Das Zimmer zur Seele

Interview Sebastian Zimmermann ist seit zwanzig Jahren Psychiater und Fotograf in New York City. Nun ist sein Bildband über fünfzig seiner Kollegen auch in Deutschland erschienen

Es sind die Zufälle, die einen oft zu Büchern kommen lassen. In der Frankfurter Karl-Marx-Buchhandlung liegt der aktuell in Deutschland im Verlag W. Kohlhammer erschienene Bildband "Fifty Shrinks" gut sichtbar aus. Das Interview findet aber wider Erwarten nicht über den Atlantik hinweg statt, sondern innerhalb Hessens: Zimmermann, gebürtig aus Marburg, besucht seinen Vater und ist auf dem Sprung nach Berlin.

Herr Zimmermann, Sie haben in Ihrem Buch Fifty Shrinks fünfzig New Yorker Therapeuten in ihren Behandlungszimmern portraitiert. In welchem fühlten Sie sich am ehesten zuhause?

Wenn ich es mir richtig überlege, fühlte ich mich in der Praxis von Dr. Martin Bergmann am wohlsten, weshalb es auch das Cover meines Buches wurde. Ich befand mich in einem wunderschönen, atmosphärischen Raum im alten Stil mit vielen Büchern, einem persischem Teppich und einem herrlichen Ausblick auf den Central Park.

Was bedeutet das Behandlungszimmer für Ihren Berufsstand?

Das Ambiente des Behandlungszimmers ist sehr wichtig. Die Patienten müssen sich dort gut aufgehoben fühlen. An diesen Ort sollen sie ja fortan regelmäßig zurückkehren, um sich zu öffnen. Was die Dekoration der Praxis betrifft, ist dies dem Geschmack des Therapeuten überlassen. Für mich ist es wichtig, dass der Ort hell und ruhig ist und von der Ausstattung her eine Mischung von Anregung und Beruhigung ausstrahlt.

Sie haben auch eine Couch?

Ich habe in meiner Praxis eine Ledercouch, auf der die Patienten sitzen, aber sie legen sich nicht hin. Die traditionelle Psychoanalyse, in der sich der Analysand mehrmals in der Woche hinlegt, ist inzwischen viel seltener geworden.

Was bedeutet die Couch für Sie als Arbeitsmittel?

Die Couch ist weiterhin eine Ikone für unseren Beruf. Für die traditionelle Psychoanalyse ist sie unabdingbar. Fast alle Psychotherapeuten haben eine Couch an ihrem Arbeitsplatz.

Einblick in eine abgeschirmte Welt

Wie gelang es Ihnen ihre Kollegen davon zu überzeugen, Sie in ihren Praxen zu portraitieren?

Wenn ich als Psychiater keinen beruflichen Zugang gehabt hätte, wäre es sehr schwierig gewesen in diese sehr private, abgeschirmte Welt vorzudringen. Zuerst habe ich befreundete Kollegen in der Klinik gefragt und daraus entwickelte sich langsam das Projekt.

Hat Sie dort etwas einmal verstört?

Nicht verstört, eher verwundert. Es gab das eine oder andere Zimmer, das mit sehr vielen Gegenständen überladen war, so dass es mich als Patient abgelenkt hätte. Oder sehr spartanische Räume, bei denen ich mich fragte, ob das eine bewusste Entscheidung war. Einige Zimmer waren sehr klein oder hatten keine Fenster.

Zur Person

Sebastian Zimmermann lebt seit zwanzig Jahren in New York City und praktiziert inzwischen als Psychiater in eigener Praxis an der Upper West Side. Er studierte Medizin in Berlin und erlangte seine psychiatrische Ausbildung am New Yorker Mount Sinai Medical Center, seine fotografische Ausbildung erhielt er durch das International Center of Photography und Arlene Collins. Zimmermann lebt mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Manhattan

Sind die Räume Abbilde nicht nur der Therapeuten, sondern auch unserer Gesellschaft und des Zeitgeistes?

Auf jeden Fall. Man kann ablesen, welche Ästhetik die Therapeuten haben, was ihnen wichtig ist. Gesellschaftlich gesehen gibt es Therapeuten, die inzwischen „remote“ arbeiten, mit Skype oder am Telefon. Ich finde die persönliche Begegnung immer noch am wirksamsten.

Der weltbekannte Psychotherapeut und Autor Irvine D. Yalom macht solche digitalen Sessions bereits auch.

Ja, das stimmt. Ich habe ihn im Februar in seiner Praxis in Kalifornien besucht. Er hat mir erzählt, dass er mit einigen seiner Patienten textet.

Ihr Arbeitszimmer ist leider nicht im Bildband, wieso?

Ich habe natürlich darüber nachgedacht. Es war mir als Fotograf wichtig, die Distanz zu meinen Subjekten zu wahren. Ich wollte diese Grenze einhalten und in der Beobachterrolle bleiben.


Wie sieht Ihr Arbeitszimmer aus?

Meine Praxis hat ein großes Fenster. Am wichtigsten für mich ist Licht und Ruhe. Ich habe eine Ledercouch, einen Perserteppich und Pflanzen. An den Wänden hängen Fotografien und andere Kunst. Dazu noch Blumen, ein „mid-century-modern” Schreibtisch und Aktenschränke.

Witze sind ein Abwehrprozess

Was sehen Sie aus dem Fenster?

In der Distanz sieht man ein paar Hochhäuser, aber dazwischen gibt es auch mehrere kleinere Brownstones, die kleine Gärten haben.

Selbst Menschen, die Psychologie studieren, machen Witze über Psychotherapeuten. Ist das ein Zeichen der eigenen Unsicherheit?

Das Aufsuchen eines Therapeuten ist immer mit Furcht verbunden – ähnlich wie beim Zahnarzt. Man muss schmerzhafte Erfahrungen, tiefe Gefühle, eigene Unzulänglichkeiten preisgeben. Ich sehe die Witze als einen humorvollen Abwehrprozess gegen diese Angst. Oder Selbstironie. Die therapeutische Arbeit wird satirisch betrachtet. Das nimmt die Spannung heraus.

Was wäre die Welt ohne die Psychotherapie?

Sigmund Freud hat die Welt verändert, indem er der Menschheit gezeigt hat, dass viele unserer Handlungen vom Unterbewusstsein gesteuert werden, durch Motive, die im Dunkeln liegen. Viele amerikanische Therapeuten reisen inzwischen zu Konferenzen nach China, wo ein vermehrtes Interesse für die Psychoanalyse herrscht. Man versucht dort auf staatlicher Ebene die schlimme Zeit der Mao-Diktatur komplett zu verdrängen. Mao hat mehr Menschen getötet als Stalin oder Hitler. Ich glaube, die Chinesen müssen dieses Trauma noch aufarbeiten.

Braucht es die Psychotherapie, um weiterzukommen?

Nicht jeder Mensch braucht eine Psychotherapie. Aber es ist für uns hilfreich zu verstehen, was wir fühlen. Wir wollen etwas aus seinem eigenen Handeln lernen. Warum verrenne ich mich immer wieder? Warum ziehen mich immer wieder gerade die falschen Partner an? Gesellschaftlich gesehen: warum gelangen gewissenlose Psychopathen immer wieder in Machtpositionen? Das gilt es zu analysieren und daraus Schlüsse für zukünftiges Handeln zu ziehen.

Warum benötigen Sie den Ausgleich als Fotograf?

Ich wollte schon während meines Medizinstudiums nebenher immer etwas Künstlerisches machen, wusste aber, dass man davon in der Regel nicht leben kann. Als Therapeut hört man den ganzen Tag zu, nimmt Dinge in sich auf. Mit der Fotografie gestalte ich etwas, das sich in meinem Innern formt und gebe es weiter. Ich muss nicht sitzen, kann mich bewegen. Es macht mir Spass, und das Fotografieren liegt auch bei uns der Familie.

„New Yorker sind sehr intensive Menschen“

Sie kommen aus dem hessischen Marburg und praktizieren seit zwanzig Jahren in New York. Wie kam das?

Während meines Medizinstudiums in Berlin lernte ich meine amerikanische Frau kennen. Danach habe ich einige Praktika an New Yorker Krankenhäusern, Los Angeles und Philadelphia absolviert. Die in Amerika sehr praxisorientierte Ausbildung hat mich gereizt, aber auch die Aussicht, in New York zu leben. Die New Yorker sind sehr freundliche, aber auch sehr intensive Menschen.

In welcher Sprache träumen Sie?

Das frage ich mich auch immer wieder. Ich glaube, meistens in Englisch. Wenn ich auf Deutsch träume, sind die Träume oft signifikanter. Ich führe ein Traumtagebuch. Als Künstler kann man ja viel aus seinen Träumen lernen.

Empfinden Sie einen Unterschied in der therapeutischen Sprache zwischen deutsch und englisch?

Wenn ich in meiner Muttersprache mit einem Patienten spreche, ist es emotionaler. Viele deutsche Metaphern und Redewendungen sind einfach klasse.

Viele Europäer idealisieren New York als ein Paradies. Was bedeutet es, in New York wirklich zu leben?

Man kann sich in New York sehr schnell heimisch fühlen. Man fällt als Neuankömmling nicht auf, denn es ist eine Einwandererstadt. Man ist umgeben von Akzenten aus aller Welt. New York ist elektrisierend, hat eine unglaubliche Energie. Es gibt ein unüberschaubares kulturelles Angebot und fantastische Restaurants.
Wenn man hier lebt, kann es bald stören, dass die Stadt sehr laut ist, vollgepackt mit Menschen und mit tosendem Verkehr. Wohnungen sind sehr teuer. Wer hier heute als Kind aufwächst und keine wohlhabenden Eltern hat, kann sich als Student kaum leisten hier zu bleiben. Die Stadt sorgt nicht für ihre eigenen Kinder. Das finde ich schlimm. In New York geht es für viele Menschen tagtäglich ums finanzielle Überleben.

„Insbesondere Minoritäten sorgen sich“

Mit welchen Problemen kommen die Menschen zu Ihnen?

Viele Menschen suchen mich wegen Ängsten, depressiven Verstimmungen oder Panikattacken auf. Schlaflosigkeit ist eine Epidemie. Oft gibt es Probleme mit dem Partner oder einem sadistischen Boss. Ich behandele viele Patienten mit ADHS, weil ich darauf spezialisiert bin.

Bemerken Sie gesellschaftliche Veränderungen anhand der Symptome Ihrer Patienten?

Ja, ich habe Patienten, insbesondere Minoritäten, die sich aufgrund der aktuellen Regierung große Sorgen machen. Einige meiner Patienten sind im letzten Jahr weggezogen, mitunter zurück nach Deutschland.

Der schweizer Autor Rolf Dobelli legt im Herbst sein neues Buch News Diät (Piper) vor. Macht das Trommelfeuer aus News krank?

Das ist definitiv ein Problem. Die Menschen werden durch ihre Smartphones pausenlos mit negativen Nachrichten überflutet. Die News werden dramatisiert, da geht es um die Einschaltquoten, die „Clicks“. Eine News Diät ist da sicher sehr heilsam.

Merken Sie in Ihrer Arbeit noch die Auswirkungen von 9/11?

Indirekt, ja. Im Erstgespräch stellt sich manchmal heraus, dass Patienten vor achtzehn Jahren in Tribecca oder Brooklyn Heights wohnten, alles hautnah miterlebt haben und ihre traumatischen Erinnerungen mit sich herumtragen. Ich arbeitete damals in einem Krankenhaus in der Bronx und sah auf dem Dach stehend, dass die Twin Towers wie Schlote qualmten. Den noch wochenlangen metallischen Geruch, werde ich nie vergessen.

Was bedeutet Einsamkeit in einem Schmelztiegel wie New York?

Die Einsamkeit in New York ist groß. Es ist unwirtlich hier, wenn man kein soziales Netzwerk hat. Ich hatte Kollegen in Einzelpraxen, die sich so isoliert fühlten, dass sie die Praxis aufgaben, um wieder umgeben von Kollegen in der Klinik zu arbeiten. Ich teile mir die Praxis mit einer anderen Therapeutin und treffe mich regelmäßig mit Kollegen zum Lunch, um rauszukommen.

Wie sieht Ihr Arbeitsalltag aus?

Ich starte mittlerweile erst gegen 10 Uhr morgens, um die Rushhour in der U-Bahn zu vermeiden. Im Schnitt sehe ich acht Patienten pro Tag. Es gibt auch Kollegen, die dreißig Patienten am Tag behandeln. Das schließe ich für mich aus, das würde ich nicht durchhalten.

„Ich habe eine Sliding Scale

Was kostet eine Stunde bei Ihnen?

Ich habe eine Sliding Scale, passe mein Honorar also an die finanzielle Situation der Patienten an. Arbeitslose und Studenten zahlen weniger, und diesen Umstand gleiche ich mit gut betuchten Patienten wieder aus.

Meinen Sie, es gibt eher Fortschritte, wenn Patienten selbst dafür zahlen müssen?

Das kann man so allgemein nicht sagen. Fest steht jedoch, wenn die Kassen den Psychiater schlecht bezahlen, wird dieser versuchen, mehr Patienten einzubestellen, um ein bestimmtes Gehalt zu sichern. Quantität statt Qualität. Das kann sich auf die Behandlung und deren Erfolg niederschlagen.

Wann bezahlt man bei Ihnen? Und wie fühlt sich für dieser Bruch von einfühlsamer Beziehung zu Kreditkarte einlesen an?

Meine Therapie-Patienten bekommen alle vier Wochen eine Rechnung. Wenn ich Patienten nur alle paar Monate einbestelle, um ihre Medikamente abzustimmen, zahlen sie nach der Sitzung wie bei jedem anderen Arzt auch.

Wie gehen Sie mit fordernden und reichen Patienten um?

Die gibt es wirklich, ja. Patienten, die mir z.B. im Urlaub Textmessages schreiben. Da muss man klare Grenzen ziehen. Manchmal wollen gerade die reichen Patienten bei den Preisen handeln, als hätten sie kein Geld. Reichtum ist kein Schutz vor Neurosen.

Die Frage muss leider kommen: Geht es Donald Trump psychisch gut?

Das kann ich aus der Ferne nicht beurteilen. Er müsste zu mir in die Sprechstunde kommen. Geht es einem angeberischen Menschen, der mit Hasstiraden aufwartet, gut?

Hat Ihr Lebensalter Sie zu einem noch besseren Therapeuten gemacht?

Ich denke schon. Je mehr Erfahrung man sammelt, je mehr Menschengeschicke man kennenlernt, desto tiefer kann man in die Psyche eines Menschen schauen.

Wenn Sie sich eine Wunschpraxis an einem frei zu wählendem Ort bauen dürften, wo wäre die und wie sähe die aus?

Als ich Dr. Yalom besucht habe, war ich beeindruckt von seiner Praxis, die umgeben war von Bäumen, Sträuchern, Blumen und Grass. Nach zwanzig Jahren New York, würde ich gerne in einem Gartenhaus arbeiten, umgeben von Natur, die ich mit meinem Patienten vom Fenster aus genießen kann.

Info

Fifty Shrinks Sebastian Zimmermann, W. Kohlhammer 2019, 116 S., 49€

www.fiftyshrinks.com

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