"Das ist nicht so lustig"

Im Gespräch Bascha Mika denkt in ihrem neuen Buch über das Älterwerden und weibliche Selbstverachtung nach
Ausgabe 09/2014

Der Freitag: In Ihrem neuen Buch „Mutprobe“ geht es darum, wie Frauen im Alter unsichtbar werden. Sie beschreiben, wie eine Frau mit ihrer Tochter im Zug reist und alle Männer nur mit der Tochter flirten. Solche Erfahrungen, schreiben Sie, sorgen dafür, dass ältere Frauen durch die Nicht-Beachtung frustriert werden. Gibt es ein Grundrecht auf Begehrt-werden?

Bascha Mika: Nein

Aber wer macht da was falsch? Soll ich denken: Wenn ich die junge Frau anschaue, muss ich auch die ältere zumindest eines Blickes würdigen?

Natürlich kann keine Frau von einem Mann verlangen: Begehre mich! Aber was wir Frauen selbstverständlich verlangen können, ist, im öffentlichen Raum wahrgenommen zu werden. Das gehört zu den ganz wichtigen Punkten.

Warum macht sich die Frau im Zug den männlichen Blick zu eigen? Sie könnte doch sagen, ist mir egal, ob mich Typen anschauen oder nicht.

Uns Frauen ist es seit über 1.000 Jahren antrainiert, dass wir uns mit dem männlichen Blick identifizieren. Wir können das nicht ohne Weiteres abschalten. Und es geht weit über die männliche Missachtung und die erotische Wahrnehmung hinaus. Frauen machen ja genau dasselbe mit älteren Frauen.

Ich finde, das Ziel in dieser speziellen Situation müsste sein, dass die Frau sich vollkommen unabhängig macht von diesen Männern.

Das sagen Sie so. Stellen Sie sich mal vor, keine Frau würde Sie mehr angucken. Das könnten Sie vielleicht grade noch verschmerzen. Aber wenn Sie das Gefühl haben, der gesamte öffentliche Raum nimmt Sie nicht mehr wahr, dann wird die Sache politisch. Natürlich kann niemand von einer einzelnen Person Begehren verlangen. Aber was wir begehrenswert finden, das kommt doch nicht vom Himmel!

Geht es auch darum, den Frauen einen „weiblichen Selbsthass“ abzuerziehen, mit dem Sie in Ihrem Buch Simone de Beauvoir zitieren? Sie sagte mit Blick auf ihr Spiegelbild: „Ich sehe meinen Kopf, den eine frühe Seuche befallen hat, von der ich nicht mehr genesen werde.“

Im Bezug auf de Beauvoir halte ich den Begriff für angebracht. Mit Blick auf andere Frauen würde ich von Selbstverachtung reden. Und die ist mir bei meinen Gesprächen natürlich unendlich häufig begegnet. Aber diese Selbstverachtung steckt ja nicht in uns Frauen drin! Angenommen, ich schaue in den Spiegel und fühle mich gut. Dann denke ich: Ach, du bist doch eigentlich fit und frisch und kannst auch mit deinen Falten leben. Und dann sehe ich mich plötzlich mit den Augen von außen. Und plötzlich kann ich nicht mehr mit meinen Falten leben, weil ich weiß, die Gesellschaft hält die für hässlich.

Sprechen wir über den Körper, über seine Entwicklung und Veränderung. Beherrscht das Nachdenken über den eigenen Körper das Alltagsgefühl der Frauen?

Ja, blöderweise. Das ist auch eine alte Geschichte, dass wir Frauen offenbar viel stärker in unserem Körper stecken als ihr Männer. Es heißt, Frauen sind Körper, Männer führen ihren Körper wie ein Hündchen an der Leine. Frauen werden an ihren Körper gekettet. Und weil der Körper derjenige ist, der die sichtbaren Altersspuren zeigt, kann man über diesen Mechanismus auch leichter das Älterwerden von Frauen abwerten. Nach dem Motto: Die Frau ist mehr Körper und der verfällt, also verfällt auch die Frau. Punkt.

Was Frauen aber von Männern unterscheidet, ist ihre Gebärfähigkeit. Sie werden schwanger, bekommen Kinder, auch die Menopause. Das sind Aspekte des weiblichen Lebens, die Tatsache sind und keine kulturelle Zuschreibung?

Natürlich unterscheiden wir uns in der Biologie. Das zu leugnen, wäre ja albern. Die Frage ist aber, welche Urteile an die Biologie gekettet werden.

Ich frage, weil Männer durch diese Phasen so nicht durch gehen. Ich glaube, dass Männer kulturell und biologisch ein anderes Verhältnis zur Zeit haben als Frauen.

Ich glaube, das ist kulturell geprägt. Auch Männer durchlaufen unterschiedliche Phasen des Lebens. Nur sind die nicht so drastisch eingetaktet. Die typische Abfolge sieht für Frauen ja so aus: Noch-nicht-Mutter, Mutter, dann Berufstätigkeit. Entweder beginnt sie danach oder die Frau pausiert. Später ist sie dann eine Mutter, deren Kinder aus dem Haus sind, dann pflegt sie die Älteren. Das schafft in der weiblichen Biografie ständig Punkte, die unser Leben zerhacken. Männer bleiben im Beruf, egal, ob sie fünf oder zehn Kinder haben. Die setzen auch heute maximal zwei Monate aus, wenn sie es überhaupt tun. Sie sind zwar auch dem Alterungsprozess unterworfen, und auch den Wechseljahren, aber da beides bei ihnen nicht so deutlich wird, können sie das verschleiern.

Welche Rolle spielt es, dass Frauen im Schnitt länger leben als Männer, dadurch länger alt und auch länger allein sind? Das prägt unseren Blick auf die ältere Frau doch auch?

Natürlich. Deswegen ist es auch nicht so lustig, dass wir eine ältere Gesellschaft sind. Denn die Frauen, also die Mehrheit der Älteren, werden diskriminiert.

Eigentlich müssten diese Frauen sich mit jüngeren Männern zusammentun. Die Erfahrung lehrt etwas anderes ...

Biologisch betrachtet haben Sie Recht. Aber irgendwann haben Männer beschlossen, dass sie einfach in allen Generationen wildern können. Das steckt nicht in deren Genen. Das ist einfach eine Frage von Macht. Dann haben sie sich die jüngeren Frauen gegriffen. Und es gibt Emotionsbiologen, die behaupten, es könnte sogar sein, dass Frauen in die Wechseljahre kommen, weil es in der Evolution mal eine Phase gab, in der Männer anfingen, auch auf jüngere Frauen zuzugreifen. Die älteren Frauen sollten sozusagen nur noch die Pflegearbeit machen. Die gab’s auch schon in der Steinzeit. Da sie evolutionstechnisch für die Reproduktion nicht mehr notwendig waren, bekamen sie die Wechseljahre und waren nicht mehr fruchtbar. Und diese Forscher sagen sogar, wenn Frauen anfingen, nur noch jüngere Männer zu nehmen, dann würden die Männer, die älteren, plötzlich auch nicht mehr fruchtbar sein. Toller Gedanke, oder? Nein, ich finde ihn nicht wirklich toll, denn wir können uns ja nicht wünschen, dass Männer plötzlich unfruchtbar werden, sondern es geht eher um das Gegenteil.

Aber wie unterscheiden sich denn Männer und Frauen in ihrem Begehren? Begehren ältere Frauen keine jüngeren Männer?

Aber hallo! Nimm mich zum Beispiel. Ich habe einen zehn Jahre jüngeren Mann. Und es ist großartig. Das ist viel Prägung, sind Bilder und traditionelle Muster, die sich einfach durchgesetzt haben.

Ganz zum Schluss des Buches kommt so eine Drehung, die ich nicht verstehe. Sie schreiben zur Schönheitsindustrie, dass Frauen sie in einem subversiven Akt zu ihren eigenen Gunsten nutzen sollen. Also nicht, um sich dem gängigen Schönheitsideal zu unterwerfen, sondern um das eigenen Ego aufzuwerten. Was soll denn das jetzt? Wir waren doch grade weg von dem männlichen Blick.

Bei dem ganzen Thema geht es doch darum, dass wir als Frauen die Möglichkeit haben sollen, selbst zu bestimmen, wie wir älter werden. Wollen wir Nagellack, wollen wir uns schminken, wollen wir uns botoxen oder uns unters Messer legen?

Diese Autonomie ist doch eine Fiktion. Unser kapitalistisches System macht uns vor, dass wir eine Entscheidung autonom fällen, aber in Wahrheit ist das natürlich nicht so. Deshalb habe ich gedacht, da erweisen Sie den Leuten einen Bärendienst, wenn Sie da die Tür öffnen.

Nein, Sie haben natürlich Recht, dass in der jetzigen Situation die Selbstbestimmung eine Einbildung wäre. Aber ich finde es genauso wenig selbstbestimmt, darauf zu verzichten, auf Lippenstift und Make-up, weil Männer das auch gut finden. Das ist alter Feminismus. Der hat immer gesagt, wir müssten das Gegenteil von dem tun, was Männer wollen und dann sind wir frei. Das bestreite ich.

Bascha Mika war viele Jahre Chefredakteurin der taz ; im April tritt sie ihren Posten als Chefredakteurin der Frankfurter Rundschau an.

Mutprobe. Das höllische Spiel mit dem Älterwerden heißt ihr neues, soeben erschienenes Buch, in dem es um die gesellschaftliche Benachteiligung von Frauen jenseits der 50 geht

Mehr zum Gespräch finden Sie hier.

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Mit Lust am guten Argument

Das Gespräch führte Jakob Augstein
Geschrieben von

Jakob Augstein

Journalist und Gärtner in Berlin

Jakob Augstein

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