Demokratie braucht Transparenz. Aber diese Eigenschaft hat auch ihre Nachteile. Es kann dann nämlich jeder hineinschauen in diese Demokratie. Und sich sein eigenes Bild machen. Und Sachen entdecken, von der er bislang wenig wusste.
Jedenfalls guckten die Angestellten in der Berliner SPD-Zentrale am Montag in der Mittagspause mindestens zweimal hin, wer die Dame in dem hellbraunen Kostüm und mit den halblangen weißen Haaren ist, die da hinter großen Glasscheiben sitzt und einer kleinen Gruppe von Journalisten wortreich etwas erklärt.
Barbara Kisseler, immerhin Chefin von Klaus Wowereits Berliner Senatskanzlei, kennen offenbar die wenigsten im Willy-Brandt-Haus. Und gegen die Fotos von sozialdemokratischen Legenden wie Golda Meir, Gro Harlem Brundtland oder Bruno Kreisky, die in einem der vielen Konferenzsäle der SPD-Zentrale in Berlin-Kreuzberg hängen, sieht die silberhaarige Endfünfzigerin noch blasser aus als auf den Fotos, die man auf der Website des Berliner Senats von ihr finden kann.
Die Schattenministerin
Blass ist (leider) auch das Programm, das die schmale, hochgewachsene Frau in Berlin vorstellt. Frank-Walter Steinmeier hat die 1949 geborene Kisseler zu seiner Schatten-Kulturstaatsministerin erkoren. Im Falle seines Wahlsiegs soll die gelernte Theater- und Filmwissenschaftlerin im Kanzleramt den Platz von Bernd Neumann von der CDU einnehmen.
Nicht, dass Barbara Kisseler sich in der Kulturpolitik nicht auskennen würde. Schließlich war sie ein paar Jahre Staatssekretärin in der Berliner Kulturbehörde. Aber die jahrelange programmatische Fronarbeit in den Kulturämtern von Bonn, Hilden und Düsseldorf und im niedersächsischen Kultusministerium, wo sie (in der Amtszeit Gerhard Schröders) zuvor gearbeitet hat, hat deutliche Spuren in ihrem Programm und Auftreten hinterlassen.
Es wimmelt nämlich nur so von abstrakten Allgemeinplätzen in dem Programm, das Kisseler vorträgt: Die Formel von der „Kultur- als Gesellschaftspolitik“ hört sich natürlich gut an. Trifft aber, streng genommen, auf jedes Politikfeld zu. Denn welche Bindestrich-Politik ist schon keine Gesellschaftspolitik?
Zu Kisselers wohlfeilen Standards, für die man sich nicht viel kaufen kann, gesellt sich das sozialdemokratische einerseits-andererseits: Einerseits sieht Kisseler Kultur als gesellschaftliches "Bindemittel" und soziale "Prävention schlechthin". Andererseits soll man ihr den "Eigenwert" belassen und der Staat sie nicht instrumentalisieren. Einerseits soll Kultur ein öffentliches Gut bleiben. Andererseits will sie aber auch mit der Privatwirtschaft zusammenarbeiten.Einerseits leisten Künstler einen wichtigen Beitrag zur Gessellschaft. Andererseits kann und darf man diese Gesellschaft deren persönliches Lebensrisiko "nicht voll abfedern".
Einerseits sieht auch Kisseler Kultur als „Ländersache“, wie das amtliche Mantra in diesem Fall seit Jahrzehnten lautet. Anderseits kann sie sich schon vorstellen, das in der Föderalismusreform ins Grundgesetz geschriebene Kooperationsverbot des Bundes mit Ländern und Kommunen doch mal wieder außer Kraft zu setzen. Welchem der vielen Ansätze sie wann den Vorzug geben will, soll dann wohl die Praxis zeigen.
Ländersache Kultur
Zugegeben: Die Zeiten sind vorbei, als man sich in der Kulturpolitik mit griffigen Formeln profilieren konnte. Das Motto von der "Kultur für alle", mit der Hilmar Hoffmann in den siebziger Jahren sozialdemokratische Kulturpolitik überhaupt erst erfand, gehört heute zum unerklärten Grundbestand der Kulturpolitik fast aller Parteien, fast so wie die soziale Marktwirtschaft.
Aber wie sich Kisseler mit solch schwammigen Formeln von Bernd Neumann unterscheiden will, dem erfolgreichsten Kulturstaatsminister, den das 1998 von Gerhard Schröder eingerichtete Amt in den zehn Jahres seines Bestehens bislang gesehen hat, vermag man sich nicht recht vorzustellen.
Ein Hauch von Inhalt blitzte auf, als Kisseler Kultur als das „Glück gesteigerter Gegenwart“ definierte. Aber wie ein ideologisches Schisma wirkt es jedenfalls nicht, wenn sie betont, dass in die Gesetzesnovelle zur Provenienzforschung, die Minister Neumann plant, „mehr Sachverstand einbezogen werden“ müsse, als seine Behörde das bislang vorhatte.
Auch sonst wird Kisseler nicht gerade konkret. Wie sie die 500.000 Arbeitsplätze in der Kreativwirtschaft aus dem Boden stampfen will, die ihr Chef in seinem „Deutschlandplan“ als Beitrag der Kultur zum Wirtschaftsaufschwung versprochen hat, bleibt ihr Geheimnis. Und bei der Frage nach ihrer Haltung zum geplanten Einheitsdenkmal in der Mitte der Hauptstadt muss sie passen. „Das weiß ich nicht“, sagt sie sympathisch ehrlich.
Für jemand, der „schon immer Kultur gemacht hat“, wie Kisseler gern selbstbewusst betont, ist das ein bisschen wenig. Monatelang tobte quasi direkt vor ihrem Arbeitsplatz im Roten Rathaus von Berlin die Debatte um den Sinn des Mahnmals und die – kürzlich geplatzte – Ausschreibung für den Wettbewerb dazu. Wer sich in ideologischen Kernfragen so vorsichtig verhält, dem nimmt man nur schwer ab, dem Amt des Kulturstaatsministers wieder mehr diskursives Gewicht verleihen zu können.Die Streitlust in Grundsatzfragen vermisst Kisseler bei Bernd Neumann.
Kein Zweifel: Barbara Kisseler gibt sich Mühe. Doch der Funke will bei ihr nicht so recht überspringen. Es hat so einen ungut nationalen Unterton. Aber was das eigene Personal anbetrifft, das Frank-Walter Steinmeier in seinem "Kompetenzteam" aufgeboten hat, macht der Wahlslogan der SPD schon Sinn. Man kann ihn sehen, wenn man mit dem gläsernen Aufzug des SPD-Hauses zurück hinunter ins Foyer gleitet. Hinter einer großen Rednertribüne in dem dreieckigen Atrium prangt dort in großen roten Lettern der Spruch: Unser Land kann mehr.
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