Kinder zwischen eins und sechs klettern, rutschen, rennen herum, buddeln im Sand. Die jungen Mütter, Väter, Großeltern, egal woher sie stammen, passen auf, dass ja keins wegrennt oder sonst was passiert.
Diese Szene, wie ich sie gerade auf einem Spielplatz in Berlin-Kreuzberg erlebt habe, könnte vom Titelblatt des „Ali Mitgutsch“-Kalenders für 2021 stammen. Ob es da nicht noch ein anderes Risiko gibt, frage ich mich. Alle ohne Maske, allerdings unter freiem Himmel. Seit ich selbst eine Enkeltochter habe, freue ich mich an jedem kleinen Kind. Und die Zweijährige liebt ja das Gewimmel – gerade auch in Bilderbüchern, in denen Corona (noch) keine Rolle spielt.
Inzwischen gibt es sogar einen Wimmelbuchverlag. Ali Mitgutsch, der dieses Jahr 85 w
dieses Jahr 85 wurde, hat viele Jüngere inspiriert. So auch die Grafikerin Alexandra Helm, die mit ihrem Gute Nacht Wimmelbuch auf großformatigem, dickem Karton Menschen, Tiere und Dinge in einer Vielzahl kleiner Alltagsszenen zusammenbringt, dass man jede Seite wieder und wieder anschauen mag. Wie es Abend wird und Nacht, lässt sie die Tiere im Wald und auf einem Bauernhof erleben, sie zeigt die verschiedenen Einschlafrituale in einem Mehrfamilienhaus. Sogar das Spielzeug und diverse Märchenfiguren gehen zur Ruhe. Dass sie nicht alleine sind im Dunkeln, sagt Helm den Kindern. Viele schlafen, einige allerdings sorgen dafür, dass alles gut bleibt am nächsten Morgen.„Aua“ ist politischHeile Welt? Gegen solchen Vorwurf hat Ali Mitgutsch in einem Interview einen anderen Begriff gesetzt: „heilbare Welt“. Denn dazu sind wir den späteren Generationen verpflichtet. Die freundliche Kraft, die in Kindern steckt, sie ist zu behüten, zu bestärken. Eins ist hingefallen auf dem Wimmelbild, das andere bläst auf das „Aua“. Sage keiner, das sei unpolitisch. Aus Mitgefühl erwächst Solidarität, von der es mehr geben sollte in Zeiten, da für viele nur eigenes Fortkommen zählt. Man sieht’s schon im Straßenverkehr. Dagegen handelt das Kinderlied Der Kuckuck und der Esel von Friedensbereitschaft. Heinrich Hoffmann von Fallersleben (1798 – 1874) schrieb den Text, Carl Friedrich Zelter (1758 – 1832) komponierte die Melodie, und die junge Berliner Designerin Julia Kotulla machte ein schönes Pappbilderbuch daraus. Da können Zweijährige schon verstehen, dass es gemeinsam besser geht als gegeneinander. Doch wird einem solches Gutsein nicht später ausgetrieben? In allen hier betrachteten Bilderbüchern geht es um einzelnes Verhalten, das sich den Verhältnissen auch entgegenstellt, um spielerische Überwindung einer Lähmung, was für Erwachsene eine Herausforderung ist.Groß genug, die Welt zu retten (Eulenspiegel) – weckt der schöne Titel nicht Illusionen? Kann die Welt gerettet werden, indem ein Kind Müll sammelt oder Bäume pflanzt, einen Gemeinschaftsgarten anlegt oder sich gegen Lebensmittelverschwendung wendet? Andererseits sind derlei Vorsätze ein Beginn. Es ist großartig, wie Loll Kirby (Text) und Adelina Lirius (Illustration) Mädchen und Jungen aus vielen Ländern mit Initiativen zusammenbringen, die vorbildhaft sein könnten. Das Thema Klimawandel wird hier so behandelt, dass es Aktivität herausfordert. Bei Vier- bis Zehnjährigen schon, die ihren Eltern darin voraus sein könnten: „Vertrete deinen Standpunkt! In der Schule oder zu Hause mit anderen zu sprechen, ist immer eine gute Idee – und vielleicht erfährst du auch Neues, indem du ihnen zuhörst.“Ganz anders, leider, das Buch Die grünen Stiefel von Hans Traxler (Kunstmann Verlag). Der berühmte Zeichner zeigt, wie ein kleiner Junge im Wasser steht, während sich ein Kajak voller Eskimos nähert, die bald, alle 20, in sein Kinderzimmer wollen. Die Polkappen sind wohl geschmolzen. „Die Regierung verteilt Sonnenbrillen und grüne Gummistiefel ...“ Am Ende war es nur ein nächtlicher Albtraum, und der Konflikt löst sich, indem die Familie in die Alpen reist, statt nach Ägypten zu fliegen. Tut mir leid, es ist zu simpel, wie hier Panik in Wohlgefallen übergeht. Dass ich Angstmache gegenüber kleinen Kindern grundsätzlich ablehne, hat mit eigener Erfahrung zu tun. Wir waren erst in der zweiten Klasse und pressten die Fäuste an die Ohren, wenn die Lehrerin in Karl-Marx-Stadt wieder einmal von den Gräueln der Nazizeit erzählte, von Verhaftungen und Folter in den Konzentrationslagern. Vielleicht gab es einen biografischen Bezug, oder sie wollte besonders eifrig bei der antifaschistischen Erziehung sein, die weit mehr verlangt als das Ausbreiten von Grausamkeiten.Jahrzehnte später hat meine elfjährige Tochter noch andere Horrorszenen aus der Schule mitgebracht. Sie meinte, in einem Weltuntergang zu sterben, weil – nach neuem Lehrplan wohl – die drohende Klimakatastrophe so drastisch erklärt worden war. Während in unserer Familie gedrückte Stimmung herrschte, denn mit der Währungsunion hat der Betrieb meines Mannes dichtgemacht.Folge deiner IdeeDass in der Welt Kinder traumatisiert werden durch Hunger, Krieg und Verfolgung, kann keine Begründung dafür sein, das Grundvertrauen dort zu verletzen, wo es noch wachsen kann. Gewiss doch, Autorinnen und Autoren schreiben sich selbst mit ein in ihre Bücher, ihre Befürchtungen, ihr Unglücklichsein vielleicht. Vor allen Dingen aber wirkt, was in den Medien dominiert, auf Themen und Sichten. Verkaufsträchtige Aufregungsproduktion verhindert nicht selten notwendigen Tiefgang und Denken in vielschichtigen Zusammenhängen.Wir leben, hierzulande, einigermaßen gesichert, in Krisenzeiten. Die Welt unserer Kinder wird wohl in manchem anders sein als die unsrige. Wie können wir sie darauf vorbereiten? Was werden sie brauchen?Beharrlichkeit, einer Idee zu folgen, auch wenn diese anfangs zerbrechlich scheint. Mut, eine Chance zu ergreifen, selbst wenn man sich einen Moment lang fürchtet. Und wenn es Probleme gibt? Nicht ausweichen, sondern verstehen, dass man daraus lernen, daran wachsen kann. Davon handeln die drei zauberhaft illustrierten Bände von Kobi Yamada und Mae Besom in der Kassette Was du machst ist gut (Adrian Verlag). Lebenshilfe für alle Generationen.Für ältere Kinder und junge Erwachsene wird es dann noch viele Bücher geben, die sich direkt politischen Konflikten widmen. Ich nenne nur den Jugendroman Der Schuss von Christian Linker (dtv). Da wird ein 17-Jähriger mit der Lüge einer Neonazi-Gang konfrontiert, um Ängste und Fremdenhass zu schüren. Sich nicht wegducken, dem eigenen Gewissen folgen und Verbündete finden – Bewährungsproben wird es immer wieder geben.Was Kinder bestärken kann? Sie loben, mit ihnen lachen und vieles erklären – warum nicht gar mit den Bildern von Ali Mitgutsch? Inzwischen hat es in der Kita meiner Enkeltochter einen Corona-Verdacht gegeben. So bat mich meine Tochter, einen Besuch bei ihr zu verschieben, obwohl es im Homeoffice schwierig ist mit der Kleinen. Von ihr wurde mir ein witziges Video geschickt. „Mundschutz“, sagt sie und hält sich ein Tuch vor den Mund. Auf besagten Spielplatz wollen wir eigentlich nicht mehr gehen, wenn es dort so eng ist.
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