Schurkenstaat. Je vehementer die Propaganda aus dem Weißen Haus der Welt den Iran als Unrechtsregime verkaufen will, in dem die Frauen verschleiert gehen, die Mullahs an der Bombe basteln und Oppositionelle im Gefängnis schmoren, desto stärker schaltet man auf Abwehr. Andererseits: Je länger das Regime dort dauert, desto mehr häufen sich die zwiespältigen Berichte darüber. Von der Botschaftergattin Christiane Hoffmann (Freitag20/08) bis zu den verfolgten Jüdinnen Dalia Sofer (Freitag 41/2007) und Roya Hakakian (siehe unten). Kaum eine literarische Saison ohne ein Buch über den Iran. Offenbar kann man aus diesem Gefängnis nur verschwinden.
Nicht, dass der Iran so sehr viel freundlicher wäre, den der 1973 geborene Berliner Kritiker, Kurator und Filmemacher Tirdad Zolghadr in seinem Debütroman Softcore zeichnet. Der Held seines Romans, ein Alter Ego seines Erfinders mit gleichem Namen, wenn auch ein paar Jahre jünger, trifft dort auf Revolutionswächter, die ihre Widersache schon mal eigenhändig mit einem Pistolenschluss erledigen, bevor sie über die iranische Revolution als "postmoderne Geste" plaudern. Schließlich landet er wegen unerlaubter Filmaufnahmen selbst im Gefängnis. Und die Geschichte nimmt am Ende eine thrillerhafte Wendung, die eines Schurkenstaaten würdig wäre. Trotzdem ist es eine Umkehrung unseres festgelegten Blicks auf dieses geheimnisvolle Land, dass der doppelte Zolghadr demonstrativ in den Iran reist, nicht heraus. Und zwar nicht, um seine Vorurteile bestätigt zu bekommen. Sondern, weil er tatsächlich glaubt, in dem Gottesstaat eine Galerie namens Promessa eröffnen zu können.
Von Fred Perry bis zu Charles Eames: Kein Stil, keine Marke ist diesem Doppelgänger fremd: Zolghadr hat es eilig, seinen Text schnell und umstandslos als Poproman auszuweisen. Besonders eine iranische Zigarettensorte mit violett-goldenen Streifen hat es dem Ich-Erzähler angetan. Doch die moralische Indifferenz und das lustvolle Interesse an nichts als Oberflächen, das die popliterarische Schule gerne kultiviert, haben ihre Vorteile. Der Held muss nicht mit der schusssicheren Weste des Gutmenschen durch die Gegend laufen, sondern kann ohne schlechtes Gewissen in alle Verstrickungen des iranischen Alltag eintauchen.
Die "lächelnde Selbstverleugung", die man dort beherrschen muss, bereitet diesem nonchalanten Heimkehrer keine Schwierigkeiten. Schon seine Großtante Zsa Zsa, die das Promessa Anfang der sechziger Jahre zu einem der Must-Go-Places im Iran des Schah gemacht hatte, verstand sich bestens mit Reza Pahlevis berüchtigtem Geheimdienst Savak. Kein Wunder, dass der Erzähler nichts dabei findet, eine Art IM-Erklärung zu unterschreiben, um aus dem Shekufeh-Gefängnis herauszukommen. Liebevoll beschreibt er es als "Disney-Kerkerland", in dem Tee und Opium fließen.
Es ist aber nicht die Koketterie des Dandys mit dem Totalitären, die Zolghadr alias Zolghadr nach Teheran führt. Er muss nicht seine Wertedepression West an den Diktaturen Fernost kurieren, wie das schwule Freundespaar, das in Christian Krachts Roman 1979 nach Teheran pilgert und schließlich in einem chinesischen Umerziehungslager Läuterung im Ertragen großer Qualen findet (Freitag 50/2001). Des echten Zolghadrs Familie verließ 1979 den Iran. Inzwischen lebt seine Mutter wieder dort. Er selbst kommt, wie er in einem Interview erzählte, jedes Jahr drei bis vier Wochen nach Teheran, um Verwandte und Freunde zu treffen. Mit Softcore unterläuft Zolghadr das vorgegebene Sprechen über den Iran: wohltuend lässig, in einer Sprache jenseits von Empörung und Rechtfertigung.
Wenn sich dieser nachholende Popliterat etwas von seinem Vorbild und Bewunderer Kracht abgeschaut hat, dann das Erzählverfahren: Die Liebe zum Detail und einen Markenfetischismus, der Naomi Klein die Zornesröte ins Gesicht treiben würde. Die Methode, die den Popliteraten das Etikett der "Archivisten" der Gegenwart eingebracht haben, ist zwar seit Krachts Faserland nicht mehr taufrisch. Und sie hat oft den Nachteil, dass man den Wald vor lauter Bäumen nicht sieht. Doch in Softcore verwandelt sich der düstere Schurkenstaat unter dem labelgestählten Blick des Ich-Erzählers in einen strahlenden Zwitter: Der Protagonist registriert die offiziellen "Bürokraten in weiten grauen Anzügen", die an Fanta nippen genauso wie die hippe Jugend in Nike und Puma-Turnschuhen, die Papis BMW fährt, Koks zieht und Rosinenschnaps bis zum Umfallen trinkt.
Auch wenn Zolghadr in seinem Buch mit so nützlichen Informationen aufwartet wie der paniranischen "Faszination für tatzenfüßige Rokoko-Sessel". Natürlich darf man nicht alles, was seinem Protagonisten in Teheran und Umgebung so auffällt, für bare Münze nehmen. Zolghadr schreibt ja keinen Reisebericht, sondern einen Roman. Aber auch an der mitunter überdrehten Fiktion wird nicht nur die Realität einer globalisierten Massenkultur deutlich, gegen die keine Religion an kann und der des Hassgegners USA bis auf die Schnürsenkel gleicht. Sondern auch die Polychromie einer neuen, erstaunlich vielfältigen iranischen Zivilgesellschaft, die das System von innen zu transformieren beginnt.
Zolghadr beherrscht den Popsound aus Ironie und Distanz mit traumwandlerischer Sicherheit. Doch als bloßer Epigone Christian Krachts dürfte er kaum in die Literaturgeschichte eingehen wollen. Oder um mit der abgefahrenen Kunstszene abzurechnen, der er selbst entstammt. Das Promessa, eine Mischung aus Kult-Bar und postmodernem Projekt, ist das Symbol für diese abgehobene Welt, die vom Latte Macchiato bis zur postkolonialen Theorie alles im "interdisziplinären Wissenstransfer" verquirlt und dann in "Räumen der Alterität" ausstellt. Wenn er diesen Jargon durch den Kakao zieht, merkt man Zolghadr den Überdruss an seinem selbstreferenziellen Biotop an.
Doch der Mann wäre nicht Kurator, wenn er mit dem Roman nicht auch eine Chance sehen würde, sich über den Umweg seines Protagonisten selbst zu kuratieren. Dessen Egomanie fällt schon in der Eingangsszene auf, wo er sich mit den Worten beschreibt: "Obwohl ich tatsächlich um einiges jünger bin, wirke ich wie Mitte dreißig, dürr, klein und etwas gebeugt, mit auffallend vollen Lippen, die roten Haare im Cäsarenschnitt über einer hohen Stirn. Auch wenn ich eigentlich ziemlich selbstsicher bin, gelingt es mir nie, nicht gehemmt auszusehen". Selbst das Kulturministerium ist genervt: In einem Dossier über ihn mokiert es sich über seine "surreale sexy Kunst-Pose".
Hier stößt man zum heißen Kern des Buchs: Immer wieder führt sich der Autor via Protagonist als narzistisches Weichei mit Hang zum Weltschmerz vor, als ebenso launischen wie sensiblen Macho, der zwischen "errötender Höflichkeit und aggressivem Zurschaustellen von Desinteresse" schwankt - ein "linkischer Casanova", bei dem man nie so recht weiß, was er eigentlich von den (seltsam blass gezeichneten) Frauen will. Zwar gefällt ihm deren "Fick-mich-Blick", der Sex wird ihm aber schnell unangenehm. Wenn die iranische Revolution, so geht es diesem Tirdad einmal im Gefängnis beim Anblick seiner unschuldig-authentischen Wächter mit Viertagebart und Föhnfrisur durch den Kopf, über das "verheißungsvollste Männlichkeitsparadigma" unserer Zeit verfügt, dann ist dieser distinktionswütige Softie, theoriestark aber bindungsschwach, also das Auslaufmodell? Wir wünschen dem fiktiven Tirdad jedenfalls raschen Paradigmenwechsel!
Diese Lust am erotisch aufgeladenen Spiegelkabinett hat Zolghadr natürlich genauso von dem amerikanischen Autor Bret Easton Ellis wie den Versuch, Ästhetik und Schrecken zu verbinden. Glamorama in Teheran: Wenn bei einer Party eine Frau betrunken auf den Couchtisch aufschlägt und sich die Blutspritzer "in jenem amüsanten Jackson-Pollock-Muster auf dem weißen Bärenfell" ausbreiten, wird der Bezug auf Ellis´ Kultroman offenbar. "Grausam und anmutig", im selben Stil, den er sich für das Promessa wünscht, soll es auch in seinem Roman zugehen. Mit kalter Präzision sieht der Protagonist seinen Tod voraus, langsam versickerndes Blut auf dem Flokati-Teppich inklusive. Doch ob beim Blow-Job mit Mina oder bei der turbulenten Eröffnungsfeier des Promessa mit Michael Moore und Bono - die fiebrige Intensität seines Vorbilds erreicht Zolghadr bei solchen Szenen nicht. Da bleibt dieses raffinierte Plädoyer für die Ambivalenz dann doch nur Softcore.
Tirdad Zolghadr: Softcore" target="_blank">Softcore. Roman. Aus dem Englischen von Johann Christoph Maass. Kiepenheuer, Köln 2008, 224 S., 8,95 EUR
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.