Wer hat Angst vor'm Internet? Alle. Und wenn es kommt? Dann schreiben wir! Nach dem ersten Schock über die digitale Revolution ist die Stimmung in der Literatur umgeschlagen. Ganz entspannt im Hier und Netz stellt jeder noch den letzten unredigierten Text in den Raum. Kaum noch zu zählen die Netztreffs der Literaten. Natürlich hat dieser Siegeszug der Neuen Medien die Literatur verändert. Der amerikanische Erfolgsautor Michael Crichton hat kürzlich erklärt, wie enorm sich Lesen und das Erzählen durch sie beschleunigt. Die Forward-Taste macht den Leser zum Mitautor. Aber verschwindet die Literatur deshalb gänzlich im Netz?
Fast hätte man den Eindruck haben können, als ein überforderter Bertelsmannmanager vergangenes Wochenende im Berliner Literarischen Colloquium das Tagungsmotto der von ihm gesponsorten Konferenz "elektroLit" immer mit dem ihm wahrscheinlich noch aus dem Physikunterricht aus seiner Steinzeitjugend erinnerlich gebliebenen Wort Elektrolyt verwechselte. Doch wie eine Lösung, die sich durch den elektrischen Strom zersetzt, sieht die Literatur im Netz noch nicht aus. Eher löscht sich die Literaturkritik im immer familiäreren Netzpalaver zwischen Autor und Leser auf, wie Sigrid Löffler grantelte.
Die Literatur kann man dort sogar wieder richtig hervorholen. Wie der Germanist Heinz-Ludwig Arnold mit seinem printing-on-demand-Projekt vergriffener Auflagen guter Bücher. Zwar schlüpft der Text in ganz neue Darreichungsformen. Doch mit dem sinnlichen Eros, der von einem aufgeschlagen daliegenden Buch ausgeht, kann das neue Rocket-Book der Firma Nuvomedia, in dem man bis zu zehn Bücher speichern und auf dem Bildschirm lesen kann, nicht mithalten. Als Lexikaspeicher mögen diese elektronischen Medien, die sich noch mit Halbleinen als gutes altes Buch tarnen, taugen. Bellestristik lässt sich damit aber nur schwer wirklich geniessen. "Etwas, was die Welt nicht braucht", fand die Berliner Schriftstellerin Terezia Mora nach einer ersten Verkostung. Aber vielleicht sind die kleinen schimmernden Elektrobooks mit ihren Bedienungspiktogrammen der Vorschein einer globalen, transalphabetischen Ära?
Das käme Boris Groys entgegen. Für den Kulturphilosophen ähnelt Duchamps Pissoir-Effekt dem Fensterrahmen im Computer. Die Platzierung macht die Kunst. Wer, wie der Kommunikationsforscher Norbert Bolz, das Kultmarketing mancher Autoren im Netz beklagt und diesen Drift zur Selbstinszenierung bei sich selbst beobachtet hat, wie der zeitweilige Internetautor Matthias Politycki, wird ihm recht geben. Doch Groys überträgt allzu kurzschlüssig die Techniken der Konzept-Kunst, die alles Handwerk hinter sich lässt, auf ein anderes Medium. Seine "Zukunft der Literatur jenseits des Schreibens" dürfte noch etwas auf sich warten lassen. Ganz wird der Textkurator den Schriftsteller nicht ersetzen. Kein Netzautor begnügt sich damit, fremde Texte in den Digitaläther zu schieben und zu Kunst zu erklären. Wenn eines die jüngste Popliteratur auszeichnet, dann doch, dass sie alle schreiben wollen, auch wenn sie es vielleicht kaum können.
Bislang unsichtbar bleibt bei dieser technomanischen Schreiblust aber eine wirklich neue Qualität. Mehr als das Metadesign (Siegfried Zielinski) der Oberflächen scheint bei dieser Literatur noch nicht herausgekommen zu sein. Ein paar Hyperlinks im gut gestylten Text machen noch keine neue Sprache. Was unterscheidet die auf CD gebrannte und mit Geräuschen abgemixte Live-Performance des Berliner Pop-Literaten Claudius Hagemeister von einem (schlechten) Radio-Hörspiel? Ähnlich bei Tim Staffels neuestem Streich. Sein computeranimiertes und technomusikalisch zur Filminszenierung verwandeltes Theaterstück Das Mädchen mit dem Flammenwerfer kann man im Netz aufrufen. Man kann auch mehrere Entwicklungsvarianten und Hauptpersonen der Story mit ihren Nebengeschichten anklicken. Doch geschrieben hat diese interaktive Mogelpackung nur er selber.
Immerhin er selber. Ginge es nämlich nach Peter Weibel, dem Chef des Medienzentrums in Karlsruhe, müsste die "technisch obsolete" Literatur alles dem Algorithmus überlassen. Doch abgesehen davon, das dieses scheinbar anonym waltende Computer-Schema zur Umformung von Zahlenreihen auch mal irgendwann von irgendwem programmiert worden sein muss. Dass mehr als alle technischen Finessen humane Qualitäten beeindrucken, beweist der white boy Digitalrapper Bastian Böttcher. Sein per Mouseclick in der Netzfassung umsteuerbarer Rap ist ja ganz schön. Noch schöner ist aber sein Spaß an der Freude, wenn er die Zeile vorträgt: wirf dich weg mit high tech.
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