Die Journlistin Dunja Hayali lebt neben ihrem realen Leben ein weiteres im Netz. Die Folge: unzählige rassistische und sexistische Hassattacken gegen sie. Wie geht sie damit um? Dazu befragte Freitag-Verleger die Moderatorin des ZDF-Morgenmagazins.
der Freitag: Frau Hayali, Sie haben 387.049 Follower bei Twitter und 239.393 Follower bei Facebook. Wie haben Sie das gemacht?
Dunja Hayali: Ich hab mir einen Hund besorgt und poste einfach permanent etwas über Emma. Das läuft … So muss ich mich wenigstens nicht nackt ausziehen, der Hund funktioniert mit und ohne Fell.
Sind Sie sehr mächtig? Könnten Sie zum Beispiel die US-Wahlen beeinflussen, oder die Bundestagswahlen?
Wenn Sie den Usern von Twitter und Facebook Glauben schenken wollen, dann könnte ich das. Ich konnte ja auch die Kanzlerin wiederwählen – oder wiederwählen lassen.
Viele Leute machen sich Sorgen, dass über das Internet zu viel Einfluss auf die Politik genommen wird. Die Amerikaner schämen sich jetzt, dass sie Trump gewählt haben und wollen die Schuld auf Facebook und die Russen schieben.
Wenn man sein Hirn auslagert und alles glaubt, was man bei Facebook liest, sich nicht links und rechts selber noch Informationen beschafft, dann kann man natürlich mit dem Finger immer auf andere zeigen. So kann man relativ leicht durchs Leben gehen. Ob man damit glücklich wird oder irgendetwas lernt, würde ich eher bezweifeln.
Wollten Sie immer Journalistin werden?
Ich war ein sehr großer Fan von Boris Becker und habe selber leistungsmäßig Tennis gespielt. Ich habe natürlich alle Turniere von ihm verfolgt und fragte mich immer: Wie lernt man den wohl am besten kennen? Ich dachte auch: Wer sind all die Leute, die immer mit dem mitreisen? Ah, die Journalisten! Und dann dachte ich: Ich will auch Journalistin werden. Ohne irgendeine Vorstellung davon zu haben, was dieser Beruf mit sich bringt und was das genau bedeutet.
Bereuen Sie es, dass Sie diesen Weg gegangen sind? Wären Sie lieber an der Seite von Boris Becker?
Ich habe nicht die richtige Frisur, um an der Seite von Boris Becker sein zu können (lacht). Wir hatten damals eine gute Seele bei uns zu Hause, Frau Schomberg, die sich um uns und den Haushalt gekümmert hat. Sie hat mich mit großgezogen. Sie habe ich vor ein paar Jahren wiedergetroffen, sie hat zu mir gesagt: „Das war doch klar, dass du Journalistin wirst! Du mit deinem ewigen, dummen ,Warum?‘! Immer warum, warum, warum – den ganzen Tag hast du warum gefragt!“
„Ich lasse mir nicht vorschreiben, mit wem ich rede.“
Die ZDF-Journalistin wurde 1974 im westfälischen Datteln geboren und absolvierte schon während ihres Studiums an der Deutschen Sporthochschule Köln Praktika in diversen Rundfunkhäusern. Nach Stationen bei der Deutschen Welle und Radio Köln moderiert sie seit 2007 das ZDF-Morgenmagazin. Ab Juli dieses Jahres geht ihre Talkshow Dunja Hayali einmal im Monat auf Sendung. 2015 sprach sie für einen Fernsehbeitrag über eine Erfurter AfD-Kundgebung mit Anhängern der rechtspopulistischen Partei, woraufhin sie aus rechten Kreisen stark angefeindet wurde. Im Folgejahr erhielt sie für ihre „mit großer Ernsthaftigkeit und Leidenschaft“ geführte Reportage eine Goldene Kamera.
Grundsätzlich versuche die 43-Jährige, mit allen zu sprechen, auch wenn es mal wehtue. Auf eine Interviewanfrage der Jungen Freiheit las sie die rechte Zeitung ein Jahr lang, bevor sie dem Gespräch zustimmte. „Wir müssen reden“, erklärt sie, „der Dialog hilft.“ Auch in den sozialen Netzwerken sucht sie den Kontakt mit ihren Kritikern. Die Anschuldigung, sie sei „linksgrün versifft“, könne sie mittlerweile zwar nicht mehr hören. Aber gerade für Journalisten sei das „Herausbrechen aus der eigenen Filterblase eine Pflicht“. Trotzdem erfährt sie in den Kommentaren unter ihren Posts auf Facebook und Twitter immer wieder persönliche Angriffe und rassistische Hasstiraden.
Als Tochter irakischer Christen hat Hayali einen direkten Bezug zur Frage der kulturellen Zugehörigkeit („mein Migrationsvordergrund“). Das Schlimmste, das in Deutschland passiere, sei die Ausgrenzung. Im Februar sprach sie sich in einer Rede im Dresdner Schauspielhaus dafür aus, dass jede Heimat unantastbar sei, nicht nur die deutsche. Cornelius Dieckmann
Waren Ihre Eltern glücklich mit Ihrer Berufswahl?
Nein! Mein Vater hat Medizin in Wien studiert, wo er meine Mutter kennengelernt hat, die dort Pharmazie studierte. 1956 haben sie geheiratet, 1957 wurde mein Bruder geboren, 1963 folgte meine Schwester. Sie alle haben was mit Medizin gemacht, nur ich nicht. Da können Sie sich in etwa vorstellen, was es zu Hause für Diskussionen gab: „Das schwarze Schaf“ und: „Warum denn nicht?“. Ich habe immer gesagt – und das stimmt auch –, ich habe wahnsinnige Angst vor Spritzen. Zu meinem Dad habe ich gesagt: „Pass auf, Medizin ist so eine irrsinnige Verantwortung, die will ich nicht tragen.“ Mein Vater war ein ganz toller Arzt. Neulich war ich in Datteln, meinem Heimatort, und bin mit meiner Schwester durch die Stadt gelaufen. Da kam eine ehemalige Patientin meines Vaters zu mir und erzählte eine wahnsinnige Geschichte.
Welche?
Ich konnte es kaum glauben: Mein Vater hatte ihr das Leben gerettet. Und sie bedankte sich noch mal. Mein Vater ist mittlerweile sehr alt und krank. Sie sagte, ohne ihn würde es sie heute gar nicht mehr geben. Da dachte ich noch einmal: „Gut, dass du das nicht gemacht hast. Diese Verantwortung willst du nicht auf deinen Schultern haben.“ Wenn ich mich als Moderatorin verspreche oder die falsche Frage stelle, stirbt in der Regel niemand– außer meinem Chef, aber aus anderen Gründen.
Haben Sie journalistische Vorbilder?
Ich könnte jetzt sagen, ich bewundere den Mut der Publizistin Carolin Emcke. Aber meine wahren Vorbilder sind nur meine Eltern. Sie sind aufgrund ihrer Lebensgeschichte wirkliche Helden für mich. Im Beruf habe ich das eigentlich nicht. Ich hab ja von der Pike auf gelernt. Ich weiß gar nicht, wie viele Praktika ich gemacht habe. Ich habe morgens um sechs versucht, im Regen Interviews vor der U-Bahn zu führen. Die meisten Menschen sind ja schlecht ge-launt an einem vorbeigerannt. Oder haben einem irgendwas Unfreundliches noch ins Gesicht gerotzt.
Haben Sie Kaffee gekocht?
Ich hab Kaffee gekocht, kopiert, ich bin diesen ganzen Weg gegangen. Ich hatte gar keine Zeit, nach oben, links oder rechts zu gucken, sondern ich habe einfach immer nur gemacht, gemacht, gemacht. Das ZDF kam mehr durch Zufall ums Eck. Als ich den heute-journal-Moderator Claus Kleber kennenlernte, dachte ich auch „wow“. Aber nicht lange.

Foto: Philipp Plum für der Freitag
Sie sind jetzt ein Star.
So sehe ich mich nicht. Gott sei Dank sehen mich meine Freunde auch nicht so. Die lachen sich immer kaputt. Wenn ich gleich nach Hause komme, habe ich innerhalb von sieben Sekunden meine Jogginghose an und sitze auf dem Sofa, der Hund liegt neben mir. Das bin ich eben auch. Das heißt nicht, dass ich verkleidet bin oder so was. Aber ich sehe mich nicht als Star. Ich mache meinen Job.
Sie machen mehr als Ihren Job und präsentieren sich selbst über das Internet. Seit wann geht das schon mit dem Netz?
Ich würde mal schätzen: drei, vier, fünf Jahre. Die Seite, die es mit meinem Namen gibt, die gehörte mir gar nicht. Das haben Fans ins Leben gerufen. Ich wusste das zunächst nicht, weil ich zu jener Zeit gar nicht auf Facebook war. Bis Freunde zu mir sagten: „Hey, du bist bei Facebook!“ Ich hab die Macher von der Seite angeschrieben und gesagt: „Leute, das geht nicht. Jeder denkt, das wäre meine Seite. Ihr könnt da sonst was schreiben und ich krieg den Stress. Das müssen wir anders machen.“ Dann haben wir das eine Zeit lang zusammengemacht. Immer ging es um Emma, meinen Hund. Irgendwann fragte ich mich: Was will ich eigentlich mit diesem Facebook? Wofür brauche ich das? Und habe angefangen, inhaltlich zu kommentieren und selber Kommentare zu posten. Es ist ein bisschen wie ein Sog.
Wie viel Zeit verbingen Sie täglich bei Facebook und Twitter?
Zwischen zwei und vier Stunden. Heute zum Beispiel habe ich gefragt: „Welches Thema brennt Ihnen unter den Nägeln? Wo muss mal richtig Geschwindigkeit rein?“ Bei den Antworten waren tolle Sachen dabei, auf die man erst mal gar nicht so kommt. Klar, die Pflege, die Rente, die Altersarmut, die Bildung. Syrien kam ganz oft.
Sind Sie internetsüchtig?
Ich hab Interesse! Ich will Erkenntnisgewinn. Ich möchte wissen: Warum glauben so viele Menschen den Medien nicht mehr? Oder: Warum finden manche eine Überschwemmung in Indien mit 1.000 Toten uninteressanter als den Müll beim Nachbarn, der nicht jede Woche abgeholt wird? Unser Job ist ja nicht nur Berlin, Berlin, Berlin.
Sie moderieren ein Morgenmagazin: Wann stehen Sie auf?
Viertel vor vier. Viele andere Menschen machen das auch und verdienen weniger. Und haben wahrscheinlich weniger Freude an ihrem Job.
Sind Sie ein politischer Mensch? Sie verbringen viel Zeit in Chats, bei denen es nicht um politische Inhalte geht.
Mich bewegt das Thema Pflege. Ich habe eine Mutter, oder besser ich hatte eine Mutter, die an Parkinson erkrankt war – mit Schüben von Demenz. Mein Vater ist dement und hat Schübe von Parkinson. In den vergangenen Jahren habe ich viel Zeit in Pflegeheimen verbracht. Ich weiß also, warum mich dieses Thema so bewegt. Ich habe zwei Nichten, die sind Lehrerinnen, mit ihnen rede ich viel über die Bildungsmisere.
Ihre Eltern kommen aus dem Irak. Sie selber reden häufig von Migrationsvordergrund, wenn es um Ihre Biografie geht. Warum?
Weil meine Migrationsgeschichte – oder die meiner Eltern – immer im Vordergrund stand. Als ich beim ZDF angefangen habe, da hieß es: „Sie haben den Job nur deswegen bekommen.“ Und so spann sich das die ganze Zeit weiter. Und jetzt spielt meine Migrationsgeschichte wieder eine Rolle, bei Hate Speech und dem Hass im Netz. Da höre ich den Spruch: „Du gehörst gar nicht zu Deutschland.“
Für Ihre Eltern soll es gar nicht so ein großes Problem gewesen sein, im Ruhrgebiet heimisch zu werden, weil die Leute es ihnen damals leicht gemacht haben.
Ein Grund ist: Meine Eltern sind Akademiker, sie haben damals nicht in einem Ghetto gewohnt, wie andere Menschen mit Migrationsgeschichte. Sie lebten mittendrin. Der andere Grund ist: Wir sind Christen, deshalb sind andere Menschen anders auf meine Familie zugegangen.
Weil kein Kopftuch da war oder andere Beschränkungen?
Ja. Und weil mein Vater Wert darauf gelegt hat, dass wir eine gute Bildung bekommen. Außerdem hatten wir ein sehr offenes Haus. Bei uns sind die Freunde ein und aus gegangen, Deutsche, Perser. Religion oder Hautfarbe spielten bei uns keine Rolle. Wichtiger war: Kommen wir miteinander aus? Können wir tanzen? Mögen wir das Essen? Können wir miteinander streiten? Bei uns zu Hause flogen schon mal die Fetzen.
Empfinden Sie sich als sehr deutsch? Sie haben sich damit mal in einer Rede beschäftigt.
Klar! Ich bin, glaube ich, durch und durch deutsch, mit einem recht arabischen Temperament. Ich bin hier geboren, ich bin hier groß geworden. Aber wenn Sie jetzt im Netz gucken, werden wahrscheinlich wieder irgendwelche Leute schreiben: „Die ist auf gar keinen Fall deutsch.“ Das treibt mich um. Ich weiß, was Ausgrenzung bewirkt. Kürzlich habe ich eine Statistik gelesen, in der stand, dass 14 Prozent der Deutschen überhaupt nur jemals einen Kommentar im Internet verfasst haben. 14 Prozent!
Ist das viel oder wenig?
Wenig. Das heißt, dass wir uns im Netz immer mit denselben Menschen beschäftigen, die wahrscheinlich jeweils 47 Accounts haben. Oder nehmen Sie den Kurznachrichtendienst Twitter. Wenn ich an Schulen gehe und über Links- oder Rechtsextremismus rede, oder über Homophobie, frage ich in der Klasse immer: Wer ist bei Facebook? Dann gehen ein paar Hände hoch. Wer macht Twitter? Niemand.
Ich habe auf Fotos gesehen, dass Sie viele Tätowierungen haben. Ich komme jetzt in das Alter, wo man so was machen kann. Können Sie mir ein Tattoo-Studio empfehlen?
Ich gehe mit Ihnen hin.
Das Interview fand im Rahmen des „radioeins & Freitag Salon“ im Maxim-Gorki-Theater statt. Das komplette Gespräch können Sie auf radioeins.de nachhören. Der nächste Salon findet am 14. Mai mit Thea Dorn statt
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