Ein großes Versprechen

Katalog Der Staat will mit einem 21-Millionen-Kredit aushelfen, damit der nächste Quelle-Katalog erscheinen kann. Die bunten Seiten sind mehr als eine reine Warenliste

Sein Ruf ist nicht gut. Der Warenhauskatalog wird immer dann herbeizitiert, wenn es darum geht, jemandem Beliebigkeit vorzuwerfen. Hier, so der Vorwurf, stehe das Unwichtige gleichberechtigt neben dem Wichtigen, das Große unterschiedslos neben dem Kleinen, werde von A wie Aktenvernichter bis Z wie Zimmerbrunnen alles einfach nur aufgezählt und mit einem Preis versehen. Nirgends zeige sich zielloser, sinnentleerter Konsum ungeschminkter als auf den bunten Seiten der Kataloge von Quelle und Neckermann, klagen die Kulturkritiker. Hans Magnus Enzensberger schrieb in den 60er Jahren die Rezension eines Neckermann-Katalogs und machte damals eine "kleinbürgerliche Hölle" aus, aus welcher es kein Entrinnen gebe. Allerdings merkte er auch an, dass Ethnologen einst "genauere und fruchtbarere Schlüsse auf unsere Zustände" aus den Warenhauskatalogen ziehen könnten als aus der gesamten erzählenden Literatur.

Nun ist der Quelle-Katalog in Gefahr – und damit die Zukunft von Quelle insgesamt. Wie Karstadt gehört Quelle zum Arcandor-Konzern, der Anfang Juni Insolvenz anmelden musste. Die bayerische Staatsregierung will Quelle einen 21-Millionen-Kredit geben, damit der Herbst-Winter-Katalog überhaupt gedruckt werden kann. Damit das Versandhaus das knapp 1.400 Seite dicke Werk, gefüllt mit 78.000 Produkten, in neun Millionen Haushalte der Republik schicken kann. Es ist ein halbjährliches Ritual mit langer Tradition. 1928 versandte Firmengründer Gustav Schickedanz erstmals mehrseitige Preislisten, auf denen er seine Waren zur Bestellung anpries.

Jeder kann teilhaben

Und es ist ein Ritual mit einem großen Versprechen. Der Warenhauskatalog präsentiert nicht nur die Produkte der Überflussgesellschaft, er verspricht zugleich auch, wirklich jeden am Konsum teilhaben zu lassen. Die Hochzeit dieses Versprechens – die Wirtschaftswunderjahre – war daher auch die Blütezeit der Katalogkultur. Anfang der 60er Jahre verbrachten Familien gemeinsam Abende damit, durch die bunten Seiten zu blättern und ihre Bestellungen heraussuchen. Und etwas von diesem Optimismus, der Vorstellung jeder – sei sein Wohnort noch so entlegen und habe er auch nur wenig Geld – kann teilhaben, ist nach wie vor mit jeder Auslieferung eines neuen Katalogs verbunden.

Als es 2004 Pläne gab, die dicken Kataloge abzuschaffen und den Versandhandel nur noch über das Internet zu betreiben, gab es aus diesem Grund wütenden Protest. Der völlige Umstieg aufs Netz hätte vor allem ältere Menschen in ländlichen Regionen von diesem Versprechen ausgeschlossen. Und weil dieses Versprechen – ganz unabhängig davon, ob es überhaupt je eingelöst wird – weiter am Leben gehalten werden muss, wird es den Quelle-Katalog auch weiterhin geben. Dafür wird der Staat schon sorgen.

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