Wo sind 39 Euro am besten anzulegen, wenn man in Solingen wohnt und sich Queen-Fan erster Stunde nennen darf? Dann geht man wohl ins Theater und Konzerthaus Solingen, zu A Tribute to Freddie Mercury, einer „Hommage an den großen Entertainer der Rockmusik“. Hat man ein Faible für Exotischeres, besorgt man sich vielleicht ein Ticket für den Spirit of Ireland oder gleich für The Great Dance of Argentina. Und Automobilfans, die sich ein Ticket nach Detroit nicht leisten können, haben immerhin die Chance, sich bei der „45. Solinger Autoschau“ von der örtlichen Innung des Kraftfahrzeughandwerks auf den neusten Stand bringen zu lassen.
Von den Bergischen Symphonikern bis zu verschiedenen „Musical Nights“ ist im Solinger Theater alles Mögliche an Kultur zu sehen. Womit wir auch schon bei Bastian Pastewka sind, der dort in der vergangenen Woche im ausverkauften Pina-Bausch-Saal einen umjubelten Auftritt hatte – umjubelt von jenen, die währenddessen nicht eingeschlafen sind.
Die Schönheit dieses für Kleinstadtverhältnisse wohl typischen Kulturabends ist am besten mit einem Piccolo in der Hand zu würdigen. Zunächst eine kurze Einführung in das Sujet und zum Protagonisten des zu beobachtenden Phänomens: Der Fernsehkomiker Bastian Pastewka, 42 Jahre alt, ist bekannt für seine Rollen in der SAT1-Wochenshow und der nach ihm benannten Comedyserie Pastewka. Aktuell tingelt er mit einem Team durch die Festhallen und -säle der Republik, unter großer Anteilnahme der örtlichen Lokalpresse.
Ein echter Durbridge
Paul Temple und der Fall Gregory heißt das abendfüllende Programm. Es basiert auf einem neulich wieder aufgetauchten Fundstück des britischen BBC-Autors Francis Durbridge (1912 – 1998). Zwischen 1938 und 1968 hatte Durbridge ein Dutzend Hörspiele über den fiktiven Krimischriftsteller und Hobbydetektiv Paul Temple verfasst. Diese wurden ab 1949 vom deutschen NWDR, dem Vorläufer von NDR und WDR, nachproduziert, die Tonbänder auch sorgfältig aufbewahrt – nur nicht das Stück, das Pastewka nun aufführt. Sowohl die BBC als auch der NWDR haben den Fall Gregory, aus welchen Gründen auch immer, gelöscht.
Nun tauchten aber das (unvollständige) Radioscript des Nordwestdeutschen Runfunks sowie eine norwegische Hörspielfassung wieder auf. Daraus ist eine neue, postmoderne Version entstanden, unter der Regie von Leonhard Koppelmann und mit Pastewka als Hauptdarsteller beziehungsweise -sprecher. Auf der Bühne zu sehen sind: Schauspieler auf Holzstühlen, umgeben von lärmerzeugenden Gerätschaften, Gläsern, Blechen, Kisten mit Geröll, einer mit Wasser gefüllten Wanne, einem Mixer, einer Tür, die auf- und zugeschlagen werden kann, einem alten Kühlschrank, von allerhand Knarrendem und Quietschendem also. Im Hintergrund zeigt eine Leinwand Schwarzweißszenen und Manuskriptausschnitte.
Die Schauspieler agieren mit verteilten Figuren- und Geräuscherollen. Entweder sie reden, oder sie stellen einen Sound her, plantschen mit den Händen im Wasser, imitieren ein Käuzchen oder knallen mit einer Spielzeugpistole herum. Wer die Augen im Saal schließt, soll, ganz realistisch, einer Hörspielinszenierung folgen können. Darin besteht, in etwa, der Reiz des Abends. Auch der Bestsellerautor Mario Giordano, der das Drehbuch für etliche Tatorte und den Kinoerfolg Das Experiment (1999/2001) verfasst hat, ist von Köln nach Solingen gereist, um für ein eigenes Projekt zu studieren, worin die Begeisterung für Veranstaltungen dieser Art gründet.
Tatsächlich erfreuen sich live aufgeführte Hörspiele – zumal, wenn sie ironisch gebrochen sind – einer ungeheuren Beliebtheit, sei es mit dem Vollplaybacktheater aus Wuppertal oder den Bühnenshows der Drei-???-Sprecher. Es gibt Hörspiele im Dunkeln, Hörkino mit Bild, Hörspiele auf Platte, im Radio wie eh und je, Hörspiele für Kinder, für Horrorfreunde, für Kassettennostalgiker. Viele im Pastewka-Publikum lauschen mit geschlossenen Augen, vor allem sind es wohl Mittelschichtsmänner, die irgendwie müde gearbeitet und nur deshalb anwesend zu sein scheinen, weil sie im Übereifer der Vorweihnachtszeit Tickets erstanden haben, um sie der Gattin zu schenken. „Mal was Originelles.“
Auf den Merchandisingtischen liegt bei solchen Veranstaltungen neben Nippes und Remittiertem meist auch eine neue CD. Diese hier, mit Pastewka, wurde vom renommierten Münchner Hörverlag produziert. Der Abend kann also als Konserve mit nach Hause genommen werden.
Brezelpause mit Joe Cocker
Zweimal 70 Minuten mit Brezelpause. Und eben: Piccolosekt. Dazwischen mehrere Tote, ein schummriger Nachtclub, rumpelige Verfolgungsjagden auf Dorfstraßen und schließlich die für klassische Krimis obligatorische „Runde der Verdächtigen“, bei der Paul Temple den Mörder ein für alle Mal entlarven darf. Pastewka übernimmt in den eingeklinkten ironischen Diskussionen mit seinen Mitdarstellern die Metarolle des nerdigen, überbegeisterten Durbridge-Fans, der seine Liebe zum Genre in gespielter Aufregung immer wieder gegen Angriffe verteidigen muss.
Im Publikum tuscheln zwei Damen in ihren besten Jahren derweil über etwas ganz anderes: über den kürzlich verstorbenen Joe Cocker nämlich und darüber, dass sie ihn jederzeit hören könnten, so gut sei er gewesen. „Seine süffisanten Blicke oder seine geradezu dreckigen unkontrollierten Lachanfälle waren eine Show für sich“, heißt es tags drauf im Solinger Tagblatt, nicht über Joe Cocker, sondern über Bastian Pastewka.
Für die Solinger Wintersaison ist solch ein Unter-der-Woche-Event womöglich genau das Richtige. Es mag helfen, die Zeit bis zum Hexenfest auf Schloss Burg (im Mai) oder zur Bierbörse im benachbarten Leverkusen-Opladen (August) zu überbrücken. 34 Euro kostet der Spaß pro Person. Das ist immer noch günstiger als der falsche Freddie Mercury.
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