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Zeitungen Springer verkauft ein paar Blätter, und schon macht sich Panik breit. Dem deutschen Journalismus sitzt die Digitalisierung im Nacken
Ausgabe 31/2013
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Foto: Sean Gallup/ AFP/ Getty Images

Nichts gegen die Hörzu. Das Fernsehprogramm war immer schön übersichtlich. Und man hat auch die Tipps für ein sicheres Weihnachtsfest gerne gelesen („Stellen Sie immer einen Eimer Wasser neben den Tannenbaum, für Notfälle!“). Aber die Speerspitze des investigativen Journalismus war das Heft nicht gerade. Der Springer-Verlag hat das Traditionsblatt jetzt verkauft. Als Teil eines größeren Pakets. Das kann für die Mitarbeiter zum Problem werden. Für die deutsche Öffentlichkeit oder für den Journalismus im Ganzen spielt das keine Rolle. Und wenn alte Fahrensleute daran erinnern, dass am Blatt noch Axels Fingerabdrücke kleben, muss man sagen: Nostalgie hat im Journalismus nichts verloren.

Auch mit dem Verkauf des Hamburger Abendblatts, lange Zeit das beste unter allen Springer-Blättern, das ebenfalls an die Essener Funke-Gruppe gehen soll, bricht nicht gerade eine Säule der Vierten Gewalt im Staat weg. Bei allem Respekt vor den Hamburger Kollegen, die mit der täglich gefüllten Spalte „Menschlich gesehen“ wahrscheinlich die älteste Kolumne im deutschen Journalismus geschaffen haben – das Abendblatt war immer eine respektable Regionalzeitung, bundesweit aber von geringer Bedeutung. Und von Bild der Frau, die ebenfalls nach Essen verkauft wurde, kann man getrost dasselbe behaupten.

Warum hat die Meldung vom Verkauf des 912-Millionen-Pakets die Medienbranche dann so erschüttert? Und warum begegneten die Kommentatoren dem Geschäft vor allem mit Häme und Skepsis? Spiegel online schrieb: „Dem Hause Springer fehlt die Vision.“ Die Frankfurter Allgemeine Zeitung nannte Springer-Chef Döpfner einen „Schönfärber“ Und SZ-Chef Kurt Kister fand in einem Porträt, Döpfner habe seinen Konzern „mit der Motorsäge verändert“. Das ist ziemlich hart für eine medienwirtschaftliche Transaktion, deren finanzielles Volumen überschaubar und deren unmittelbare publizistische Bedeutung gering ist.

Kann es sein, dass am Grund so heftiger Reaktionen die Angst liegt? Wie viele von denen, die Springers Ausverkauf kritisierten, fürchten in Wahrheit, dass Mathias Döpfner recht haben könnte? Dass Blätter, mit denen sich heute noch Millionen verdienen lassen, schon übermorgen praktisch wertlos sein könnten. Und damit auch die eigene Arbeit, die eigene Bedeutung, das eigene Leben. Vielleicht liegt am Grund so heftiger Reaktionen auch die Wut auf Döpfner und seinen Konzern, dass sie so rücksichtslos sind – mit einer Branche, die verunsichert ist, die von der eigenen Bedeutung überzeugt ist und dennoch keinen Weg in die Zukunft sieht. Mit den Traditionen, die vielen Journalisten viel wichtiger sind, als sie sein sollten. Weil Journalismus sich mit der Gegenwart befassen soll und der Zukunft entgegenarbeiten muss – und nicht der Vergangenheit verhaftet sein darf. Döpfner pfeift auf die Traditionen. Er verkauft zum besten Preis ein Produkt, an dessen Zukunft er nicht glaubt.

Damit ist noch nichts über sein eigenes Verhältnis zum Journalismus gesagt. Aber es ist eine Menge darüber gesagt, welche Bedeutung er dem Journalismus im zukünftigen Springer-Verlag beimisst: eine geringere. Döpfner redet nicht nur von Digitalisierung. Er betreibt sie. Und ein Grund für die heftigen Reaktionen mag schlicht der Neid sein: Springer ist reich genug, um neue Wege zu beschreiten, die sich andere Verlage nicht leisten können. Manche der Netzportale, die sich der Verlag in den vergangenen Jahren zugelegt hat, haben dreistellige Millionenbeträge gekostet.

Nicht ohne Risiko

Aber Springers Weg ist nicht ohne Risiko. Ja, es gibt ermutigende Zahlen: Zwei Drittel der Werbeerlöse des Unternehmens kamen im ersten Quartal 2013 aus dem digitalen Bereich. Aber ob die Millionen im flüchtigen Digitalgeschäft dauerhaft sinnvoll investiert sind, wo Marken schnell entstehen und vergehen, ist vollkommen offen. Das Beispiel von Springers Konkurrent Holtzbrinck, der sich mit dem Kauf – und dem Scheitern – des Studentennetzwerks StudiVZ eine blutige Nase holte, ist noch gut im Gedächtnis.

Ganz sicher allerdings ist, dass die Zukunft anders aussehen wird als die Gegenwart. Das ist keine überraschende Erkenntnis. Überraschend ist nur, dass so viele Journalisten und Verlagsmanager lange Zeit stillschweigend davon ausgingen, es werde für sie nicht gelten, was andere Berufe seit jeher erleben: dass Erfahrungen und Bedeutungen vom Strukturwandel fortgerissen werden können. Die Journalisten wollen nicht die Bergleute von heute sein.

Vor uns liegt eine einfache Frage: Wie wird im digitalen Zeitalter mit Journalismus Geld verdient werden? Wer darauf keine Antwort findet, geht unter – oder verlegt sich darauf, sein Geld anders zu machen und es dann für den Journalismus zu verwenden. Das ist weniger absurd, als es scheint, und die Chancen stehen nicht schlecht, dass der Springer-Verlag sich für diesen Weg entschieden hat.

Die Konzernherrin Friede Springer hätte andernfalls kaum eine Bestandsgarantie für Bild und Welt abgegeben. Denn gerade die Welt hat wirtschaftlich noch nie Sinn gemacht. Nur publizistisch und politisch. Während Bild sich modernisiert hat, transportiert die Welt den reaktionären Charakter des alten Springer-Verlags in die Zukunft. Ist das nun etwas, worüber man sich freuen soll?

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Jakob Augstein

Journalist und Gärtner in Berlin

Jakob Augstein

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