Vom Versuch, Schlacke einzubetonieren

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Sascha Lobo schreibt im Spiegel einen interessanten Artikel über die Notwendigkeit einer digitalen Demokratie und die aktivierende Wirkung, die diese auf die politikverdrossene Wählerschaft jenseits deutsch-demokratischer Wahlbeteiligungswerte hätte.

Gleichzeitig findet in Baden-Württemberg eine kaum erträgliche, zähe, fortwährende Schlammschlacht um den Bau von S21 statt, die einzig und allein darauf fußt, dass der finale Volksentscheid, der mögliche Freifahrtschein für Befürworter und Gegner, in weiter Ferne liegt und bis dahin die eine Partei Interesse daran hat, Realitäten zu schaffen, während die andere sich an Bäume klammert. So oder so, es werden Geld und Nerven verbrannt.

Zu allem Überfluss beweisen unsere Oberen – Achtung, Schlagobers! – erneut, dass sie mit dem Netz und dessen eigener Funktionsweise nichts anzufangen wissen. Nach den erfolgreich (nicht.) verbannten Kinderpornos soll jetzt die Netzneutralität dran glauben, legitimiert von Menschen, die nicht wissen, wovon sie reden. Vermutlich aber gut verdienen.

Diese Geschichten sind für sich genommen schon die ein oder andere Gehirnwindung wert. Man kann das ruhig mal andenken. Als Melange ergeben sie allerdings einen Hinweis auf die Frucht, aus der das politische Handeln dieses Landes gepresst zu sein scheint. Denn während Lobo sich als Interessenvertreter der “Netzbürger” für ebene jene stark macht und (wieder einmal) dazu auffordert, diese abzuholen, wo sie sich eben befinden, hätte die von ihm eingeforderte digitale Demokratie in Stuttgart dramatische realpolitische Folgen. Positive. Nur: es passiert nicht.

Eine Abstimmung nicht erst im Herbst, sondern auf die Schnelle im Netz organisieren und legitimieren zu können (Heureka!), hätte so manche politische Karriere, so manchen Baum retten können. Zumindest aber hätte man schnell Gewissheit geschaffen und wäre von den Zwischenwehen schwäbischer Umstände verschont geblieben. (In eigener Sache: Was hätten wir auf Schlagzeilen verzichten müssen ...)

Statt aber die Möglichkeiten des WWW abschöpfen und nutzen zu wollen, scheint man sich weiterhin darauf zu versteifen, es irgendwie doch wieder in die eigene Gedankenwelt einzugliedern. Anders als ignorant jedenfalls ist das langsam aufbrausende politische/wirtschaftliche Interesse an der Netzneutralität – oder besser gesagt an deren Verschwinden – nicht zu bezeichnen.

An dem Momentum aufkeimender, netzbasierter Demokratie – die nicht zuletzt auch auf Netzneutralität fußt – besteht unterdessen kein Interesse. Warum auch? Es muss schließlich alles seinen Weg gehen: langsam, undurchsichtig und darauf bedacht, alles so zu belassen, wie es eben ist. Bis auf den Bahnhof natürlich.

Das Gefühl, dass es besser gehen könnte, kennt man. Hier schmerzt es. Es zeigt sich stechend, aus welchem Holz die Hebel der Macht geschnitzt sind. Es ist das selbe Holz, aus dem Lehrkräfte geschnitzt sind, auf die junge, dynamische Eltern vom Lausi (das ist der neue Prenzlauer Berg) schimpfen, weil sie seit 20 Jahren den gleichen Unterricht predigen und nicht genug zur Exzellenz des eigenen Nachwuchs beitragen. Es ist das Holz aus dem Beamte geschnitzt sind, die nach der Einführung der EDV noch griesgrämiger hinter ihren Tischen sitzen und gefühlt noch länger brauchen, um plastifizierte Personalausweise einzutüten. Es ist das Holz, aus dem Politiker gemacht sind, die daran glauben, dass die eigenen Lügen nach der x-ten Wiederholung wahr werden. An diesem Holz haftet Mief, der alterwürdige Gebäude durchdringt, der dem Neuen nicht nur durch den Weg zieht, sondern ihm die Luft zum Atmen nimmt und im schlimmsten Fall unangenehm riecht – nach Bakschisch.

Es wäre an der Zeit, mutig voranzuschreiten, um die Probleme unserer Zeit mit Mitteln aus eben jener zu lösen, anstatt verzweifelt an der Uhr zu drehen, um den Hartmuts, Josephs und Silvios noch einen letzten Gefallen mit auf den Weg zu geben, Hartz-IV-Kind Maurice den Kopf zu verdrehen und die Schlacke, in der man sitzt, zum eigenen Wohlergehen fleißig einzubetonieren. Das Einzige, was dem entgegen steht, ist eine einfache Erkenntnis: Können kommt von Können wollen.

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Bild via Maior Legal

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Jan Jasper Kosok

Online-Chef

Jan Jasper Kosok studierte Wirtschaftswissenschaften in Berlin, verdingte sich im Nachtleben und gründete 2007 mit Teresa Bücker das Blog Knicken // Plakative Platzierungen, welches sich mit Musik und Popkultur beschäftigte. 2009 kam er zum Freitag, um beim Aufbau des Webauftrittes zu helfen. Seit 2011 ist er verantwortlicher Redakteur für Online und Community und hat seitdem mehrere Relaunches begleitet. Er beschäftigt sich mit den sozialen Auswirkungen von zu hohem Internetkonsum und fürchtet sich davor, nicht verhindern zu können, ein alter weißer Mann zu werden.

Jan Jasper Kosok

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