Literaturkritik als Schwundstufe

Aus für Heidenreich Wir werden Elke Heidenreich nicht vermissen. Belegt sie doch nur, dass Literaturkritik im Fernsehen die Geschichte eines Rückschritts ist: von der Polyphonie zur Einstimmigkeit.

Natürlich wird uns Elke Heidenreich fehlen. Denn mit ihrer Art, die Dinge unverblümt anzusprechen, war die Kölner TV-Moderatorin eine Ausnahmeerscheinung unter den nur scheinbar menschelnden Formatklonen des öffentlichen-rechtlichen Fernsehens. Stets handelte sie nach dem Motto Martin Luthers: Wes des Herz voll, des quillt der Mund über. Und wie das bei Menschen dieser Glaubensrichtung dann so ist: Gut möglich, dass sie sich nach der Schimpfkanonade Richtung ZDF am liebsten wieder den Mund zugehalten hätte. So dumm ist Elke Heidenreich nicht, dass sie nicht wüsste, wie sehr sie und ihre Mission vom Fernsehen abhängen. Und wahrscheinlich hängt sie doch an dem Medium, das sie angeblich so verachtet. Aber da war es schon zu spät. Jetzt ist Elke raus.

Trotzdem: Richtig fehlen wird sie uns nicht. Auf der einen Seite machte sie für Millionen Zuschauer den Typus des passionierten Lesers populär. Was in Zeiten von PISA, geschätzten vier Millionen sekundärem Analphabeten und I-Pod ja auch kein ganz schlechtes Vorbild ist. Auf der anderen Seite repräsentierte ihre Sendung immer nur eine Schwundstufe der Literaturkritik. Viel mehr als eine Empfehlung war es nicht, wenn sie bloß aufgrund einer fesselnden Lektüre in den Begeisterungsruf "Lesen!" ausbrach. Ästhetische Kriterien hörte man selten. Und diese Art von „Laienkritik“ verschwindet mit dem Rauswurf Heidenreichs nun wirklich nicht. Wer ins Netz geht, wird von einer Flut von Leser-Rezensionen überschwemmt, die denen von Elke Heidenreich in ihrer argumentativen Schlichtheit nicht nachstehen.

Heidenreichs Magazin steht auch am Ende eines langen Abstiegs: Angefangen hatte die Literaturkritik im Fernsehen, als Marcel Reich-Ranicki 1977 eine Kritikerrunde zum Ingeborg-Bachmann-Preis zusammenrief. Vor laufenden Kameras wurde da zum ersten Mal öffentlich über Literatur diskutiert. Bis zu neuen Kritiker saßen da rauchend um einen großen Tisch. Beim Literarischen Quartett waren es schon nur noch vier, die in schweren Lederpolstern versanken. Zum Schluss plauderte Elke ganz alleine vor sich hin. Auch die TV-Formate ihrer Kollegen Denis Scheck und Susanne Fröhlich in ARD und MDR sind reine One-Man- bzw. -Woman-Shows, bei denen Autoren oder Kritiker nur als Sättigungsbeilage geduldet sind. Literaturkritik im Fernsehen – das ist die Geschichte eines Rückschritts: von der Polyphonie zur Einstimmigkeit.

Wir verstehen, dass die deutschen Verleger, die jetzt all wie ein Mann um Elke kämpfen, auch um ein unersetzliches Marketing-Instrument kämpfen: die kleine rote Schleife mit dem Heidenreich-Zitat, die der Buchhändler am Morgen nach der Sendung seinen Büchern überstülpen konnte, um orientierungssüchtige Leser zu überzeugen. Doch wer sich nach dem Abgang einer streitbaren Frau Sorgen um die Literaturkritik im Fernsehen macht, sollte auch über die Frage nachdenken: Wie verschafft man ihr wieder das, was ihr darin verloren ging: Dialog und Kritik.

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