Die Vabanque-Spielerin

Merkozy Die Kanzlerin ist keine Konservative. Sie ist eine Radikale, die alles auf eine Karte setzt. In der Eurokrise riskiert sie zu viel

Den „Choral von Leuthen“ wird die Pastorentochter Angela Merkel kennen. „Nun danket alle Gott“, das haben die Preußen 1757 gesungen, nachdem sie die Österreicher geschlagen hatten. Ein geglücktes Vabanque-Spiel des Königs, den wir immer noch den Großen nennen. Die deutsche Politik sollte für solche Spiele berüchtigt werden, von Friedrich über Bismarck bis zu Hitler: Vabanque, es gilt die Bank, alles oder nichts. Dabei immer den Choral im Sinn – und Gott danken, wenn man noch mal davongekommen war.

Natürlich weiß die Vabanque-Spielerin Merkel das alles. Sie für ihren Teil riskiert keinen Krieg und es wird auch keine Provinz verloren gehen. Aber Merkels Einsatz ist dennoch kein Pappenstiel: In der Eurokrise geht es um nicht weniger als das ­Kapital, das alle Kanzler vor ihr in langen Jahren der Nachkriegszeit mühsam angesammelt haben: Es geht um die deutsch-französische Freundschaft, und es geht darum, dass Deutschland nur noch von Freunden umgeben ist. Das ist mehr wert, als den Deutschen jetzt bewusst ist. Alle reden von der „Schuldenkrise“. Aber wenn Merkels Spiel scheitert, dann können die politischen Lasten, die sie dem Land auflädt, noch in Jahren schwerer wiegen als jedes Haushaltsdefizit.

Anders geeicht

Merkel ist keine konservative Kanzlerin, so viel ist sicher. Sie ist eine Radikale. Helmut Kohl hat ihr vorgeworfen, sie besitze keinen Kompass. Das stimmt nicht. Ihrer ist bloß anders geeicht. Mit großer Zielstrebigkeit wandelt sie die Koordinaten der deutschen Außenpolitik. Hält man sich Merkels Europapolitik vor Augen, mutet Kohls Vorwurf auf den ersten Blick überraschend an: Für keinen Kanzler waren die Beziehungen zu Frankreich wichtiger als für Merkel – mit Ausnahme eben Helmut Kohls. Er fühlte sich von Mitterands Zustimmung zur Einheit abhängig. Sie ist abhängig von der Zustimmung Sarkozys zum deutschen Spardiktat in der Eurokrise.

Bei ihrem TV-Auftritt im Elysee hätte Merkel auch den Choral von Leuthen singen und Gott danken können, dass sie im französischen Präsidenten einen Kameraden gefunden hat, der sie in ihrem Sparkurs stützt – trotz der Folgen. Da kann Griechenland stöhnen und zerbrechen und die Krise immer teurer werden. Und da können die kluge IWF-Chefin Lagarde oder der über jeden Zweifel erhabenen Italiener Monti kommen und versuchen, der deutschen Zuchtmeisterin zu erklären, dass die Haushalte von Staaten zwar so heißen, mit den Rechenkünsten von Hausfrauen aber nicht zu sanieren sind. Die Pastorentochter Merkel bleibt unbeirrt in ihrem Glauben: Schulden kommen von Schuld und verlangen nach Opfern. Dass solcher Schulden-Kapitalismus mehr mit Religion zu tun hat als mit Ökonomie, kommt im englischen Wort „redeem“ noch besser zu Geltung: ablösen und erlösen. Merkel zeigt, dass auch Pragmatiker Fundamentalisten sein können und dass es ein gefährliches Eiferertum der Vernunft gibt.

Ausgerechnet Sarkozy, der Katholik mit jüdischen Wurzeln, ermöglicht den protestantischen Rigorismus der Pastorentochter aus der brandenburgischen Steppe. Ausgerechnet Sarkozy, über den die deutschen Zeitungen nicht genug Spott ausgießen konnten und demgegenüber das diplomatische Berlin alle Zurückhaltung fahren ließ. Sarkozy, das war die Botschaft vom Werderschen Markt, sei eine Art Hans Rosenthal der französischen Politik und ungefähr genauso ernst zu nehmen. Und jetzt plötzlich Merkels Kehrtwende. Wieder eine. Bei ihrem TV-Auftritt mit dem Präsidenten war sie ehrlich genug zu sagen: „Es war uns nicht in die Wiege gelegt, dass wir uns gut verstehen.“ Sie schwankte bei der Erklärung für ihr junges Paarglück kurz zwischen „historischer Verantwortung“ und „persönlicher Zuneigung“, entschied sich dann aber doch für das erstere.

"Das tiefe, eisige Misstrauen"

Die Spielerin Merkel setzt alles auf den französischen Präsidenten. Sie will ihn im Wahlkampf zu unterstützen. Das ist neu. Aus Europapolitik wird europäische Innenpolitik. Der Grüne Trittin warnt: „Die deutsch-französische Achse sollte auch dann noch funktionieren, wenn ab Mai nicht mehr Nicolas Sarkozy im Elysée-Palast regiert.“ Recht hat er. Aber so denken Spieler nicht. Ohne Frankreich wäre Deutschland in Europa im Handumdrehen isoliert. Der Sozialist Hollande hat bereits angekündigt, dass mit ihm der deutsche Sparwahnsinn ein Ende haben wird. Seine Aussichten, die französischen Wahlen im April zu gewinnen, sind nicht schlecht. Besser als die Sarkozys. Ob ihm ausgerechnet Wahlkampfauftritte der deutschen Kanzlerin helfen werden, ist zweifelhaft. Als begnadete Rednerin ist Merkel nicht bekannt, nicht mal in Deutschland.

Im Moment bewahrt uns nur Merkels Freund im Elysee Palast vor dem, was Nietzsche so beschrieben hat: „Das tiefe eisige Misstrauen, das der Deutsche erregt, sobald er zur Macht kommt.“ Das sei, schrieb der Hellsichtige, „immer noch ein Nachschlag jenes unauslöschlichen Entsetzens, mit dem jahrhundertelang Europa dem Wüten der blonden gemanischen Bestie zugesehen hat.“ Die Deutschen haben das vergessen. Wenn Merkels Spiel nicht aufgeht, werden sie sich daran erinnern, und sie werden es spüren. Man muss befürchten, dass es dazu kommt: Die deutschen Vabanque-Spiele sind am Ende immer verloren gegangen. Leuthen heißt heute Lutynia und liegt in Polen.

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Geschrieben von

Jakob Augstein

Journalist und Gärtner in Berlin

Jakob Augstein

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