Mit dem Pinsel geschrieben

Sinneszauber Alissa Walser wagt sich mit ihrer neuen Erzählung "Immer ich" auf das schwere Terrain zwischen den Künsten. Am Ende ist ihr selbst ein literarisches Kunstwerk gelungen

Es besteht kein Zweifel daran, dass Alissa Walser eine Ästhetin ist. Die wahrnehmbare Schönheit, die Harmonie in Natur und Kunst sind zweifellos Thema ihrer Kunst, sei es nun als Malerin oder Schriftstellerin. Meine Vermutung ist darüber hinaus, dass Alissa Walser eine ­Synästhetin ist, also ein Frau, die Sinnesmodalitäten auf anderen als den üblichen Wegen wahrnehmen kann. Ein paar Menschen haben diese seltene Eigenschaft, sie können Musik sehen oder Farben schmecken. Frau Walsers Besonderheit ist es aber, dass sich ihre Synästhesie nicht nur auf die Wahrnehmung beschränkt, sondern auch die Fähigkeit einschließt, sich gattungsübergreifend auszudrücken. Für die Leser ihrer anregend komplexen Bücher ist das ein Vergnügen.

Gibt es etwas Schlimmeres als die Reden von Malern auf Ausstellungseröffnungen? Hilflos stammeln die Künstler ein paar Worte, begrüßen und bedanken, niemals ist etwas dabei, was einem die Werke näherbringt, und wenn sie schließlich ihre Rede beenden dürfen, ist das Publikum, das zunehmend mitgelitten hat, in Solidarität eifrig bemüht, die besser zu vergessende Episode geschäftig zu überklappern.

Zwischen den Künsten

Bei kurzem Nachdenken ist das nicht verwunderlich, die bildenden Künstler haben – so ist es zu hoffen – das, was sie zu sagen haben, im Ausgestellten ausgedrückt, sie haben nicht das Medium des Wortes gewählt, sondern einen anderen Weg dafür gefunden. So erlaubt die Qualität der Rede auf der Vernissage oder das mit vielen Worten nichtssagende Interview mit dem Maler keine Rückschlüsse auf die Kunst.

Alissa Walser ist eine der wenigen, die sich auf das schwere Terrain zwischen den Künsten wagt und der dabei einiges gelingt, weil „alles“ in so einem Zusammenhang zu sagen blödsinnig ist. In ihrem Debütroman Am Anfang war die Nacht Musik gelingt es Frau Walser nicht nur, das historische Mi­lieu des kaiserlichen Wien am Ende des 18. Jahrhunderts erlebbar zu machen. Auch die Faszination, die von Anton Mesmers „animalischem Magnetismus“ – dieser mutmaßlich ersten psychosomatischen Heilmethode – ausging, beschreibt sie anschaulich. Vor allem kann sie die Schönheit und Wirkung von Musik auf eine sinnliche Weise nicht einfach nur be-schreiben, sondern für den Leser er-schreiben, was erheblich zum Glück beim Lesen dieses Romans beiträgt.

Schicht um Schicht

Ihr neues Buch heißt Immer ich, es ist vom Verlag in Ermangelung einer passenden Genre-Bezeichnung als „Erzählung“ deklariert. Aus der Gruppe der literarischen Gattungsbezeichnungen ist das vielleicht sogar die zutreffendste. Andererseits stehen die Teile des Buches auch als Erzählungen für sich, und nicht alle Teile sind zwanghaft miteinander verbunden. Auch die Bezeichnung „Roman“ wäre fehlerhaft, selbst wenn es Querverweise und Schlüssel gibt, durch die die Einzelteile miteinander verwoben sind und nach dem Lesen durchaus einen Gesamteindruck zurücklassen, der weit über die einzelnen Abschnitte hinausgeht.

Mein Eindruck war es schließlich, dass Immer ich die überaus gelungene literarische Adaption der Schaffung des Bildes durch eine Malerin ist. Die Geschichten scheinen für sich genommen nicht auf einen Punkt hinzuarbeiten, der doch in der Gesamtheit erzählt wird. Schicht um Schicht erschließt sich die Erzählung, neue Nuancen werden kunstvoll zu den bestehenden hinzugefügt und am Ende hat die Malerin Alissa Walser ein literarisches Kunstwerk erschaffen, das wir einerseits noch einmal aus der Nähe, andererseits aber auch mit ein paar Schritten Abstand betrachten möchten. Es wäre mühselig und sinnarm, einzelne Abschnitte, kleinere Erzählstränge von Immer ich wiederzugeben, so wie niemand die Farbkomposition der unteren linken Ecke eines Bildes diskutieren würde, wenn nicht zumindest dessen Abbildung daneben zu sehen ist. Mit einem Bild wäre das immerhin möglich. Es liegt in der Natur der Dinge, dass Immer ich hier nicht als Reproduktion gezeigt werden kann, der Leser kann sich dieses Kunstwerk nur erlesen. Es ist ein komplexes Vergnügen, ohne unnötig kompliziert zu sein. Dazu sei mit großer Freude geraten.

Immer ichAlissa Walser Erzählung, Piper 2011, 158 S., 16,95

Jakob Hein ist Schriftsteller und Arzt

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