Köhler macht uns zum Horst

Rücktritt Der Bundespräsident rächt sich an Merkel für erlittene Demütigungen. Den Schaden haben die Koalition, das Land und seine Institutionen

Die schwarz-gelbe Republik bröckelt. Das Tempo, mit dem sich Christdemokraten und Liberale selbst zerlegen, ist verblüffend. Das Maß an handwerklichen Fehlern erschreckend. An den tolpatschigen Außenminister und die zaudernde Kanzlerin mussten wir uns in den Monaten seit der Wahl schon gewöhnen. Nun kommen noch lauter lustlose Christdemokraten hinzu. Erst kündigte Roland Koch seinen Rückzug an, jetzt erklärt Horst Köhler seinen Rücktritt. Merkel verliert ihre Männer, die Koalition dreht sich um sich selbst, derweil schwelt die Krise des Euros und Europas, und die Finanz­akrobaten toben weiter ihren wilden Tanz um den Planeten. Man steht staunend vor den Trümmern einer politischen Landschaft, deren Zerfall man beiwohnt und nicht wahrhaben will.

Es war ziemlich wirres Zeug, was Horst Köhler zu Afghanistan gesagt hatte. Ein Wort- und Gedankensalat, bunt gemischt und nicht schlüssig. Jeder interessierte Bürger kann das selbst genau nachlesen, dem Internet sei Dank. Wenn man wollte, konnte man aus der köhlerschen Schwurbelei einen kleinen Skandal herauslesen: Der Bundespräsident brachte den Militäreinsatz in Afganistan in Zusammenhang mit wirtschaftlichen Interessen der Bundespublik. Er wird das so nicht gemeint haben, und in jedem Fall ist es sachlich unsinnig, weil eher der Mohn auf den afghanischen Felder verdorrt, als dass aus den waffentragenden Paschtunen, Tadschiken, Hazara und Usbeken lauter fröhliche VW-Fahrer werden. An der angeblichen Verteidigung unserer Freiheit am Hindukusch verdienen wir nichts, sie kostet nur – und zwar Geld und Leben.

Köhlers Worte entpuppten sich für ihn als lauter kleine Streubomben. Und es fand sich niemand, der ihm helfen wollte, sie zu entschärfen, nicht einmal in der CDU. Im Gegenteil. Köhlers Parteifeinde bemühten sich nach Kräften, den ungeschickten Präsidenten im Splitterregen stehen zu lassen. Am eindrücklichsten machte sich zweifelos der Unions-Außenpolitiker Ruprecht Polenz der unterlassenen Hilfeleistung schuldig, als er Köhlers Äußerungen als „missverständlich“ bezeichnete, als „keine besonders glückliche Formulierung“ – nicht ohne hinzuzufügen, „um es vorsichtig auszudrücken“. Falls jetzt immer noch nicht jeder begriffen haben mochte, dass Polenz dieser Präsident piepe war, sagte er noch, man kritisiere aber den Bundespräsidenten in seiner Amtsführung „möglichst nicht“. Er hätte Köhler ebenso gut öffentlich ohrfeigen können. Wenn ein Mittelbänkler wie Polenz so zulangt, weiß er, was er tut.

Würdeloses Geschacher

Köhler war als Bundespräsident der beliebteste Politiker im Land. Er soll zum Jähzorn neigen und dennoch ein guter Zuhörer sein. Sympathie brachte ihm vielleicht auch seine unbeholfene Art ein. Bei normalen Menschen jedenfalls. Unter seinesgleichen aber war Köhler isoliert. Der ehemalige Finanzstaatssekretär und Währungsfonds-Chef war eine politische Figur von Merkels Gnaden. In seiner Rücktrittserklärung sagte er, die Kritik an ihm lasse „den notwendigen Respekt“ für sein Amt vermissen. Richtig. Aber dieser Respekt hatte schon bei seiner Bestallung gefehlt. Merkel, Stoiber und Westerwelle hatten Köhlers Wahl im Herbst 2003 untereinander ausgehandelt, so wie man auf einem Markt den besten Preis fürs Vieh aushandelt. Es war dabei um alles mögliche gegangen, aber nicht um den Respekt vor dem Amt. Auch das freilich war nicht neu: Adenauer und Heuss hatten sich in einem ähnlich würdelosen Geschacher auf Heinrich Lübke als Bundespräsident geeinigt: Der sei, so versicherten sich die beiden Politfürsten gegenseitig, von so schlichtem Gemüt, dass er weder die Macht des Kanzlers einschränken noch den Glanz des Vorgängers verdunkeln werde. Ähnliche Gründe sprachen für die Wahl Köhlers, der sich bald als Lübke redivivus herausstellte.

Aber Lübke hielt zehn Jahre lang durch und hinterließ außer ein paar eigenartigen Zitaten, von denen die meisten nachträglich erfunden wurden, keine nennenswerten Spuren in der bundesdeutschen Geschichte. Köhler aber ist der erste Bundespräsident, der vom Amt zurücktritt. Das erschüttert den Staat. Die Institution des Präsidenten war eine der wenigen, die über eine intakte Reputation verfügten. So wie einst die Bundesbank, die die Deutschen der europäischen Integration geopfert haben. Nun bleibt nur noch das Verfassungsgericht. Ausgerechnet den Konservativen ist es beschieden gewesen, das Amt des Bundespräsidenten so zu beschädigen wie es vor kurzem noch undenkbar schien: Köhler wirft das Amt weg aus Kränkung und Merkel lässt ihn einfach fallen.

Von der Krise überfordert

Eine Kanzlerin, die von der Krise überfordert ist, Spitzenpolitiker, die den Bettel hinwerfen und sich ins Private zurückziehen. Und was bleibt uns, den Bürgern? Wollen wir es jetzt alle Koch und Köhler gleichtun und kündigen und vor der Verantwortung und der Enttäuschung fliehen? Aber wohin kann eine Gesellschaft vor sich selbst fliehen, die mit der eigenen Last nicht mehr fertig zu werden scheint, die die Lust an sich selbst verloren zu haben scheint? Pflicht und Verantwortung sind bürgerliche Tugenden, für die dieses Politpersonal nur ein Achselzucken übrig hat. Von jetzt an ist Bundespräsident auch nur ein Job, den man eine Weile macht und dann mal weiter guckt. Was für eine ungeheure Entwertung.

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