor Frank Niess, ausgewiesen durch eine dependenztheoretische Geschichte Lateinamerikas (1984), bemüht sich um die mythenkritische Sicht eines beeindruckenden Mannes, ohne dessen welthistorische Leistung klein zu reden. Die Revolution in Kuba ging, könnte man salopp sagen, voll in Ordnung. Doch je mehr man von dem Che nach dem Sieg in Havanna liest, desto stärker wachsen die Zweifel, ob dieser Mann seinen Aufgaben gewachsen war. Da sind die Hinrichtungen unmittelbar nach der Revolution. Niess weist in seinem flüssig, anschaulich und ohne Revolutionsemphase geschriebenen Band darauf hin, dass Guevara die Erschießungen der Batista-Kollaborateure in der Festung von Havanna befehligte. Er exportierte die Revolution ominöserweise in Länder wie den Kongo oder Bolivien, in denen die Voraussetzungen für den Guerillakampf nicht existierten. Und von dem sozialistischen Macho, der seine Frau und drei Kindern mittellos hinterließ, als er ins wieder ins Ausland ging, wollen wir nicht weiter reden. Wenn es einen positiven Aspekt der revolutionären "Theorie" Guevaras gibt, dann die eines übernationalen Widerstands gegen die US-amerikanisch dominierte Weltwirtschaft. Der "kapitalistische Krake", den Guevara in Guatemala in Gestalt der United Fruit Company entdeckte, klingt wie eine aktuelle Formulierung in Zeiten der Globalisierung. Doch ohne unpolitisch werden zu wollen: Der sympathischste Guevara bleibt der Student der Medizin, der 1950/51 neugierig durch Lateinamerika zog, Augen und Ohren ganz nah an den Problemen der einfachen Leute: Wanderarbeiter, Bauern, Soldaten, Indios - Basisdemokratie pur, sozusagen. Die Erfahrungen dieser Reisen, über die fehlende Landreform etwa, legten das Fundament für seinen Sieg als Revolutionär. Die "Gemeinschaft mit dem Volk", die Guevara dann im Kampf auf Kuba zur Maxime erhob, würde man seinem Companero Castro heute wieder wünschen. Der Che-Diskurs seiner Jünger heute ist aber genau das Gegenteil dieser weltoffenen Haltung des Revolutionärs als jungen Mannes. Das Bekenntnis zu dem Symbol der Entrechteten hat etwas Voraufklärerisches. Denn in der omnipräsenten Ikone des Che ist die politische Auseinandersetzung über Emanzipation zu einem unverhandelbaren Symbol, zu einer unverhandelbaren Haltung geronnen, die sich genau da selbst genügen, wo die kritische Relektüre angezeigt wäre. So erotisch, so politisch, so widerständig das Bild des wilden Revolutionärs in widerstandslosen Zeiten noch erscheinen mag. Würde man nach den Erfahrungen des gewaltlosen Widerstands heute selbst einem Revolutionär wie Che noch so unbesehen den Satz: "Schau - In einer solchen Lage musst du töten, bevor sie dich töten" durchgehen lassen? Niess zitiert das Statement, mit dem Che einem von den Reihenhinrichtungen 1959 schockierten Freund aus Mexiko begegnete. Welche Kampfformen gegen den neuen Imperialismus heute erfolgreich sind, hat Subcomandante Marcos gezeigt. Den legendären Kämpfer aus dem mexikanischen Dschungel kennt man zwar auch im Bild. Die Zapatisten werden aber mindestens genau so über den Text wahrgenommen wie über Ikonen. Es ist vielleicht kein Wunder, dass Che Guevara vor allem bei jungen Männern als Identifikationsobjekt hoch im Kurs steht. Man tut einer historischen Figur kein Unrecht, wenn man ihr bescheinigt, bis in die höchsten Ämter und kompliziertesten Staatsaktionen ihren jugendlichen Trotz konserviert zu haben. Das hat den Charme des Kontrafaktischen. Früh hat er sich gegen den Kadavergehorsam Moskau gegenüber aufgelehnt. So viel juveniler Enthusiasmus ist aber nicht immer zweckdienlich. Als Industrieminister hat Guevara Kuba wohl damit geschadet, zu früh an einer reinen Planökonomie ohne Marktelemente festgehalten zu haben. Der ungelöste Dualismus zwischen Markt und Plan, der in der Folge einriss, und nicht nur das nachfolgende Handelsembargo der USA, geht für Niess als Geburtsfehler des revolutionären Kubas auf Guevaras Konto. Diesen Hang zum linksradikalen Vitalismus, auf den Niess wiederholt hinweist, hat auch Volker Braun in seinem Stück Che Guevara oder der Sonnenstaat von 1977 verarbeitet. Von solchen Fehlern und eklatanten Widersprüchen ist das Symbol "Che" heute abgelöst. Es signalisiert zwar auch ein allgemeines Emanzipationsversprechen, das global der Einlösung harrt. Aber es dient auch als bequemes Vehikel einer symbolischen Entschiedenheit, die in den unsicheren Zeiten postmoderner Unübersichtlichkeit Rettung versprechen mag. Wo man sonst schon nicht mehr genau sagen kann, was zu tun ist, will man wenigstens mit der Aura einer klaren Haltung auftreten. So doktrinär Che Guevara später auch gewesen sein muss - das ist nun aber so ziemlich das genaue Gegenteil des wissbegierigen Comandante, eines genialen Autodidakten, der alles hinterfragte und sich (fast) alles anzueignen verstand. Glaubt man seinem Biographen, hatte der junge Che, der wegen seines chronischen Asthmas oft ans Bett gefesselt war, schon in früher Jugend die 3000 Bücher der elterlichen Bibliothek gelesen. Von dem außerordentlichen Mut des Kämpfers, der gefährlichere Schlachten zu bestehen hatte als Mai-Randale oder Uni-Streiks, ganz zu schweigen. Gerade deshalb wirkt der textile Gratismut, mit dem sich viele das reproduzierte Gesicht einer außergewöhnlichen Persönlichkeit ans blasse Szene-Revers heften, immer ein bisschen second-hand.
Frank Niess: Che Guevara. Rowohlts monographien. Reinbek bei Hamburg 2003, 160 S., 8,50 EUR
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