Oil in die Lagune tragen

Rückfall Robert Storr vergibt auf der Kunstbiennale von Venedig die Chance, ein neues Kapitel der politischen Kunst aufzuschlagen

Mit dem Herzen denken. Unter diesem Motto zog die Grünen-Politikerin Petra Kelly einst in den politischen Kampf. Mit dem emphatischen Bekenntnis, Titel eines ihrer Bücher, unterschied sich das grüne Urgestein zwar von dem abgebrühten Pragmatismus der Altparteien wie Feuer von Wasser. Allzu oft landete sie damit aber bei einem moralischen Fundamentalismus, der vielleicht die Herzen rührte und für Begeisterung sorgte, an der Sache aber nicht viel änderte. Der Dalai Lama beispielsweise, ein enger Freunde der legendären Menschenrechtsaktivistin und Anwendungsfall dieser Maxime, ist der Befreiung Tibets bis heute bekanntlich keinen Schritt näher gekommen.

Eines Gefühls des Rückfalls in die Zeit der achtziger Jahre konnte man sich vergangene Woche in Venedig nicht erwehren, als der amerikanische Kurator Robert Storr die 52. Kunstbiennale von Venedig eröffnete. Think with the senses, feel with the mind (Denk mit den Gefühlen, fühle mit dem Verstand), hatte er mit unüberhörbarem Anklang an das Kelly-Motto seine Version der größten und wichtigsten Biennale der Welt überschrieben. Ohne wirklich deutlich machen zu können, was man sich denn nun darunter vorzustellen habe.

Nicht, dass die Verbindung von Ratio und Emotio ein überholtes Thema wäre. Die Aporien der Aufklärung, von der Friedenssicherung bis zur Energiepolitik, sind mit den Händen zu greifen. Kein Wunder, dass Wissenschaftler heute nach der "emotionalen Intelligenz" suchen. Und jede Generation entdeckt das Menschheitsthema neu: Wenn die Wiener Architektengruppe coop himmelb(l)au davon spricht, dass Architektur "brennen" müsse, geht es ihr auch darum, einen betriebsblinden Konstruktivismus zu konterkarieren. Als Motto einer Biennale ist Storrs Thema aber trotzdem einigermaßen redundant, weil es unausgesprochen über jeder Art von Kunst schwebt. Was sucht sie anderes als die Wahrheit mit sensitiven Mitteln?

Da, wo man sich bislang auf Überraschungen, auf Ungesehenes freute, in dem 1999 für die "Mutter der Biennalen" erschlossenen Arsenale, dem geheimen Militärareal des venetianischen Imperiums, ging es in diesem Jahr streng, ernst und seltsam aufgeräumt zu. Selten sah man in Venedig einen so konventionell bestückten Parcours wie den von Storr. Der italienische Künstler Paolo Carnevari zeigte ein Video von Kindern, die in den Trümmern des zerschossenen Armeehauptquartiers von Belgrad spielen. Der britische Künstler Neil Hamon hatte das fotografische Arsenal der Kriegsgeschichte geplündert. Seine Bilder von Soldaten vom Ersten Weltkrieg bis heute riefen einen Prototypus des 20. Jahrhunderts auf. Die amerikanische Künstlerin Jenny Holzer hatte Guantanamo-Inspektions-Protokolle auf Leinwand übertragen. Die australische Künstlerin Rosemary Laing präsentierte Fotografien der Befestigungsanlagen, die Einwanderer dort erwarten unter dem schönen Titel Welcome to Australia. Die Liste ließe sich endlos fortsetzen. Die Frage, welche Perspektiven uns in der Zeit After Tomorrow, von dem italienischen Künstler Luca Buvoli (in Form einer riesigen Buchstaben-Installation) in das Eröffnungsrondell des Arsenale gestellt, war damit eindeutig beantwortet: Kriegerisch, verheert, menschenverachtend, abweisend.

Die Welt ist in den zwei Jahren seit der letzten Biennale so viel friedlicher nicht geworden. Aber es hat der Kunst noch nie genutzt, dieses Elend nur mahnend zu reproduzieren. Seit gut zehn Jahren stöhnt die Kunstwelt unter der Überlast sozialdokumentarischer Politkunst. Und jetzt, wo einer die Möglichkeit gehabt hätte, die interessanteren Ansätze, die sich dort herauszubilden beginnen, einmal paradigmatisch ins Spiel zu bringen, greift er zu den Landenhütern.

Zielsicher pickte sich Storr die uninspiriertesten und vordergründigsten Werke dieser Glaubensrichtung aus. Der argentinische Künstler León Ferrari begrüßte die Besucher mit dem riesigen Modell eines amerikanischen Bombers, auf dem der Heiland gekreuzigt war. Hatte Storr mit diesem Pamphlet-Objekt Vorbehalte entkräften wollen, die mancher gegen den ersten amerikanischen Direktor in der Biennale-Geschichte gehegt hatte? Zwischen Anklage und Mitleid schwankte seine ureigene Schau. In den Arsenale gelang es dem Professor und Kunstkritiker aus New York und Yale nicht, ein neues Kapitel der politischen Kunst aufzuschlagen. Stattdessen beschränkte er sich darauf, die Kelly´sche Schwundstufe der Aufklärungskritik visuell zu illustrieren. In Sachen ästhetische Gesellschaftskritik war Venedig 2007, zumindest im Rahmen der offiziellen Biennale, eine verpasste Chance.

Wenn, zum Glück, nicht mancher Länderpavillon in den Giardini gewesen wäre, dem Kernland der Biennale seit 110 Jahren. In diesen, von Einzelkuratoren verantworteten Stationen konnten die Besucher beispielhaft erleben, wie den sattsam bekannten Aporien der politischen Kunst zu entgehen sein könnte. So präsentierte im Haus der Niederlande Aernout Mik eine dreiteilige Video-Installation. In drei Filmen wurden Trainingssituationen von Polizisten bei klassischen Staatsfunktionen nachgestellt: Verhaftungen, Demonstrationssicherung, Grenzkontrollen. Drumherum hat der Holländer ein Matratzenlager und vergitterte Zellen arrangiert. So wie in den scheinbar dokumentarischen Filmen mit dem bezeichnenden Titel Citizens and subjects die Szenen plötzlich surreal werden und es zu einem unmerklichen Rollenwechsel zwischen Polizisten und Gegnern kommt, geht Mik über die Anklage hinaus. Man meint, einer Zeremonie der Umkehrung beizuwohnen.

Die Aufsehen erregende Wahlwerbung Democrazy des jungen italienischen Künstlers Francesco Vezzoli im Pavillon seines Landes sieht auf den ersten Blick nach dem klassisch-linkem Entlarvungsgestus aus. Zu sehen sind in einer Rotunde auf zwei gegenüberliegenden Großleinwänden die Werbespots von zwei US-Präsidentschaftsbewerbern. Wer genau hinschaut, wird sehen, dass sie von zwei veritablen Stars überaus professionell gespielt werden: Der amerikanischen Filmschauspielerin Sharon Stone und dem französischen Philosophen Bernard Henri-Lévy. Ganz neu ist die Idee nicht, die Ersetzung der Politik durch das Politmarketing und die Ersetzung substanzieller politischer Bewegungen durch Personality-Events aufs Korn zu nehmen. Auch dem Titel eignet etwas Effekthascherisches. "Aber ich tue es eben in der Sprache der Kunst", unterscheidet der enthusiastische Italiener im Gespräch sein Werk von ähnlichen Produkten aus der Abteilung Agitprop.

Auch den von Nicolaus Schafhausen kuratierten deutschen Pavillon konnte man dazu rechnen. Wer nach der frühen Ankündigung der Berliner Bildhauerin Isa Genzken, dass ihre Arbeit den Titel Oil tragen werde, eine ästhetische Neuauflage des berüchtigten Friedensbewegungs-Mottos Kein Blut für Öl befürchtet hatte, sah sich aufs Angenehmste und Vieldeutigste enttäuscht. In den durch orangefarbene Bauplanen unsichtbar gemachten Nazi-Bau hatte die für ihre radikalen Setzungen bewunderte Genzken ein Astronautenpärchen gelegt. Im Hauptraum stand eine Armada von Rollkoffern, auf denen Eulen thronten; Galgenstricke baumelten von der Decke. Genzkens cooler Hardcore-Glamour aus Spiegeln, Goldklebeband und silbern besprühten Puppen steigerte ihr Arrangement zum Bild einer Endzeitvision, die eisige Beklemmung hinterließ - das Bild einer Menschheit, die sich selbst an den Strick liefert, auf der Flucht vor sich selbst. Genzkens Werk sprach für sich. Stundenlang standen die Besucher vor dem deutschen haus Schlange.

Wer nach dem nach dem tieferen Sinn von Storrs vordergründig missverstandenem Biennale-Motto suchte, wurde bei dem Chef der Schau selbst nicht fündig. Sondern bei Sophie Calle im französischen Pavillon. Die französische Künstlerin hat in ihrer Arbeit das Ende ihrer letzten Beziehung verarbeitet. Die Trennungsemail, die ihr Freund ihr schrieb, gab die verzweifelte Calle an 107 Freundinnen weiter. In drei Räumen sieht man von der Schauspielerin Jeanne Moreau bis zur Elektropunkerin Peaches jede Menge Prominente über das Schreiben gebeugt. Sie alle versuchen das Schriftstück auf ihre Weise zu interpretieren. Ihre Beziehung hat Calle diese Arbeit nicht zurückgebracht. Die über drei Räume ausgebreitete, autobiographische Enzyklopädie wirkt auch etwas überdimensioniert. Doch wer der indischen Tänzerin zusah, wie sie den Abschiedsbrief zu tanzen versuchte, gewann eine kleine Ahnung davon, was das heißen könnte - mit dem Herzen zu denken.

Think with the senses - feel with the mind. 52. Biennale von Venedig. Noch bis zum 21. 11.2007, Katalog, Edizione Marsilio, Roma, 50 EUR.

www.labiennale.org

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