Persönliche Grußworte sind Teil eines Buchs; einmal hineingeschrieben, verschmelzen die handschriftlichen Notizen mit dem Haupttext, das Einzigartige mit dem Reproduzierbaren, das Persönliche und das Käufliche. Aber Widmungen bleiben, egal mit wie viel Enthusiasmus sie auf den Seiten mit klangvollen Namen wie „Schmutztitelseite“ oder „Vorsatzblatt“ eingeschrieben werden, immer außerhalb vom Eigentlichen. Denn anders als die üblichen Begleittexte – sogenannte Paratexte wie Vorwort, Impressum und Klappentext, die durch den Autor selbst oder während des Edierens ergänzt werden – gehören persönliche Widmungen nicht dorthin. Sie sind keine Literatur und dementsprechend natürlich nicht Gegenstand literaturwissenschaftlicher Untersuchungen. Liest man in wissenschaftlichen Texten von Widmungen, sind in den meisten Fällen Zuwendungen gemeint, die der Autor selbst verfasst hat. Handschriftliche Widmungen sind eine in jeder Hinsicht marginale kulturelle Praxis.
Es ist durchaus unverschämt, sich derart in den Text zu drängeln. Man muss nicht einmal besonders bibliophil sein, um dem Objekt Buch einen besonderen Status anzuerkennen, schließlich hat es als Kulturträger neben dem materiellen auch einen immateriellen Wert. Wer Widmungen schreibt, kennt vielleicht diesen kurzen Moment des Zögerns, ehe man die – hoffentlich gut überlegten – Grußworte schreibt. Kennt das Hoffen, dass die Schrift ordentlich aussieht, dass einem keine Fehler passieren und dass man nichts schreibt, was man hinterher bereut. Widmungen sind schließlich da, um zu bleiben: Sie verleihen einem Buchgeschenk eine ganz neue Art von Verbindlichkeit, fungieren als Berührungspunkt zwischen Schenker, Beschenktem und Geschenk. Ein Weiterverschenken ist, wenn man Wert auf Höflichkeit legt, so gut wie ausgeschlossen. Bücher mit Widmung weigern sich, zu tun, was Bücher sonst häufig machen: Sie kursieren. Werden öfter verliehen als zurückgegeben, an Antiquariate verkauft, vermeintlich interessierten Freunden weitergegeben oder kistenweise zum Verschenken an die Straße gestellt. Wie dieses Kursieren aussehen wird, wenn Bücher zunehmend digital gelesen werden, darüber kann man nur spekulieren; fest steht, dass der antiquarische Buchmarkt trotz sinkender Umsatzzahlen und der Verlagerung des Verkaufs ins Internet alles andere als altersschwach wirkt.
Bücher mit Widmungen bleiben, wenigstens im Idealfall, zeitlebens mit dem Beschenkten verbunden. Aber manchmal – nicht so selten, wie man annehmen könnte – passiert es doch, dass man in Antiquariaten oder auf Flohmärkten Bücher mit Widmungen findet.
Manche sind unspektakulär und floskelhaft, andere ungewöhnlich originell und so beredt, dass man sich die Frage, ob es sich bei solchen Widmungen um Literatur handelt, vielleicht ein zweites Mal stellen sollte. Zumindest erzählen diese Kurztexte, losgelöst aus den engen Grenzen der privaten Korrespondenz, gleich eine ganze Menge Geschichten: In welchem Verhältnis stehen Schenker und Beschenkter zueinander? Weshalb hat die eine Person der anderen genau dieses Buch geschenkt? Und was ist geschehen, dass es nun hier, auf diesem Büchertisch, in diesem Secondhandladen, in meiner Tasche gelandet ist? Ist der Beschenkte tot? Hat der Schenker sich unbeliebt gemacht? Brauchte jemand Geld, oder hatte er keinen Sinn für derart persönliche Geschenke? War’s einfach nicht das richtige Buch? Manchmal geben die Widmungen selbst Aufschluss, aber oft genug steht man mit seiner Fantasie allein da, wenn einem zufällig ein Buch mit einer Widmung begegnet, dessen Anker sich gelöst hat.
Als eine Freundin sich vor kurzem dazu entschlossen hatte, sich von einigen Sachen zu trennen und in ihrer Wohnung Raum für Neues zu schaffen, war ich gern bereit, sie um ein paar Bücher zu erleichtern. Gemeinsam saßen wir auf dem Teppich zwischen immer größer und chaotischer werdenden Bücherstapeln, und sie räumte Regalbrett um Regalbrett leer. An den Büchern entlang entblätterte sich ihre halbe Lebensgeschichte, und irgendwann waren wir, mehr erzählend als sortierend, bei W wie Willemsen angekommen. Bild dir meine Meinung hatte keinen Schutzumschlag mehr, aber eine Widmung, in hastiger, aber schwungvoll-eleganter Handschrift verfasst, tintenblau und nett: „Zum Geburtstag am 15. Januar 2001 von Deinem C.“, stand auf dem Vorsatzblatt. Sie überlegte kurz, wer dieser – „ihr“ – C. überhaupt war, und ich sah ihr an, dass sie in Gedanken eine Liste vergangener Lieb- und Freundschaften erstellte. Dann fiel es ihr ein. „Ach so. Mein Geburtstag ist ja gar nicht am 15. Das hab ich wohl gebraucht gekauft.“ Wer C. ist, ließ sich nicht herausfinden, aber sein Buchgeschenk ist ein paar Häuser weitergewandert, und ich bezweifle, dass ich die Letzte bin, die es besitzt. Aber ich versichere hoch und heilig, ich habe es nicht nur der Widmung wegen mitgenommen.
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