Auch nach zehn Jahren wird Youtube allzu oft noch missverstanden, indem es nur als eine Art Mediathek mit kommerziellen und nutzergenerierten Inhalten wahrgenommen wird. Dabei übersieht man etwas Entscheidendes: Die Videoplattform ist vor allem ein soziales Netzwerk, und zwar eines der wichtigsten weltweit. Youtube hat pro Monat mehr als eine Milliarde aktive Nutzer und stellt damit zum Beispiel Twitter deutlich in den Schatten. Laut einer aktuellen Studie konsumieren Amerikaner mehr Nachrichten via Youtube als via Twitter. Dabei gilt der Microbloggingdienst vielen – irrtümlicherweise – für Neuigkeiten nach wie vor als soziales Medium Nummer eins. Was den Musikkonsum im Netz betrifft, ist Youtube dem darauf spezialisierten Netzwerk Soundcloud ebenfalls meilenweit voraus. Kurz: Youtube ist allgegenwärtig.
Diese Dominanz fußt auch darauf, dass die visuelle Kommunikation mit der Verbreitung von mobilen Endgeräten und leistungsstarken Internetanschlüssen gerade einen beispiellosen Boom erlebt. Bilder und Videos lassen sich heute mit jedem Smartphone ebenso einfach erstellen wie verbreiten und anschauen. Und sie können eine Geschichte oft eindrucksvoller und schneller erzählen, als dies Wörter oder Klänge vermögen. Bilder wirken.
Die soziale Komponente von Youtube wiederum lässt in der digitalen Welt einen altvertrauten Mythos neu aufleben – den Traum, es vom Tellerwäscher zum Millionär zu bringen. Oder übersetzt in die Welt der Prominenz: vom Nobody zum Superstar. Theoretisch kann jedes eingestellte Video zum viralen Hit werden. Auf einer statischen Webseite, auf der es nicht möglich ist, einen Beitrag immer und immer wieder mit Freunden und Followern zu teilen, gibt es diesen Welleneffekt dagegen nicht. Das macht Youtube so attraktiv – und zur Keimzelle für neue Künstler, die ab einer gewissen Netz-Bekanntheit auch meist den Sprung ins herkömmliche Verwertungssytem der Popindustrie schaffen.
Justin Bieber ist einer der heutigen Popgrößen, die zunächst durch eine treue und wachsende Zahl von Youtube-Fans auf sich aufmerksam machten. 2007, als Bieber gerade 13 Jahre alt war, stellte seine Mutter Videos ihres singenden Sohnes ins Netz. Wenig später wurden Produzenten auf den jungen Kanadier aufmerksam und nahmen ihn unter ihre Fittiche. Ab da ging es steil bergauf. Biebers Einkommen wurde für 2014 auf 70 Millionen Euro geschätzt. Youtube war und ist allerdings mehr als nur Sprungbrett für seine Karriere. Nach wie vor sind die Aktivitäten von Bieber und seinen Fans, den „Beliebern“, in sozialen Netzwerken der Motor seiner Popularität – und damit seines kommerziellen Erfolgs.
Ähnlich verhält es sich bei der Sängerin Lana Del Rey. Ihr Erfolg wirkte jedoch schon früh viel kalkulierter als der von Bieber. So fütterte sie soziale Netzwerke und Blogs vom Start weg gezielt mit ausgereiften und durchproduzierten Musiktracks und Videos, die sie umsonst zum Anhören oder Runterladen anbot. Sie nutzte so erfolgreich die Mechanik des social net und katapultierte sich durch den hohen digitalen Verbreitungsgrad mit jeder Menge bloglove rasch in den Fokus der Musikinteressierten – auch außerhalb des Netzes. Damit lieferte sie eine Art Blaupause für viele Künstler, die heute versuchen, zunächst im Netz mit kostenlosen und zielgruppengerechten Inhalten populär zu werden, um ihre so entstandene Bekanntheit später in Bares umzumünzen.
Die gesamten Möglichkeiten der Videoplattform nutzte dann aber so richtig 2012 der koreanische Sänger Psy, der mit seinem K-Pop-Hit Gangnam-Style in zuvor nicht geahnte Höhen vordrang. Dabei basiert der Erfolg des Originals vor allem darauf, dass sein Video und der darin aufgeführte „Pferdetanz“ von Fans überall auf der Welt parodiert und wieder ins Netz gestellt wurden. Psy verzichtete ausdrücklich auf die Verwertungsrechte seines Gangnam Styles und ermöglichte so, dass dieser ein Paradebeispiel für die Remixkultur wurde. Dank der viralen Verbreitung wurde sein Musikvideo zum meistgeklickten Netzvideo aller Zeiten.
In die Charts dank Videoklicks
Gangnam stellte in zweierlei Hinsicht auch einen Wendepunkt für die Musikindustrie dar. So verdiente Psy 2012 zwar in Südkorea nur 60.000 Dollar mit dem Verkauf seiner Single, nahm jedoch im selben Zeitraum eine Million Dollar mit Werbung ein, die vor Youtube-Videos gezeigt wurde. Seit dem Erfolg des Songs wurden außerdem die Youtube-Abspielzahlen und digitalen Verkäufe herangezogen, um offizielle Musik-Charts zu erstellen. Auch für etablierte Stars ist es daher heute so wichtig, auf Youtube präsent zu sein.
Das auf Frontalunterricht und feste Sendezeiten limitierte Musikfernsehen ist unterdessen in der völligen Bedeutungslosigkeit verschwunden. Videos werden heute vor allem produziert, um möglichst „viral zu gehen“, sich ihren Weg von Zuschauer zu Zuschauer und nicht vom Sender zum Zuschauer zu bahnen. Die gegen Ende der 90er Jahre populäre These, dass pompöse Musikvideos in der darbenden Musikbranche überhaupt nicht mehr zu realisieren seien, hat sich aber nicht bewahrheitet.
Im Gegenteil, Musikfernsehen im Netz ist vielfältiger denn je. Einerseits weil die Major Labels erkannt haben, dass sich mit dem bewegten Bild nach wie vor Geld machen lässt. Andererseits weil sich mit Laptop, Kamera, Kreativität und Know-how heute Dinge realisieren lassen, die vor nicht allzu langer Zeit noch undenkbar waren.
In Deutschland geht man aber teilweise weiter einen Sonderweg. Das liegt vor allem an der Gema, die sich um die Verwertungsrechte von Musikern kümmert. Die Gema ist dafür verantwortlich, dass deutsche Internetnutzer häufig nur ein schwarzes Feld sehen, welches freundlich darauf hinweist, dass das angeklickte Video Inhalte enthält, die Youtube in Deutschland aus rechtlichen Gründen nicht zeigen darf. Die Idee dahinter ist, den schwerreichen Youtube-Mutterkonzern Google durch Amtsschikane und die Ausdünnung seines Angebots dazu zu zwingen, Künstler an den Einnahmen zu beteiligen, die die Videoplattform generiert. Bei Google ist man allerdings der Meinung, die Möglichkeit, durch die Plattform Millionen von Nutzer zu erreichen, sei schon Entlohnung genug. Der Streit schwelt seit sechs Jahren, eine Einigung ist nicht in Sicht. Beide Seiten haben einen beeindruckend langen Atem.
Betrachtet man den Erfolg, den einige Künstler durch Youtube weltweit haben, könnte man meinen, dass die Gema mit ihrem Verhalten denen, deren Interessen sie vertreten soll, eher schadet denn nützt. Berechtigte Zweifel an ihrem Vorgehen lassen sich zumindest nicht von der Hand weisen. Hat Youtube also recht? Einige Künstler verzichten jedenfalls schon jetzt explizit darauf, ihre Interessen von der Verwertungsgesellschaft vertreten zu lassen. Und Zuschauer und Musikfans sind vor allem eins: genervt. Denn auch wenn es ziemlich einfach ist, die Youtube-Sperre zu umgehen, wirkt sie doch störend. Das Angebot gleicht so weiter einem Flickenteppich.
Durch ihre internationale Strahlkraft ist Youtube auch hierzulande nach wie vor die relevanteste Videoplattform. Dennoch kann das volle Potenzial des sozialen Netzwerks wegen dieser Rechtsstreitigkeiten nicht ausgeschöpft werden – weder von den Nutzern noch von den Anbietern. Auch andere Streamingplattformen für kommerzielle Formate wie Filme oder Serien fassen nur schwer Fuß. Deutschland gebärt sich aus verschiedenen Gründen, aber eben auch wegen rechtlicher Barrieren, als digitales Schwellenland. Für den Zuschauer bleibt zu hoffen, dass sich das bald ändert. Vielleicht ja bis zum nächsten YouTube-Jubiläum.
Kommentare 7
In Ihrem letzten Artikel hatten Sie noch beklagt, dass die Künstler so wenig verdienen. Jetzt verteidigen Sie aber ausgerechnet eines der reichsten Unternehmen der Welt, wenn sie Künstlern keine angemessene Vergütung zahlen wollen. Die Verbreitung sei ja schon Belohnung genug.
Dabei trägt ja genau das Phänomen YouTube, wo alles in Massen umsonst zu haben ist, dazu bei, dass Musik entwertet wird, weil man für etwas, das man auch umsonst haben kann, immer weniger gewillt ist, Geld auszugeben.
Was Sie etwa nicht erwähnen ist, dass TV Sender wie HBO knallhart gegen jeden upload ihres contents auf YouTube vorgehen.Es ist schon ein wenig befremdlich, dass ausgerechnet ein linkes Blatt wie der Freitag eines der erzkapitalistischten Unternehmen der Welt, an dem sich einige wenige dumm und dähmlich verdienen und das fast keine Steuern zahlt gegenüber der GEMA, die strukturell ein Verein sind und an der kein Aktionär oder Inhaber irgendetwas verdient, verteidigt.Ich weiß schon, YouTube ist hip und sexy und die GEMA gilt als spießig und bürokratisch, doch als Journalist sollte man sich gerade nicht von solchen Meinungsklischees blenden lassen.Übrigens regt sich auch unter professionellen YouTubern vermehrt Protest, weil ihnen immer mehr klar wird, dass da irgendwas nicht stimmt wenn man für Millionen Werbe clicks gerademal gerademal paar hundert Euro bekommt.
Sie legen mir Dinge in den Mund, die ich so nicht geschrieben habe. Ich werfe lediglich die Frage auf, inwiefern die Gema den von ihr vertretenen Künstlern mehr schadet denn hilft. Diese Frage ist berechtigt und keineswegs so eindeutig zu beantworten, wie sie es hier versuchen.
Dass es auch bei YouTube dennoch erhebliche Mängel in der Verteilungsgrechtigkeit gibt, möchte ich nicht in Abrede stellen. Ganz im Gegenteil. Nur war das nicht Thema des Textes. Es ging daraum, herauszuarbeiten, warum YouTube so erfolgreich ist (weil es ein Netzwerk ist) und warum das in Deutschland vielleicht nicht ganz so funktioniert, wie es potenziell könnte (wegen der Gema).
Der aktuelle Protest der YouTuber – wenn ich mal vermuten darf, welchen sie meinen – richtet sich im übrigen eher gegen Vermarkter denn YouTube direkt.
Der Standpunkt der Gema ist geradezu abstoßend. Weil Google mit seiner Suchmaschine dick Geld verdient, sollen sie die Musikvideos bei Youtube mit diesem Geld subventionieren. Der erste Kommentar hier nimmt sofort die gleiche Stellung ein. Dabei wird in dort üblicher, aufdringlicher Art auch gleich noch insinuiert, dass das viele Geld, das von Googles Börse in die der Künstler und ihrer Labels wandern soll, eine "angemessene Vergütung" wäre.
Wenn die Künstler und ihre Labels meinen, dass ihre Videos so viel Geld wert wären, sollten sie auf jeden Fall selbst eine Plattform aufmachen, auf der sie ihre Video-Ware vergolden können.
Aber das tun sie dann auch nicht. Bzw. wenn auf Labelseiten dann Audios oder Videos angeboten werden, werden ein paar davon dann auch verschenkt, mit der Hoffnung, damit um die Gunst der Besucher werben zu können, damit sie zu Kunden werden und dann auch die anderen kaufen.
Bei den höchst amtlichen Verkaufsplattformen wie iTunes oder Amazon ist es ähnlich. Da darf der potenzielle Käufer von jedem Stück erst mal 30 Sekunden komplett gratis anhören.
Wir lernen: Immer, wenn die Künstler und ihre Labels mit ihren originären Methoden versuchen, Geld zu verdienen, kapieren sie durchaus, dass man das Geld nicht in die eigene Börse diktieren kann, aber wenn sie dann mit Youtube verhandeln, tun sie so, als wären sie die Göttlichen, denen jeder Maximalwunsch gewährt werden muss. Abstoßend.
«Das haben in Deutschland aber immer noch nicht alle richtig verstanden»
Wen wundert's?!
In D hatten vor sehr vielen Jahren die privaten Unternehmen, besonders die multinazionalen, in Tateinheit mit der LügenPolitik beschlossen:
Wir wollen sein ein einig Volk von Krämern und Bänkern.
Die Zeit der Tüftler und Denker war vorbei und vorbei war auch die NettoInvestition in diese Volkswirtschaft; das war so etwa 1970 und in Folge verstärkte sich der Trend bis heute und hält an.
Investiert wurde schon, vor allem aber nicht der eigene Gewinn, sondern die staatliche Subvention; sowas ist nur als Anschub sinnvoll, danach werden nur noch die Verluste gesteigert.
Der kürzlich wiederholte verbale RundUmSchlag der LügenPolitiker, endlich einmal die ITNetze auf den aktuellen technischen Stand zu bringen ist bisher nicht verwirklicht worden.
Z.B. hier in MeckPomm gibt es ein kleines Senderlein für DAB+ in Schwerin - immerhin schon.
Was soll der Blödsinn? Es geht hier nicht um Subventionierung sondern um angemessene Beteiligung. Wie bei allen Lizenzierungsprozessen der GEMA werden solche Vergütungen ja nicht gewürfelt sondern nach objektiven wirtschaftlichen Parametern errechnet. Ein Hamburger Gericht hat bereits vor Jahren festgestellt, dass die Forderungen der GEMA keineswegs überzogen sind.
Es ist irritierend wie Ressentiments jedes objektive Urteil außer Kraft setzen. Die Google Executives verdienen zusammen im Jahr soviel wie der gesamte GEMA Umsatz ist, ist nicht das eher ein wenig abstossend?
Erstens hat die GEMA schon mehrfach klargestellt, dass sie keine Videos blocken. YouTube macht das eigenmächtig, ganz offensichtlich um die GEMA durch die Öffentlichkeit unter Druck zu setzen.Außerdem sind Beispiele wie Psy die absolute Ausnahme, die kaum auf die Mehrheit zu übertragen sind. Kein Pop Akt in Deutschland wäre groß genug um allein durch YouTube Einnahmen auch nur die Produktionskosten für ein Album zu finanzieren.Natürlich freuen sich manche newcomer, wenn ein song von Ihnen mal 100000 clicks bekommt. Doch schnell kommt die Ernüchterung, wenn man feststellt, dass das als ökonomische Basis hinten und vorne nicht reicht. Ich bestreite gar nicht, dass da eine neue Ökonomie entsteht, doch eine aus Sicht von Künstlern prekäre. Denn das muss man einfach auch ganz klar sehen, dass das Prinzip YouTube und Co. den Marktwert von Musik in den letzten Jahren immer weiter nach unten gedrückt hat.Ein Welt-Hit wie der von Psy hätte vor 15 Jahren noch das 10 bis 100fache eingespielt, das heißt in Konsequenz die Indies und Nischengenres am unteren Ende werden aus dem Markt gedrängt. Ich mache mir gar keine Illusionen darüber, dass diese Entwicklung noch umgekehrt werden könnte. Doch muss man eben die Dinge beim Namen nennen. YouTube bedeutet Kapitalismus in Reinform und wie überall, wo dies der Fall ist, werden die Großen die Kleinen auffressen.
„Was soll der Blödsinn?“
Super Argument. Ich denke, diese Frechheit charakterisiert auch den Gema-Standpunkt – die Youtube-Abzocke wäre eine „angemessene Beteiligung“, denn es träfe ja keinen Armen – bestens und in allen wichtigen Facetten.