Es ist mittlerweile fast 30 Jahre her, dass die Vereinten Nationen die Klimarahmenkonvention (UNFCCC) verabschiedet haben. Offenbar war also schon damals die wissenschaftliche Evidenz des bevorstehenden Klimawandels und seiner Ursachen so groß, dass sich die Weltgemeinschaft auf das gemeinsame Ziel einigen konnte, eine “gefährliche anthropogene Störung” des Klimasystems zu verhindern und die Konzentration von Treibhausgasen in der Atmosphäre zu reduzieren. Seitdem suchen Delegierte aller Länder auf den alljährlichen Klimakonferenzen nach geeigneten Instrumenten, Allianzen und Politikansätzen dieses übergeordnete Ziel in konkrete Maßnahmen zu übersetzen. Obwohl das, was wir zu erwarten haben zunehmend konkreter und auch in den ökonomischen Folgen bezifferbar wird, öffnet sich die Schere zwischen immer ambitionierter formulierten Zielen und emittierter Wirklichkeit jedoch kontinuierlich. Der aktuelle Emission Gap Report der UN fasst den Stand der Dinge zusammen: die Temperaturen haben sich bereits um 1,1°C erhöht, die Klimaschäden in vielen Teilen der Welt sind jetzt schon erheblich und klar ist, dass die nationalen Verpflichtungen nicht ausreichen, um den im Pariser Abkommen festgelegten Korridor von 1,5-2°C maximaler Erwärmung zu erreichen. Ganz offensichtlich sind weder Versprechungen auf internationaler Ebene leicht zu koordinieren oder mit Politikprozessen auf nationaler Ebene übereinander zu bringen, noch konsistente Abstimmungen zwischen den betreffenden Ressorts innerhalb der Regierungen zu erzielen. Rebound- und Spillover-Effekte – also das Verpuffen von Effizienzsteigerungen durch immer höhere Konsumniveaus – gibt es zudem nicht nur in privaten Haushalten, sondern auch im Welthandel: So mag die EU ihre Emissionsreduktionsziele von 40% bis 2030 zwar voraussichtlich erreichen, dies aber auch weil in diesem Zeitraum viel Produktion ins Ausland verlagert wurde. Die Emissionen, die bei der Herstellung unserer liebsten Konsumgüter anfallen, werden nun anderswo gezählt. Solche “carbon leakages” sind eine Erklärung dafür, warum die Emissionen trotz vieler Bemühungen global gesehen stets steigen. Die Politik hat bislang wenig Phantasie, solche Probleme anzugehen.
Weil die Lage so kompliziert ist, erscheinen einfache Lösungen attraktiv. Bislang hat sich doch immer ein Kniff gefunden, konnten Abfälle und Überflüssiges irgendwohin verklappt und Fehlendes irgendwo billig eingekauft werden. Doch zugegebenermaßen ist der Klimawandel ein globales Problem. Ein Außen, eine Deponie gibt es nicht mehr. Aber unter Ökonomen, Technologieforschern und auch in der Politik ist der Glaube an quasi gesetzmäßig auftretende Innovationen, die stets einen Ausweg aus Problemen wie der Begrenztheit natürlicher Ressourcen, Umweltverschmutzung oder Wachstumsgrenzen weisen, lange schon weit verbreitet. Die Überzeugung, dass technologische Lösungen sich als Königswege erweisen werden ist in einigen Milieus hierzulande tief verankert und war in den vergangenen Jahrzehnten der politischen Kreativität und Innovationsfreudigkeit nicht gerade förderlich. So vermeidet die FDP etwa den Begriff Klimapolitik wo sie nur kann. Sie benutzt ihn hauptsächlich negativ, um die politischen Konzepte der Mitbewerber zu diskreditieren. Stattdessen spricht die FDP von “German Engineered Klimaschutz”, von synthetischen Kraftstoffen, der industriellen Nutzung oder technologischen Abscheidung und Speicherung von CO2.
Die Liberalen steigen damit spät in die Klimadebatte ein und außerdem mit technologischer Zukunftsmusik, die bis zum kritischen Jahr 2030 kaum etwas zur Emissionsbilanz beitragen dürfte. Gerade die genannten Maßnahmen aus dem Bereich Climate oder Geoengineering werden zwar seit etwa 20 Jahren verstärkt erforscht, doch keine der diskutierten Technologien ist im nennenswerten Maßstab einsatzfähig. Und dies nicht zuletzt auch deshalb, weil sie eine Fülle von “weichen” Herausforderungen mit sich bringen, die bislang im politischen Raum ignoriert werden – von Fragen der gesellschaftlichen Akzeptanz, der Umgang mit Risiken, zur Gestaltung von Märkten, bis zur Entwicklung von internationalen Regeln für den Einsatz solcher Technologien.
Unter Climate Engineering sind Verfahren zur technologischen Kompensation des anthropogenen Klimawandels zu verstehen. Die Ideen erinnern teilweise nicht zufällig an Phantasien umfassender Umweltbeherrschung aus der Zeit des Kalten Kriegs, als etwa sowjetische Ingenieure riesige Dämme planten, die Ozeanströmungen umlenken und die Arktis abschmelzen sollten oder ihre amerikanischen Kollegen Experimente zur großflächigen Manipulation von Wetterformationen durchführten. Während es damals jedoch um die geophysikalische Armierung der verfeindeten Systeme ging, steht heute die Kompensation der gemeisam verursachten Klimafolgen der Moderne auf dem Programm. Zwei Herangehensweisen sind zu unterschieden: die erste wird als Carbon Dioxide Removal (CDR) bezeichnet, da die atmosphärische CO2-Konzentration gesenkt werden soll; die zweite als Solar Radiation Management (SRM), da die Strahlungsbilanz und damit die Temperatur direkt beeinflusst werden soll. Beim SRM wird mit der Temperatur ein Symptom des Klimawandels in den Blick genommen, während CDR bei den ursächlichen Emissionen ansetzt. Beide Ansätze sind mit je unterschiedlichen umwelt- und völkerrechtlichen, ökonomischen und politischen Herausforderungen verknüpft, sind teuer, müssten dauerhaft betrieben werden und haben je verschiedene ökologische Folgen.
Unter SRM werden Verfahren wie die Injektion kleinster reflektierender Partikel in die Stratosphäre, die Aufhellung von Meereswolken oder die Erhöhung der Reflexion von Land- und Meeresoberflächen diskutiert. Insbesondere die ersten beiden Maßnahmen könnten eine große Hebelwirkung entfalten, aber auch ebenso große negative Auswirkungen auf regionale Niederschlagsmuster, das Pflanzenwachstum, die Ozonschicht und nicht zuletzt die geopolitische Lage mit sich bringen. SRM könnte von einer Koalition von wenigen großen Staaten betrieben werden, während die Nebenwirkungen unmittelbar für andere spürbar wären. Nutzen und Risiken von SRM sind regional äußerst ungleich verteilt, d.h die klimatischen Verhältnisse verändern sich nicht gleichmäßig. In einem Land mag SRM zu höheren Ernten führen, im anderen zu großen Umweltschäden. Die Migrationserfahrungen der letzten Jahre zeigt, wie wenig die Politik international bereit ist, sich auf solche Szenarien vorzubereiten. Nicht zuletzt wegen diesen ethischen und politischen Vorbehalten spielt SRM in den Szenarien des IPCC – bislang zumindest – keine Rolle.
Ganz anders sieht das bei CDR-Technologien aus, die darauf abzielen, biologische, chemische oder physikalische Prozesse zu nutzen um atmosphärisches CO2 zu entziehen und durch den Ozean oder die terrestrische Biosphäre aufnehmen zu lassen oder in geologischen Schichten zu verpressen. Deshalb werden sie auch als Negativemissionstechnologien bezeichnet. Vor Jahren schon wurde einige Hoffnung in die Eisendüngung der Ozeane gesetzt, bei der das Wachstum von Algen angeregt und damit die Aufnahme von CO2 durch die Ozeane erhöht werden sollte. Erste Feldexperimente in den Nullerjahren, wie etwa die vom Bundesforschungsministerium geförderte Deutsch-Indische Kooperation mit dem Namen LOHAFEX, verliefen allerdings eher enttäuschend. Etwa zur gleichen Zeit tauchten die futuristischen Visualisierungen des Harvard Professors David Keith auf, die in Landschaften eingebettete Anlagen zur direkten chemischen Filterung von CO2 aus der Atmosphäre (Direct Air Capture DAC) zeigten. Das abgeschiedene CO2 kann dann weiterverwendet werden oder muss, wenn es der Atmosphäre dauerhaft entzogen werden soll, permanent und sicher gelagert werden. Das unterirdische Einlagern in geologischen Formationen, z.B. in ausgeförderten Gasfeldern, nennt man dann Carbon Capture and Storage (CCS). Diese Technologie ist Bestandteil verschiedener Vorschläge und könnte auch konventionelle Kohlekraftwerke ergänzen. Doch wie so oft sind solche Endlagerungen mit Risiken verbunden: durch Erdbeben, schlecht kartierte alte Bohrlöcher oder geologische Verwerfungen kann es zu Leckagen kommen, für die Überwachungsverfahren entwickelt werden müssten. Auch die ökologischen Folgen für Böden und das Grundwasser sind bislang kaum erforscht. Und so gibt es fast überall, wo CCS getestet werden soll große Vorbehalte und Proteste, so etwa in Polen aber auch in Ketzin westlich von Berlin, wo es zwischen 2004 und 2017 ein erfolgreiches aber viel kritisiertes Pilotprojekt gab. Die bekannteste Negativemissionstechnologien heißt allerdings BECCS, was für Bioenergie mit CCS steht. Dabei werden Pflanzen im großen Maßstab – und damit in Flächenkonkurrenz zu Nahrungspflanzen – angebaut, was CO2 zunächst bindet. Dann wird die Biomasse industriell verbrannt und damit Energie gewonnen. Das dabei wieder freigesetzte CO2 wird abgeschieden und gespeichert.
Als die Debatten zu Climate Engineering vor etwa 20 Jahren Fahrt aufnahmen und einige Forscher und Ingenieure auf die schnelle Entwicklung setzten, manche sich zügig Patente für bestimmte Technologien sicherten oder Firmen gründeten mit Namen wie Carbon Engineering oder Global Thermostat, führten viele Kritiker gewichtige Argumente ins Feld, die sogar schon bei der Erforschung solcher Technologien ansetzten. Eines lautete, dass die Spekulation auf einen technologischen Plan B gegen die “gefährliche anthropogene Störung” des Weltklimas zur Verzögerung und Vernachlässigung effektiverer Vermeidungs- und Anpassungsmaßnahmen, sowie der notwendigen Transformationen in den relevanten Sektoren führen könnte und Climate Engineering quasi zu einer self-fulfilling prophecy werde. Haben die technologischen Phantasieprojekte einiger Ingenieure dazu geführt, dass gesellschaftliche Projekte wie der Kohleausstieg, die Verkehrs- und Agrarwende, oder eine ökologische Steuerreform zu zaghaft angegangen werden? Es lässt sich schwer belegen inwiefern schon die Diskussion um Climate Engineering, die maßgeblich auch von renommierten Einrichtungen wie der Royal Society, Instituten wie dem IASS in Potsdam und einem Schwerpunktprogramm der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) vorangetrieben wurde, effektivere Emissionsreduktionen und eine konsequentere Klimapolitik verzögert hat. Jedenfalls hat die breite, auch interdisziplinär angelegte Forschung Climate Engineering aber ein Stück weit normalisiert. Und da zuletzt auch auch die neuesten sozio-okonomischen Szenarien des IPCC zeigten, dass der Pariser Korridor von 1.5-2°C angesichts unseres zu langen Zauderns nicht mehr ohne den Einsatz von Negativemissionstechnologien erreichbar ist und wir zum Ende des Jahrhunderts sogar “nettonegativ” werden müssen, unterm Strich der Atmosphäre also mehr CO2 entziehen müssen, als emittiert wird, ist es an der Zeit, dass sich die Politik mit den realen Konsequenzen dieser Technologien befasst, statt sie als Alternativen zu einem umfassenden Vermeidungsszenario zu zelebrieren.
Auch hier lohnt ein genauer Blick auf die Forschungsaktivitäten der letzten Jahre. Die Vor- und Nachteile eines möglichen Einsatzes von Climate Engineering werden längst nicht mehr nur von Umweltingenieuren und Technikern bewertet. Vielmehr nehmen Ökonomen, Politikexperten, und Ökologen verschiedene Dimensionen, Nebenwirkungen und Potenziale weitaus umfassender in den Blick. Hier rücken vor allem politisch komplexe Fragen in den Mittelpunkt, die die ungelösten technischen Aspekte fast marginal erscheinen lassen: von der gesellschaftlichen Akzeptanz, über die enormen Kosten der Technologien, die Flächenkonkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion und Energiegewinnung, die massiven landschaftlichen Veränderungen, bis zur angesprochenen geographisch ungleichen Verteilung der klimatischen Effekte und der Umgang mit den geopolitischen Folgen. So haben sich unterdessen auch viele renommierte Think Tanks für internationale Beziehungen, wie die Stiftung für Wissenschaft und Politik (SWP) mit Positionspapieren zum Thema profiliert. Ein Effekt dieser breiteren Debatte ist auch, dass die einstigen großtechnischen Visionen, die glauben machen konnten, es ginge gänzlich ohne kulturelle Anpassungen oder sozial-ökologische Transformationen, gehörig neutralisiert und relativiert wurden. Je konkreter die technologischen, rechtlichen und politischen Herausforderungen erkennbar werden, um so mehr verliert Climate Engineering an Strahlkraft. Es gibt keinen Plan B gegen den Klimawandel, was diejenigen zur Kenntnis nehmen sollten, die allgemein Technologie den Vorzug vor Politik geben. Wegen unserer historischen Versäumnisse, nämlich früher und konsequenter Emissionen zu vermeiden, erweist sich Climate Engineering mittlerweile als technologisch, politisch und ökonomisch ziemlich komplizierter Bestandteil von Plan A. Angesichts des immensen politischen und ökonomischen Regelungsbedarfs und der gesellschaftlichen Herausforderungen, die mit Climate Engineering einhergehen, darf nicht der Eindruck vermittelt werden, dass technologische Lösungen eine Alternative zu einer radikalen Klimapolitik darstellen können.
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