Gefecht des Grauens

Literarisches Quartett Katharina Schmitz sorgte sich, ob das Literarische Quartett Joachim Meyerhoff kapiert. Und was „die Dorn“ sagt. Jan C. Behmann sah mit dem Zweiten irgendwie nicht besser
Liebe Katharina Schmitz!
Ob es wirklich literarische Kritikerkompetenz gibt, wage ich langsam zu bezweifeln. Die Retrospektive lässt doch erahnen, dass sich Größen wie Reich-Ranicki doch mehr daran rieben, nicht selbst ein gefeierter Autor zu sein. Draufhauen war und ist Programm. Die Abgrenzung der eigenen Genialität ist dabei prioritär.

So verwundert es nicht, dass der eigentlich von mir für seine einfühlsamen Autoren-Portraits geschätzte Volker Weidermann (Der Spiegel; Konvolut seiner Portraits sind als „Dichtertreffen“ bei KiWi erschienen) den Gast der Sendung, der das Quartett erst möglich macht, bei der Eröffnung gleich als Praktikanten betitelt. Thomas Gottschalk nimmt es mit seinem breiten Lächeln, er hielt auch schon dem seligen Götz George stand. Fakt ist, Gottschalks mediales Können und die Qualität seiner Autobiographie sprechen für sich, sein Langmut gegenüber dem im Fernsehen holprig daher moderierenden Weidermann wirkt selbsterklärend.

Dass Selbstzweifel im Kernteam des Quartetts vorherrschen, welches ohne Praktikanten nur ein Trio ist, bestätigt Christine Westermann in einem Interview in der aktuellen Ausgabe des Magazins GALORE. Dort gibt sie zu Protokoll, nicht so sein zu müssen wie Thea Dorn oder Volker Weidermann. Sondern nur sie, Christine Westermann. Das nimmt selbige gleich aber zu wörtlich: Als Gottschalk das neue Buch von Peter Handke „Die Obstdiebin“ vorstellt und frenetisch die entschleunigte Beschreibungsweise des Wanderers aus Chaville lobt, fällt die echte Westermann ihm ins Wort, sie habe das Buch gelesen, aber nicht verstanden.

Im Ratgeber für Quartett-Praktikanten stünde wahrlich nun, sich mit dieser Entblößung taktiler zu verhalten. Doch auch das erwähnt Westermann im Interview: die Experten fänden dort Dinge, die sie gar nicht entdeckt habe. Damit erweist sich als Experte aber nicht der genuine Experte, sondern der etikettierte Praktikant. Statt aber Gottschalk zu seiner eigentlichen Kritik kommen zu lassen, ergeht sie sich in elegischer Form des Nichtverständnis über diese Geschichte ohne Geschichte. Sie habe gehofft, dass noch etwas passiere, es passiere aber nichts.

Und nun kommt Gottschalks Replik, die sitzt wie ein k.o.-Schlag: Aber das Buch habe mit ihm etwas gemacht. Das sitzt. - Was soll denn Literatur auch mehr schaffen? – Nachdem er sich auf diese Entschleunigung eingelassen habe, habe er Handkes Buch mit zunehmender Begeisterung gelesen. Doch als Gottschalk einen für ihn beeindrucken Schachtelsatz Handkes rezitieren möchte, fällt Literaturchef Weidermann ihm ins Wort. Dauerhaft. Um Handkes romantisches Konzept zu preisen, die Verzauberung der Welt. Danke, Volker, will man rufen, interessiert aber grad keinen. Gottschalks Gesicht nun geschlossen, und wir sind erst bei Minute 07:40. So schnell bekam ich nicht mal meine Ex-Schwiegermutter gegen mich auf. Vielleicht sei es kein Buch für Handke-Kritiker – oder doch, hängt Weidermann im Monolog-Wahn an. Achso. Dann schaltet sich „die Dorn“ ein. Da denke ich dann vollkommen an Satire, oder die Selbsthilfegruppe Lesen aus Wanne-Eickel.

Nun aber zu Ihrer Sorge, liebe Kollegin Schmitz, ob die holde Reisegruppe Ihren verehrten Meyerhoff (mit seinem neuen Buch "Die Zweisamkeit der Einzelgänger", erschienen bei KiWi) genug schätzte. Was soll ich sagen? Der arme Joachim kommt unter die samtwarmen Beschreibungsmühlen der echten Westermann („...beschreibt das Leben...“), um dann vom Rest der Literatenkombo einzuforden, warum Meyerhoff gut sei. „Die Dorn“ schwingt sich nun auf (festhalten bitte!), sie habe in ihrem Umfeld vom Friseur bis zum Theatermenschen rumgefragt, aber alle lieben den Meyerhoff (und gar nicht sie, die Dorn, tz!, denkt der Autor).

Gottschalk hingegen hat sich in Kritikerlaune geschwungen. Er sei nunmehr Handke-Fan geworden und fühle sich von Meyerhoff, Zitat, verarscht. Es sei biografisch, aber wenn, dann habe Meyerhoff ordentlich auf den Putz gehauen – die Figuren könne es so gar nicht geben. Gottschalk investigativ. Nun kommen wir zum Beschreibungsmikado, man ist warmgelaufen wie ein guter Diesel. Gottschalk meint der Autor „drechsle“, Westermann kontert, er „winkle“. Ok, Zuschauer out. „Die Dorn“ stellt klar, es handelt sich um überzeichneten Protagonisten. Und das in einem Roman - sacre bleu! - , will man aus dem Fernsehsessel schreien, der kein Fernsehsessel mehr ist.

Quintessenz der Diskussion ist, ob das alles wirklich wahr sein kann. Weg von literarischer Qualität, auf zur Investigation, ob Dritte aus Dortmunder Zeit Erlebnisse bestätigen könne. Der Kopf kippt tischwärts. Im Roman eine Kunstfigur! Wir müssen sofort Thomas Glavinic anrufen. Er kann froh sein, wenn sein Roman „Das bin doch ich“ (aktuell bei S. Fischer als Taschenbuch erschienen) nicht im Quartett besprochen worden ist.

Liebe Katharina Schmitz, was soll ich sagen? Das soll die Hochebene der Literturkritik sein, die Krönung unter den Rezensenten? Jetzt bespricht die Runde grad die Größe des Burgschauspielers (1,90!). Egal in welcher technischen Weise dieses Format mich ereilt, so dringender kommt mir der Verdacht, dass es sich um betreutes Lesen handelt. Um die Entgrenzung statt der Integration der Leser. Wenn selbst das Team sich inhomogen fühlt, sich zu beweisen bedarf gegenüber scheinbar schlaueren Kollegen, wie sollen sie geschlossen für das stehen, für das wir alle brennen: die Literatur? Ich rufe zu mehr Selbstbestimmung der Leserinnen und Leser auf! Leserschaft, hört die Signale!

Peter Handkes neues Buch endet mit nur einem Wort und steht für das Quartett, mein letztes.
- Seltsam.

Herzlich
Ihr
Jan C. Behmann

Freitag-Redakteurin Katharina Schmitz befürchtete in der letzten Ausgabe, das von ihr als Ritual erlebte Literarische Quartett könnte den von ihr verehrten Bestsellerautoren Joachim Meyerhoff nicht "kapieren". Der freie Autor und Literaturkritiker Jan C. Behmann bahnte sich den Weg in die unendlichen Weiten der ZDF-Mediathek und hatte arge Probleme bis zur Meyerhoffschen Besprechung durchzuhalten, mehr noch: zu kapieren.

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