Mexiko Der Lebensmittelgigant Nestlé bestimmt das Leben von Millionen von Menschen in Mexiko: von Kaffeebauern über Zwischenhändler und Röstereien bis zum Export. Das Ergebnis: Verarmung und Not zwingen viele zur Emigration
Im Juli gab der weltgrößte Lebensmittelkonzerns Nestlé bekannt, dass seine neue Megafabrik in Veracruz, Mexiko, mit der Produktion begonnen habe. Nestlé hat hier 340 Millionen Dollar investiert, um Nescafé für den US-amerikanischen Markt zu produzieren.
Die neue Kaffeeverarbeitungsstätte ist nur die jüngste Etappe einer Expansion, dank der Nestlé das Leben und den Alltag von immer mehr Menschen in Mexiko bestimmt. Angefangen vom Anbau, über die Zwischenhändler und die Kaffeeröstereien und den Export bis hin zum Kaffeekonsum bestimmt das Unternehmen den lokalen Markt. Und nicht zum Guten: Nestlés Projekte tragen schon jetzt zur Verarmung und Abwanderung von Teilen der Bevölkerung bei.
Dabei hätte man denken können
enken können, dass es für mexikanische Kaffeeanbauer nur positiv sein kann, wenn Nestlé den Anbau und die Verarbeitung von Robusta-Kaffee, die hier meist angebaute Sorte und die Hauptzutat für Nescafé, steigert. Immerhin hatten mexikanische Kaffeeproduzent*innen dagegen protestiert, dass der Konzern jahrelang billigen Robusta Roh-Kaffee aus Vietnam, Brasilien, Indonesien und Ecuador nach Mexiko importiert hatte, um ihn dort dann weiterzuverarbeiten.20 Cent für ein Kilo KaffeekirschenDoch seit Nestlé immer mehr Robusta-Kaffee von vor Ort verwendet, vor allem in Veracruz, zeigt sich: Die lokalen Kaffeeproduzent*innen gerieten dadurch in noch größere Abhängigkeiten, denn seitdem haben sie nur noch einen Abnehmer: die Firma Nestlé mit dem vorgeschalteten großen Zwischenhändler AMSA (Agroindustrias Mexico S.A.).So ist es auch in Ixthuatlan de Café in der Nähe von Córdoba im Bundesstaat Veracruz der Fall, wo zwischen Januar und März der Kaffee geerntet wird. Dort befindet sich ein großer Firmensitz des Zwischenhändlers AMSA, der zum schweizerischen Konzern ECOM Kaffee gehört. Die Firma arbeitet als Aufkäufer für Nestlé und bestimmt den Kaffeepreis in der Gegend. Die mehr als 12.000 Kaffeeproduzent*innen der Region können ihre Kaffeekirschen dort nur im Ganzen und zu einem schlechten Preis abgeben: Lediglich etwa vier bis fünf Pesos (circa 20 Eurocent) bekamen sie 2020 pro Kilo Kaffeekirschen.Für Nespresso mit dem sogenannten AAA-Aufschlag kamen noch 7,50 Pesos pro Kilo (circa 30 Eurocent) hinzu, dabei soll Nestlés selbstgewählte Bezeichnung „AAA“ ökologische, soziale und ökonomische Standards garantieren. Ausgelöst durch den hohen Weltmarktpreis um die Jahreswende 2021/22 stieg auch der lokale Durchschnittspreis von Kaffeekirschen auf rund 16 bis 17 Pesos pro Kilo. Doch selbst dies wollte AMSA nicht zahlen, sondern nur 11 bis 12 Pesos. Folglich kam es Ende Januar 2022 zu Protesten in Ixthuatlan. Auch eine Kaffeeverarbeitungsstätte von AMSA wurde blockiert, Büros wurden in einer Nachtaktion angezündet. Trotz dieser Proteste und Vermittlungsversuchen der Bürgermeisterin wurde seitens der Aufkäufer kein besseres Angebot gemacht und es konnte keine Einigung erzielt werden.70 Euro für ein Kilo NespressoDie Preise, zu denen die Kaffeebäuerinnen und -bauern den Kaffee an Nestlé abgeben, sind ein Hungerlohn im Vergleich zu den Erlösen, die Nespresso für seinen Alukapsel-Espresso erzielt – circa 70 Euro pro Kilogramm. Der Kaffeebauer Carlos Hernández Maduro sagt: „Es ist nicht rentabel, der Preis liegt ganz unten und unsere Erntemengen sind sehr gering“. An Letzterem ist der Kaffeerost, ein Pilz, schuld, der zu Ernteausfällen von 80 bis 90 Prozent geführt hat. Seit 2012 vernichtet die „Pilzpest Roya“ in Zentralamerika Ernten und breitet sich wellenförmig in Richtung Norden aus. Durch den Wind werden die Pilzsporen verbreitet, der Klimawandel begünstigt die Verbreitung.Wegen der geringen Erntemengen und niedrigen Preise können viele Kaffeeproduzent*innen ihre Produktionskosten nicht decken. Sie veranstalteten wegen der Preispolitik der Nestlé-Unternehmen Proteste und Straßenblockaden vor dem Firmensitz, bislang ohne Erfolg. Der Zertifizierer für Fairen Handel SPP, ein Fairtrade-Ableger, fordert seit Jahren einen Preis von umgerechnet vier Euro pro Kilo, um ein einigermaßen gesichertes Leben zu ermöglichen.Da die Ernteerlöse die Investitionen der Kleinproduzent*innen nicht decken und kaum zum Überleben reichen, leben viele von ihnen in Armut oder entscheiden sich auszuwandern. Von dem Kaffeepreisverfall sind laut dem Interamerikanischen Institut für Landwirtschaftliche Zusammenarbeit (IICA) auf dem ganzen Kontinent 14 Millionen Personen betroffen. In der Zongolica-Bergkette nahe Córdoba sind die Kaffeebauern- und bäuerinnen direkt abhängig von dem Zwischenhändler Christian Garey, der ihnen 2020 nur 6,5 Pesos pro Kilo zahlt und auch an AMSA in Ixthuatlan verkauft. In mehreren Dörfern der Gegend stehen täglich Busse, die die verarmte Bevölkerung in der Hoffnung, einen besser bezahlten Job zu bekommen, nach Mexiko-Stadt bringen. Vor allem junge Menschen sehen kaum noch eine Perspektive in der Kaffeeernte. Offizielle Erhebungen über die Dimension der Migrationsbewegungen gibt es laut der Kaffee-Kleinbauernorganisation CNOC nicht.So wird der Lebensmittelkonzern Nestlé in Mexiko und speziell im Bundesstaat Veracruz zum Hauptverursacher einer stetig zunehmenden Zwangsabwanderung. Unter Stichworten wie „Nachhaltigkeit“ und „Innovation“ bereitet das Unternehmen bereits weitere große Anbauprojekte für Robusta-Kaffee in der Küstenregion von Veracruz vor, welche die ganze Infrastruktur vor Ort verändern werden. Entsprechende Ziele trägt Nestlé auch auf Veranstaltungen wie dem Sustainability-Kongress des Deutschen Kaffeeverbandes vor sich her.Verstrickungen von Managern in der mexikanischen PolitikNestlés Zukunftspläne in Mexiko für den Anbau von Robusta-Kaffee nebst neuer Fabrik im Industriepark der Stadt Veracruz belaufen sich nach eigenen Angaben auf eine Investition von insgesamt 200 Millionen US-Dollar, davon allein 154 Millionen US-Dollar für die Fabrik. Das Vorhaben wurde vom mexikanischen Präsidenten Andrés Manuel López Obrador (AMLO) persönlich abgesegnet und unterzeichnet. Die Gesamtinvestitionen von Nestlé in Mexiko sollen sich laut Medienberichten auf 700 Millionen US-Dollar belaufen. Es wird dem weltgrößten Lebensmittelkonzern auch einfach gemacht, denn Alfonso Romo, Chef der Gentech Pflanzen Firma Agromod, sitzt im Präsidialamt von AMLO. Diese Firma Agromod /NSIPlants in Tapachula produziert für Nestlé die Robusta-Klone Roubi 1+2, die zukünftig im sogenannten „Plan Nescafé“, im tieferen küstennahen Land von Veracruz und am Isthmus von Tehuantepec angebaut werden sollen.Zum „Plan Nescafe“ gibt Fernando Celis, Vorsitzender der Kaffee-Kleinbauernorganisation CNOC in Mexiko-Stadt nähere Details. Er erläuterte die immense Ausdehnung des Vorhabens: Insgesamt sollen 150.000 Hektar neue Kaffeeanbaufläche entstehen, davon 80.000 Hektar in der Küstenebene nördlich der Stadt Veracruz. Diese sollen die bisherigen Robusta-Kaffeeimporte aus Vietnam, Brasilien, Indonesien und Ecuador ersetzen. Nestlé tut sich im Umgang mit den Behörden dabei leicht, was auch damit zusammenhängt, dass einige ehemalige Manager des Unternehmens inzwischen in Regierungsposten gewechselt sind: Sie arbeiten etwa im mexikanischen Landwirtschaftsministerium. Umgekehrt gehen Kaffeemanager in die Politik, so wie Ernesto Faust, jetzt Senator in Veracruz, früher beim Zwischenhändler AMSA.Über diese Verstrickungen von Managern in der mexikanischen Politik lassen sich Gelder wie beispielsweise des Fonds Sembrando Vida („Leben säen“) leichter beantragen und für den Robusta-Kaffeeanbau verwenden. Der umstrittene Fond Sembrando Vida sollte eigentlich für Programme zur Wiederaufforstung da sein, um dem Klimawandel entgegenzuwirken. Doch meist wird zur Bewilligung der Gelder ähnlich argumentiert wie beim Anbau von Palmöl: Schließlich seien es ja grüne Pflanzen, ihr Anbau würde Arbeitsplätze schaffen. „Diese Politik der Großkonzern-Förderung erzeugt massenweise Migration“, sagt Fernando Celis vom CNOC.Die Corona-Krise hat den Absatz der Großkonzerne noch erhöht, da die Konsumenten verstärkt zu Hause konsumieren. In den kleinen Röstereien hierzulande aber ging der Umsatz wegen geschlossener Cafés und Restaurants um 70 bis 80 Prozent zurück. Die aktuelle Lieferketten-Problematik und erheblich gestiegene Energiekosten lassen Übles ahnen und gefährden insbesondere die kleinen Erzeuger mit geringer Marktmacht. Nestlé hat dagegen von der Pandemie noch profitiert. 2021 hat der Konzern ein Plus von 38,2 Prozent erwirtschaftet.