Möbel Olfe

Berliner Abende Kolumne

"Ich komme grad von einer schrecklichen Party in Mitte." Luck schnauft verächtlich und lässt sich erleichtert auf den Barhocker fallen. Die anderen in der Runde lächeln nachsichtig. Mitte. "Wer fährt denn noch nach Mitte", stöhnt Wolfgang und verdreht die Augen. Bei dem Elfenkünstler muss man zwar abrechnen, dass er seinen Kiez an der Waldemarstraße ungern weiter verlässt als bis zum Kottbusser Tor. Recht hat er trotzdem. Kreuzberg hat wieder einen intellektuellen Fixstern: Alle pilgern zu Möbel Olfe.

Wie das genau kam, weiß keiner mehr so genau. Aber eines Tages muss wohl das Möbelgeschäft im Durchgang des Betongebirges über dem Kottbusser Tor, bei dem die Stadtplaner in den Siebzigern den sozialen Wohnungs- mit dem Festungsbau verwechselt haben, die Hoffnung aufgegeben haben, noch jemals eine gut gepolsterte deutsche Sitzgruppe an die multikulturelle Hartz-IV-Kundschaft drum herum loszuwerden. Wahrscheinlich sind sie einfach samt Möbeln geflüchtet. Nur die Neonreklame haben sie auf dem Dach stehen lassen. ÖBEL OLFE steht da in riesigen grüngelben Lettern. Das M ist kaputt. Inneneinrichtung kann man aber beim besten Willen nicht nennen, was sie unten beleuchten.

Angesichts des leeren Bunkers müssen sich ein paar Freunde aus dem Bermuda-Dreieck zwischen SO36, Bierhimmel und Roses auf der Oranienstraße gedacht haben: etwas Besseres als ´nen Ein-Euro-Job werden wir überall finden, haben die Not zur Kneipe gemacht und eine Sperrholztheke zwischen die zwei Betonwände gestellt. Durch ein verschmiertes Schaufenster blickt man auf den Basar namens Kottbusser Tor, durch die andere auf die fertigste Sackgasse von 36, direkt auf das Büro vom Ströbele. Ein Hauch von Bronx weht um die Ecken. Im Sommer beobachten alle mit Bierflasche in der Hand die Karawane von Kakerlaken zwischen den beiden Mülltonnen, die todessüß nach Fleischabfällen von den Dönerbuden um die Ecke stinken.

"Bis nachher im Olfe?" hatte mich Dirk am Telefon gefragt. Das war natürlich rhetorisch gemeint. Wo soll man sonst schon hingehen? Berlin schminkt sich den Mittechic wieder ab und kehrt zurück zum alternativen Urschlamm. "Auch nicht gerade die Flick-Collection, was?" Skeptisch mustern wir mitternachts die neuen Ölbilder an den Betonwänden. Der grelle Neoexpressionismus stört den Olfe-Charme, die unnachahmliche Mischung aus Quartiersmanagment und Volksbühne. "Sie hätten lieber das schöne Istanbul-Foto hängen lassen sollen." Vorne am Tresen drängeln sich alle Kreuzberger Stämme in friedlicher Thekenkoexistenz um polnisches Bier: die studentische Trainingsjackenavantgarde, die grauen Panther der Popkomm, barhäuptige historische Edelpunks und camouflierte Nachwuchsautonome - mit Basecaps und Kapuzenpullovern die Konföderierten der Szene sozusagen. Undurchdringlicher Rauch hängt über allen.

"Ich finde das ja Scheiße, dass der Flick im Hamburger Bahnhof ausstellen darf", mosert Dirk und reicht den Joint weiter. "Na ja, wenn er die Hallen bezahlt", entgegnet Matthias und handelt sich Empörung ein. Was quasselt denn vorne Turner-Preisträger Wolfgang Tillmans auf einen von den tätowierten Skins ein, die vor dem Klo immer Tischfußball spielen? Der hängt ja nun auch bei Flick. Man kann nichts verstehen. Françoise Cactus schnattert so laut. Eine Frau in abgewetzter Lederjacke einen Ellenbogen weiter reicht mir wortlos einen Bierdeckel, auf den sie "Tilmans ist gar nicht so gut" gekritzelt hat. Das findet der andere Wolfgang natürlich auch. Aber bei dem Elfenkünstler muss man abrechnen, dass seine Tödliche Doris in den Achtzigern sowieso immer besser war. Herrlich! Ich liebe diese Mischung aus Coolness, Missmut und Nostalgie. Olfe ist der ideale Ort für den "Misanthropenstammtisch". Sein lila Wimpel steht neben dem Plastikikebana und dem Männeken Piss. Welcher Herr Lehmann wird einst von unseren Nächten im Olfe berichten?

An seinen gläsernen Bullaugen ziehen die nächtlichen Tiefseefische vorbei: Jungtürken im federnden Machogang, zwei Senioren aus dem Altenheim nebenan schieben Gehhilfen Richtung Kotti. Drinnen steht auf Aschebergen und Salzstangenbröseln die Kreuzberger Bohème. Renata Stich tänzelt auf ihren silbernen Pfennigabsätzen. "Ihr glaubt nicht, wieviel Interviewanfragen ich heute morgen schon hatte", lässt die immer perfekt frisierte Kunstaktivistin, die immer im chicken Kostüm immer gerade aus New York kommt, die Runde wissen. Ganz Berlin hängt voll mit ihren Plakaten gegen die Flick-Collection. Ein paar Touristen aus Mitte sind schwer beeindruckt. Alles so abgefahren hier! Marc Brandenburg nicht. Er hat schon zuviel gesehen im Berliner Nachtleben. Was ist schon die Olfe gegen den Dschungel. Außerdem hat er selbst bald eine Ausstellung. Unbewegten Gesichts sitzt er auf einem Barhocker am Ausgang. Plötzlich steht er auf und geht. Zum Abschied winkt ihm der kleine goldene Plastikhund nach, der auf dem Tresen unaufhörlich seine Pfote schwingt.


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