"Die Menschen reden zu viel übereinander"

Interview In seiner Web-Reportage "re:sponsive" will Raul Krauthausen dazu beitragen, dass auch Menschen mit entgegengesetzten Positionen wieder ins Gespräch kommen
Raul Krauthausen
Raul Krauthausen

Foto: imago/Horst Galuschka

der Freitag: Herr Krauthausen, der Titel der neuen Webserie ist re:sponsive, also "reagierend", "ansprechbar", "mitgehend". Man kann sich darunter schon was vorstellen, aber vielleicht können Sie ja nochmal genauer erklären, was Sie mit dem Titel ausdrücken wollen?

Raul Krauthausen: Der Titel spielt natürlich auf die digitale Ausrichtung des Formats an: Kern von re:sponsive ist es, dass ich die Fragen, die sich mir während der Recherche stellen, direkt in die Community gebe und mir Anregungen auf Twitter oder Facebook einhole.

Geht das Konzept denn auf?

Ja, das hat in den zurückliegenden Wochen der Recherche ganz fantastisch funktioniert. Es eröffnet teils ganz neue Perspektiven, eben weil so viele unterschiedliche Personen Einfluss auf mein Denken nehmen.

Zur Person

Raul Krauthausen, Jahrgang 1980, ist Aktivist und Moderator. Er hat verschiedene Projekte initiiert. Unter anderem ist er Mitbegründer des Vereins "Sozialhelden" – eine Denkfabrik für soziale Projekte. Das Webformat re:sponsive ist in Zusammenarbeit mit der Bundeszentrale für politische Bildung entstanden. Vor der Bundestagswahl 2017 richtet es sich vor allem an junge Menschen, die sich primär in den sozialen Medien informieren und soll die Debatte über wichtige politische und gesellschaftliche Fragen anstoßen.

Wie ist die Idee für re:sponsive entstanden?

Am Anfang stand unser Gefühl, dass die Menschen, die sich online zeigen und Einfluss haben, also beispielsweise Youtuber, sich sehr selten politisch äußern. Daraus ist die Idee entstanden, Wege zu finden, um mit diesen Leuten – Influencern – in einen Dialog zu kommen und über gesellschaftlich relevante Themen zu sprechen. Dann kam die Idee, das Ganze mit der Bundestagswahl zu verbinden und auszuweiten auf die Community.

Welche Community?

Menschen, die online aktiv und zu bestimmten Themen unterwegs sind.

Zu welchen Themen?

Ganz unterschiedlich: Gerechtigkeit, Migration, Ehe für alle. Aber auch Umwelt und Klima. Das ist aber keine abschließende Liste. Wir lassen auch Raum für spontane Gespräche.

Nach welchen Kriterien wurden die Themen denn ausgesucht?

Uns ging es bei der Auswahl der Themen darum – unter anderem unter Berücksichtigung von Studien wie der Shell-Jugendstudie – möglichst ein Themenspektrum abzudecken, das junge Menschen tatsächlich interessiert. Die Themen haben wir gemeinsam mit dem renommierten Politikwissenschaftler Hajo Funke erarbeitet, der uns als fachwissenschaftlicher Berater zur Seite steht. Im Anschluss haben wir sie mit der Bundeszentrale für politische Bildung abgestimmt.

Nach welchen Kriterien werden die Gesprächspartner ausgesucht? Haben die sich beworben?

Wir sprechen die Crowd direkt an und stellen eine Frage. Zum Beispiel: „Wer von euch geht nicht wählen?“ Und dann versuchen wir jemanden aus dem Bereich zu treffen. Aber wir versuchen gleichzeitig auch, genug Freiraum für spontane Begegnungen und Situationen zu lassen.

Und wie ist Ihre bisherige Einschätzung?

Ich finde es extrem spannend, mich mit den Leuten und ihren Positionen auseinanderzusetzen. Ich glaube, dass die Menschen wegen des Internets zu viel übereinander und zu wenig miteinander sprechen.

Wie zeigt sich das denn?

Das zeigt sich immer wieder an pauschalen Behauptungen wie „Die da oben machen eh, was sie wollen“, „Meine Stimme zählt sowieso nicht“, „Nichtwähler sind dumm“ oder „Der Populismus ist schuld am Erfolg der extremen Parteien“. Es wird gar nicht versucht, die Position der Gegenseite kennenzulernen und ihre Motive zu verstehen. Wir wollen mit re:sponsive dazu beitragen, dass sich beide Seiten mehr unterhalten.

Bisher haben Sie unter anderem mit einem Nichtwähler und einem Menschen gesprochen, der die Ehe für alle ablehnt. Wie war das für Sie als Moderator?

Ganz unterschiedlich. Bei dem Gegner der Ehe für alle konnte ich dievon ihm genannten Gründe beispielsweise überhaupt nicht nachvollziehen. Das waren vor allem religiöse Gründe. insofern war die Begegnungein bisschen merkwürdig. Wir kamen da über ein „will ich nicht“, „ist mir neu, ist mit unangenehm“ nicht hinaus.

Den Nichtwähler konnte ich eher nachvollziehen, auch wenn ich andere Schlüsse ziehe als er. Er konnte sich nicht mit den politischen Parteien und ihren Politikern identifizieren und hatte das Gefühl, es sei egal, für welche der Parteien er seine Stimme abgibt, da es keinen Unterschied für seine Situation mache.

Aber bestätigen diese Menschen nicht die bestehenden Stereotypen?

Nein, das war gerade das Interessante und zeigte sich vor allem beim Nichtwähler: Das war ein intelligenter, politisch sehr interessierter Mensch. Also überhaupt nicht das Klischee vom „Dummen“ der einfach nicht wählen geht.

Ist denn Ihrer Meinung nach etwas dran an diesem Klischee?

Ich glaube, dass sie sich vor allem nicht repräsentiert fühlen.

Worauf stützen Sie diese Einschätzung? Ist das nicht vielleicht einfach ein anderes Klischee, was schnell zur Hand ist?

Ich habe viel mit Menschen über Politik gesprochen. Zum Beispiel habe ich im Märkischen Viertel eine Straßenumfrage gemacht. Da sagte jemand etwas Interessantes: In seinem Wohnviertel ließe sich gar kein Politiker blicken. Die Menschen fühlen sich von der Politik gar nicht angesprochen. Die Politik erreicht sie nicht mehr und sie ziehen sich zurück ins Private. Ganz oft drehten sich die Gespräche auch um Sicherheit: „Es wird ja alles immer unsicherer.“

Inwiefern? Ging es da um Terror und Kriminalität?

Nein, das ist ja das Spannende: Es ging dabei vor allem um finanzielle Sicherheit. Oder Bildungssicherheit. Ich denke auch, dass die Politik da einen Fehler macht: Bei Sicherheit geht es in der Politik dann immer gleich um Polizei und Rechtsstaat. Themen wie finanzielle Sicherheit, Bildungssicherheit, Alterssicherheit, Wohnungssicherheit und ähnliches werden von den Politikern vernachlässigt.

Nichtwähler, Gegner der Ehe für alle - das hört sich an, als ob Sie gezielt extreme Positionen suchen.

Es muss nicht „auf Teufel komm raus“ extrem sein. Aber klar, wir wollen gerade das Gespräch mit gegensätzlichen Positionen suchen, um Antworten, Feedback zu bekommen. Das ist ja immer eine journalistische Gratwanderung. Aber wenn man diese Positionen keinen Raum gibt, dann unterliegt man schnell dem Vorwurf, man würde selektieren.

Aber besteht nicht die Gefahr der Polarisierung, wenn man nur gegensätzliche Positionen darstellt? Schließlich gibt es in vielen Fragen kein klares „ja oder nein“, sondern feine Abstufungen.

Sicher, diese Gefahr besteht. Aber wir stellen die Positionen ja nicht gegenüber, weil wir sie im Anschluss aufeinander loslassen wollen. Wir wollen damit eher versuchen, die unterschiedlichsten Perspektiven auf ein Thema so darzustellen, dass sich vielleicht auch für die Gegenseite eine Nachvollziehbarkeit einstellt.

Sie sind für Ihren sozialen Aktivismus bekannt. Wie ist denn Ihre Position als Moderator? Wie vermeiden Sie den Eindruck, Leute "missionieren" zu wollen?

Das ist zugegebenermaßen nicht so einfach. Wer mich kennt, der weiß, wie ich denke und was meine Positionen sind. Ich glaube aber, dass es wichtig ist, miteinander ins Gespräch zu kommen und aufzuhören, ständig übereinander zu reden. Nur so können wir uns als Gesellschaft überhaupt annähern und Kompromisse entwickeln.

Es geht auch ein Stück weit um die Frage, was Veränderung bewirkt: Ist es die Politik oder ist gesellschaftlicher Druck, der zu Veränderung führt. Das zeigt sich zum Beispiel an der Ehe für alle: Da war der gesellschaftliche Druck inzwischen so groß, dass CDU und CSU ihre ablehnende Position nicht mehr lange hätte halten können.

Gibt es denn eine bestimmte Zielgruppe für die Sendung?

Unsere Zielgruppe sind vor allem jüngere Menschen, also Erstwähler. Deshalb ist es auch eine Webserie und deshalb treffen wir auch Influencer aus den sozialen Medien.

Es geht ja auch um die Schaffung gemeinsamer Kommunikation: Nicht übereinander, sondern miteinander reden. Warum dann der Fokus auf jüngere Menschen? Auch bei älteren Menschen ist das problematisch.

Formate arbeiten immer mit Zielgruppen, weil man (allein durch Machart, Ansprache, etc.) nicht alle erreichen kann. re:sponsive ist ein Format für junge Menschen, deshalb auch die reine Publikation über soziale Medien.

Soll die Politik etwas tun, um Menschen aus ihren "Filterblasen" herauszuholen? Kann Sie das überhaupt?

Ich glaube, dass "die Politik" versuchen kann, bürgernäher zu werden. Sie kann mehr zuhören und Vorschläge aus den lokalsten Regionen auf- und ernst nehmen. Wir brauchen mehr Community-Arbeit vor Ort, die Bürger fragt, mit einbindet und lösungsorientiert arbeitet.

Welche Themen kommen noch?

Es kommen noch die Themen Integration, Gerechtigkeit, Umwelt und Klima. Aber in jedem Bereich soll es, wie gesagt, noch Freiraum geben. Da orientieren wir uns auch am Interesse in der Crowd.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Gespräch führte Jan Rebuschat

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Jan Rebuschat

Geboren 1982, zweifacher Familienvater. Volljurist, seit 2011 journalistisch tätig.

Jan Rebuschat

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