Demokratie is coming home

Schuldenkrise Griechenlands Premier Papandreou gibt seinem Volk die Souveränität zurück, die ihm die europäischen Sparkommissare genommen haben

Oχί heißt auf Griechisch Nein. Im Dezember wird Georgios Papandreou seinem Volk die Brüsseler Euro-Pläne zur Abstimmung vorlegen. Europa wird sich in den nächsten Wochen sehr viel Mühe mit den Griechen geben müssen, wenn es verhindern will, dass die Antwort Nein lautet. Papandreous Ankündigung bringt das rasende Rad der Euro-Politik mit einem gewaltigen Ruck zum Stehen. Der Grieche hat den Europäern einen Stock in die Speichen gesteckt. Das wird sie taumeln lassen, vielleicht stürzen. Es sei ein „Akt der Demokratie“, in so einer Lage das Volk zu befragen, hat der Premierminister am Montagabend in Athen gesagt. Das ist richtig. Vor allem aber ist es ein Akt der Verzweiflung – und des Widerstands.

Griechenland kann nicht mehr. Das Land steht kurz vor dem Zusammenbruch: Im nächsten Jahr wird jeder fünfte Grieche keine Arbeit haben, viele Staatsbeamte haben die Hälfte ihres Gehalts eingebüßt, der Grundlohn im öffentlichen Sektor liegt mittlerweile bei 780 Euro, das staatliche Gesundheitswesen zerfällt, die Zahl der Selbstmorde ist um 40 Prozent gestiegen. Es ist die Austerität, die Griechenland den Garaus macht. Dieses Fremdwort wird im Deutschen selten gebraucht, es bedeutet Strenge und Enthaltsamkeit. Deutschland hat sich in den vergangenen Jahren eine solche Wirtschaftspolitik freiwillig zugemutet.

Auch hier hat die soziale Ungleichheit dadurch zugenommen. Aber – und darin liegt eine besondere Perversion des gegenwärtigen Kapitalismus – der Verzicht auf Lohn und Konsum hat auch dazu beigetragen, dass Deutschland besser aus der Krise gekommen ist als die meisten anderen Staaten. Die Austeritätspolitik hat in Deutschland die Reichen reicher gemacht – aber die Armen weniger arm werden lassen. In Griechenland ist es anders gekommen. Um über fünf Prozent ist die griechische Wirtschaftsleistung in diesem Jahr geschrumpft. Noch mehr als befürchtet.

Buchstäblich kaputtgespart

Es ist nicht so, dass es an mahnenden Stimmen gefehlt habe: Dennis Snower, der Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, hatte mit Blick auf Griechenland schon im Frühling gesagt: „Das Fazit der Zwischenkriegszeit ist, dass in einer Depression ein zu scharfer Konsolidierungskurs die Wirtschaft eines Landes zerstören kann.“ Dennoch sind die Vertreter der sogenannten „Troika“ – Europäische Zentralbank, EU-Kommission und Internationaler Währungsfonds – wieder und wieder nach Athen gereist und haben immer größeren Druck ausgeübt. Es wurden die „Sparbemühungen“ der Griechen geprüft, und ob sie endlich den richtigen „Konsolidierungskurs“ eingeschlagen hätten. Zuletzt verlangten die Zuchtmeister aus dem Norden von der griechischen Regierung, die Tarifautonomie aufzuheben.

Es wäre nicht verwunderlich gewesen, hätte die Troika dabei nur die soziale Lage des Landes aus dem Blick verloren. Sie hat aber auch die wirtschaftliche Lage aus dem Blick verloren. Innerhalb eines Jahres ist Griechenland buchstäblich kaputtgespart worden. Und warum? Um den Markt zu besänftigen, jenes gefährlichen Tier, das inzwischen die Welt zu beherrschen scheint. Dem Markt sollte ein Zeichen gegeben werden: Je härter die Maßnahmen, so das brutale Kalkül, desto glaubwürdiger sind sie für den Markt.

Es kann ja kein Zweifel daran bestehen, dass sich die Griechen zu lange dem süßen Traum vom billigen Geld hingegeben haben. Unter der (konservativen) Regierung wurden in den Jahren zwischen 2004 und 2009 annähernd 120.000 zusätzliche Staatsbedienstete eingestellt und die öffentlichen Ausgaben verdoppelt. In diesen Tagen wurde bekannt, dass es in Griechenland eigentlich 9.000 Rentner geben müsste, die älter als 100 Jahre sind. Am guten Schafskäse wird das nicht liegen.

Der Gegner ist längst die europäische Zwangsverwaltung

Für solche Scherze büßen die Griechen seit anderthalb Jahren schwer: Sie sind de facto entmündigt und stehen unter internationaler Verwaltung. Das kann sich keine Demokratie auf Dauer gefallen lassen. Die Müllmänner, die Steuerbeamten, die Fluglotsen, das Fährpersonal – in ihrer Verzweiflung greifen sie alle zum Mittel des Streiks. Dadurch wird die Lage Griechenlands immer schlimmer. Aber inzwischen bestreiken die Griechen nicht mehr irgendeinen Arbeitgeber, ja nicht einmal mehr ihren eigenen Staat. Der Gegner ist längst die europäische Zwangsverwaltung und ihr erbarmungsloses Spardiktat.

Mit seinem Angebot einer Abstimmung dreht der Premier den Spieß jetzt um. Er gibt seinem gezeichneten Volk die Stimme zurück. Das Volk wird sich seiner eigenen Souveränität wieder bewusst. Die Troika hat bis zum Januar Zeit, die Griechen zu überzeugen, dass es eine Zukunft nach dem Sparen gibt. Wenn sie zustimmen – um so besser. Aber was, wenn sie dennoch „Oχί“ sagen? Ob Griechenland dann zur Drachme zurückkehrt, ist noch die unwichtigste Frage. Denn wenn schon die Griechen einem so starken Politiker wie Papandreou nicht folgen, was werden dann die Italiener dem grotesken Buffone Berlusconi erzählen, wenn er mit dem Sparen Ernst machen sollte?

Papandreou hat Europa überrascht und die Märkte ins Taumeln gebracht. Aber er hat Griechenland seine Würde zurückgegeben und Europa dem Moment der Wahrheit näher gebracht, der unweigerlich eines Tages kommen wird.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Jakob Augstein

Journalist und Gärtner in Berlin

Jakob Augstein

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