Von Davida lernen

Traumbett Die 10. Kunstbiennale von Istanbul wagt sich zurück in die Politik

Wo bleibt das Positive? In diesen Stoßseufzer verfällt Otto Normalverbraucher gern, wenn er abends die Nachrichten einschaltet. Unter Intellektuellen ist "das Positive" eher verpönt. Wer es dem Negativen vorzieht, fällt dem Verdacht anheim, Gesundbeter zu sein. Erich Kästner spottete in seinem berühmten Gedicht über diese Spezies, sie wickle die Sorgen in Seidenpapier.

Die Gefahr, auf die sich der chinesische Kurator Hou Hanru einließ, als er den Satz Optimism in the times of global war zum Motto der 10. Istanbuler Kunstbiennale machte, lag also auf der Hand. Ist der Mann naiv, fragten sich viele in der Kunstwelt. Was um Himmels willen soll bei so einem Motto herauskommen? Zeige deine Wunde hatte Joseph Beuys einst dekretiert. Sollte die Kunst nicht besser Salz in diese Wunden streuen?

Als großer Optimist wird der Chinese mit Wohnsitz in Paris und Arbeitsplatz in San Francisco aber trotzdem nicht in die (Kunst-) Geschichte eingehen. Denn was er auf seiner Biennale präsentierte, wirkte mehr wie ein Panorama der Endzeit als eines des Optimismus. Wer die heruntergekommene Lagerhalle Antrepo im Istanbuler Hafen betritt, die Hanru zu einem seiner Ausstellungsorte erkoren hatte, geht direkt auf ein Wand füllendes Ölgemälde der Moskauer Künstlergruppe AES+F zu. Auf einer utopischen Landschaft erstechen darauf androgyne Jugendliche in Camouflagekleidung einander, sich selbst und ihre Stofftiere. Ein an ein Computerspiel erinnerndes Gemetzel, in dem Täter und Opfer nicht mehr zu unterscheiden waren und das den aufmunternden Titel The Last Riot - Der letzte Aufstand trägt.

Nebenan kann man dem Österreicher Rainer Ganahl über die Fahrradschulter schauen. In einer Videodokumentation hat er seine Fahrt zu 21 Stellen in Istanbul aufgezeichnet, an denen kritische türkische Journalisten ermordet worden waren. Selbst auf scheinbar anthropologische Grundkonstanten scheint kein Verlass mehr. Der indische Künstler Hamra Abbas hat seinen bunten Popskulpturen Lessons in Love, die Motive aus der indischen Miniaturmalerei in die Plastik überführen, Waffen in die Hand gedrückt. Die Kehrseite der Liebe ist und bleibt die Gewalt.

Nach den enttäuschenden Ausstellungen Robert Storrs in Venedig und Roger Buergels in Kassel gelang Hanru in Istanbul so etwas wie ein Sprung zurück in die Politik. Nach ästhetischen Auswegen aus der globalen Krise muss man am Bosporus allerdings mit der Lupe suchen. Die stoßfeste rote Schutzjacke für Demonstranten, die der türkische Künstler Burak Delier erfunden hat, schützt zwar vor überbordender Staatsgewalt, zivilisiert sie aber noch nicht. Nach dem im BiennalenTitel beschworenen Optimismus dringlich suchend, blieb dem Besucher nur der Blick hinauf zur Außenwand des Antrepo, an die der chinesische Künstler Yang Jiechang eine leuchtend blaue Neonröhre montiert hatte: I believe in angels beleuchtete zwar sehr schön die Eröffnungsnacht. Doch ob man mit noch so glamouröser Spiritualität aus dem global war herausfindet?

Das Positivste dürfte diese Biennale noch in der Stadtplanung bewirken. Mit der Wahl der Ausstellungsorte hat Hanru zielsicher den Finger in ein paar schwärende Istanbuler Problemherde gelegt. Drei von ihnen sind vom Abriss bedroht. Sowohl die Atatürk-Kulturhalle auf Istanbuls zentralem Platz Taksim als auch die Antrepo-Lagerhalle im Hafen direkt neben dem vor zwei Jahren spektakulär eröffneten Kunstmuseum Istanbul Modern sollen gigantischen Shopping Malls weichen. Auch das zu Beginn der siebziger Jahre erbaute IMC-Manufakturzentrum im Stadtteil Unkapani will die Stadt abreißen. Das Boomland Türkei entledigt sich seiner Geschichte. Dass diese Gebäude nun via Biennale ins öffentliche Bewusstsein gerückt werden, dürfte die Gegner der Abrisspläne stärken.

Der in den siebziger Jahren entstandene IMC-Komplex ist ein bizarres Paradox. So monoton die sechs Betonblöcke an einer der meistbefahrenen Magistralen der Stadt wirken - sie sind doch ein architektonisches Zeugnis der türkischen Moderne dieser Zeit. Inzwischen haben sich in den unzähligen Parzellen und Höfen vorwiegend muslimische Handwerker eingenistet. In dieser labyrinthisch ausdifferenzierten Parallelgesellschaft kann man von Gardinen bis zu CDs nahezu alles erstehen. Hier decken aber auch verschleierte Muslimas ihren Bedarf an jenen lang geschlossenen Kutten, die den Frauen im Westen heilige Schauer über den Rücken laufen lassen.

Auf diesem Basar platzierte Hanru die Fotoinstallation des slowenischen Künstlers Tadej Pogacar. In seinen Bildserien Code Red Brasil, Daspu geht es um das Projekt "Davida". Unter diesem Namen hatten brasilianische Prostituierte ein eigenes Modelabel kreiert, um aus dem Erlös dieser Kleider ihre Streetworker-Projekte oder den Kampf gegen Aids zu finanzieren. Man kann darüber streiten, ob diese Dokumentation wirklich Kunst ist. Immerhin transportiert sie ein Mut machendes Projekt der Selbstorganisation von Randgruppen und Minoritäten.

Nicht nur an diesem Ort zeigte Hanru, wie subtil, präzise und beziehungsreich er zu kuratieren versteht. Die Atatürk-Kulturhalle, mit ihrer Stahlgitterfassade eine Mischung aus Palast der Republik und Gelsenkirchener Stadttheater, das Wahrzeichen der säkularen türkischen Moderne, funktionierte er zum Ort der Reflektion über ihre Zukunft um. Die Fotografien der amerikanischen Künstlerin Nancy Davenport zeigten die Tristesse von Wohnsilos in den USA; die des Österreichers Markus Krottendorfer das längst abgerissene Hotel Rossija in Moskau. Und bei dem Armenier Vaghram Aghasyan sind Ansichten der Geisterstadt Mush in seiner Heimat zu sehen. Hier versinkt eine nach einem Erdbeben begonnene und nie vollendete Trabantenstadt allmählich im Wasser. Riesige Betonklötze stehen inmitten menschenleerer Wildnis. So entsteht in einem historischen Augenblick, in dem die Türkei einen neuen Anlauf zur Moderne nimmt, ein eindringliches Bild von ihrem Aufstieg und Niedergang überall auf der Welt.

Gemessen an ihrem hohen Anspruch musste diese Biennale natürlich scheitern. Warum sollte gerade der Kunst ein Ausweg aus der Krise einfallen, der dem Rest der Welt bislang verborgen geblieben wäre? Es sei denn, man betrachtet die Animationstechnik, mit der der chinesische Künstler Cao Fei die Megalopolis RMB City für Second Life plant, als probates Mittel, der bösen Welt eine andere, womöglich bessere abzutrotzen.

Das schlagendste Beispiel jener "Modernisierung von unten", um die es Hanru ging, ist noch die Biennale selbst. Je größer die 1987 aus Künstlerinitiativen hervorgegangene Schau wird, desto mehr nimmt zwar die Gefahr zu, dass sich am Bosporus ebenfalls der Mainstream breit macht, der die konkurrienden Ausstellungen von Guangzhou bis Lyon so verwechselbar macht. Nach Venedig und Sao Paulo zählt Istanbul inzwischen zu den Top Five der Branche, dabei wurden mit dem lachhaften Budget von gut drei Millionen Euro oft aufregendere Programme auf die Beine gestellt als bei den großen Schwestern. Doch die Biennale bleibt der Nukleus einer türkischen Zivilgesellschaft. Sie hat dem Land mit dem gelegentlich überbordenden Nationalstolz in Gestalt des Systems der Kunst ein Modell kritischer Selbstreflexion beschert, das es so schnell nicht wieder los werden dürfte. Noch 1992 wurde die türkische Künstlerin Hale Tenger mit sieben Jahren Haft bedroht, weil sie in einer Arbeit die Nationalfahne anstößig dargestellt hatte. Heute kann die Künstlergruppe Extramücadele unbeanstandet Poster verteilen, auf dem man das nationalistische Credo des Staatsgründers Atatürk, das an jeder Bushaltestelle prangt, umfunktionieren kann. In dem Satz - Derjenige ist glücklich, der von sich sagen kann, dass er ein Türke ist - kann man das Wort Türke durch Kurde, Armenier oder Homosexueller ersetzen.

Dass die zum Großereignis gewordene Biennale der türkischen Hochbourgeoisie wie dem in diesem Jahr als Sponsor aufgesprungenen Global Player Koc inzwischen als Plattform der Selbstinszenierung und Legitimation vor dem europäischen Kapital dient, muss echte Kunstfreunde nicht pessimistisch stimmen. Denn über den Umweg der bürgerlichen Revolution ist der Rest von Europa schließlich auch mal in die Moderne gestartet.

It´s not only possible, but also necessary. Optimism in the age of global war. 10. Istanbuler Kunstbiennale. Noch bis zum 4. November 2007. Katalog 20 Euro.


Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Verändern Sie mit guten Argumenten die Welt. Testen Sie den Freitag in Ihrem bevorzugten Format — kostenlos.

Print

Die wichtigsten Seiten zum Weltgeschehen auf Papier: Holen Sie sich den Freitag jede Woche nach Hause.

Jetzt kostenlos testen

Digital

Ohne Limits auf dem Gerät Ihrer Wahl: Entdecken Sie Freitag+ auf unserer Website und lesen Sie jede Ausgabe als E-Paper.

Jetzt kostenlos testen

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden