Präsident der Panik

Wahl Wulff war der Kandidat einer Kanzlerin, die um ihr Amt fürchtete. Als Staatsoberhaupt repräsentiert er nun die Angst vor Veränderung

Annuntio vobis gaudium magnum; habemus Papam. Mit diesen Worten verkündet der Kardinalprotodiakon die Wahl eines neuen Papstes. Gaudium magnum! Große Freude? Wären wir nicht selbst betroffen, dann wäre Schadenfreude angemessener angesichts einer Farce, die 30 Tage währte und am Mittwoch mit einer Posse endete. Aber niemand hat Grund zur Freude, der eben bemerkt, dass er sich lächerlich gemacht hat. In dieser Staatskomödie, die im dritten Wahlgang mit der Wahl von Christian Wulff endete, gilt das für alle Beteiligten: das Volk, die Politiker, die Journalisten. Der Rücktritt Horst Köhlers – ausgelöst durch eine Lappalie, verursacht durch seine Entnervung – hatte eine beispiellose Decouvrierung des politischen Deutschland zur Folge. Dafür muss man Köhler danken. Wir wissen jetzt mehr über uns. Aber was wir wissen, kann uns nicht gefallen.

Wer noch Zweifel hatte, wurde in diesem Junimond belehrt: Angela Merkel kann „es“ nicht, wie Gerhard Schröder seinerzeit formuliert hatte. Sie war von Köhlers Rücktritt ebenso überrascht, wie sie von der Regelung seiner Nachfolge überfordert war. „Es ist vorbei, bye, bye“, möchte man der Kanzlerin gerne zurufen. Aber noch muss sie um ihr Amt nicht bangen. Sie hat ihren Kandidaten ja durchsetzen können, wenn auch nur mit Ach und Krach. Beschädigt ist sie gleichwohl. Zum Krisenmanagement erwies sie sich in diesen Tagen als ebenso ungeeignet wie zuvor für die Alltagspolitik in ihrer zerstrittenen, unbürgerlichen Koalition. Merkel ist eine Sphinx: Rätselhaft in ihrem Denken und grausam in ihren Handlungen. Wie sonst soll man nennen, was Merkel ihrer treuen Gefolgsfrau Ursula von der Leyen angetan hat: Anderthalb Tage wurde diese im Glauben gelassen, sie werde Bundespräsidentin während Merkel und Wulff es längst besser wussten. Nur gesagt haben sie es ihr nicht. Von der Leyen setzte ihr kugelsicheres Ernst-Al­brecht-Lächeln auf und hielt stand. Merkels Nutzen? Unbekannt. Ihr Schaden? Man wird in der Partei registriert haben, dass diese Kanzlerin auch auf Freunde keine Rücksicht nimmt. Die Konservativen werden anfangen, über die Zeit nach Merkel nachzudenken.

Aber auch SPD-Chef Sigmar Gabriel und der Grünen-Fraktionsvorsitzende Jürgen Trittin haben ihren Interessen kaum besser gedient. Als der Unterschied zwischen Strategie und Taktik gelehrt wurde – der Gebrauch der Streitkräfte im Gefecht gegenüber dem Gebrauch der Gefechte zum Zweck des Krieges – müssen die rot-grünen Wehrdienstleistenden gefehlt haben: Es war ein Coup, den medienwirksamen Joachim Gauck zum Kandidaten zu küren. Aber einer von kurzer Dauer. Gauck hat die Wahl spannend gemacht. Am Ende blieb er ohne Erfolg, und die Linkspartei wurde verprellt. Ohne Konsultationen hatte man ihr den schwer zu akzeptierenden Kandidaten vor den Latz geknallt. Heitere Aussichten für Rot-Rot-Grün im Bundestagswahljahr 2013.

Wohlfeile Wahl

Die Linken ihrerseits waren nicht souverän genug, auf einen eigenen Kandidaten zu verzichten. „Für was ist mitgekommen jener Loschek?“, fragte man sich unwillkürlich mit Friedrich Torberg angesichts der braven Luc Jochimsen. Im dritten Wahlgang hat die Linkspartei dann immerhin die Wahl freigegeben. Aber dennoch hat die Partei ohne Not politische Glaubwürdigkeit verspielt.

Überhaupt ist das vielleicht das Bemerkenswerteste an den vergangenen 30 Tagen: Es ist von allen Seiten für so wenig Gewinn so viel verspielt worden. Unsere Staatsschauspieler sind eifrig über die Beine gestolpert, die sie den anderen stellen wollten, unsere Berichterstatter sind stolz über jedes noch so flach herumliegende Stöckchen gesprungen, und unsere Bürger waren sich ein bisschen zu selbstgewiss in der wohlfeilen Wahl zwischen dem gauckgerechten Kandidaten des Herzens und dem wulffweiligen des Kalküls. Haben denn Journalisten und Bürger tatsächlich die Erzählung geglaubt, mit der sie sich den langen Abend der parlamentarischen Demokratie kurzweiliger machen: dass Wahrheit und Klarheit jenseits des Politischen zu finden seien? Was war das für eine Idee, ausgerechnet die Wahl zum höchsten Amt müsse „unpolitisch“ sein?

Wie in einem dreißigtägigen Fieber lagen die Bürger und ihre Medien, in dem die Wahl zwischen Gauck und Wulff plötzlich eine escha­tologische Dimension bekam, in einen Dualismus aus Hirn und Herz geriet, aus Verstand und Gefühl, aus Hoffnung und Wirklichkeit, als gehe es um die endzeitliche Entscheidung zwischen überpolitischer Erlösung und parteilicher Alltagsverdammnis. „Mein Herz schlägt für Gauck, aber mein Verstand spricht für Wulff. Und da ich immer meinem Verstand folge, werde ich Christian Wulff wählen“, sagte der FDP-Politiker Wolfgang Kubicki. Das war eine Überhöhung, seiner selbst und der Alternative, vor der er stand. Denn beide, Wulff und Gauck waren politische Kandidaten in einem politischen Wettstreit.

Dieser Wettstreit mag unseren ästhetischen Ansprüchen nicht genügt haben. Frank Schirrmacher bemerkte in der FAZ ironisch: „Wulff scheidet aus, aber nicht aus politischen, sondern aus literarischen Gründen.“ Aber so ist es: Staatsämter werden nicht nach dramaturgischen Gesichtspunkten vergeben, sondern nach pragmatischen. Christian Wulff hat gesagt: „Meine Art, nicht zu polarisieren, passt zum Amt, und mein Alter ermöglicht mir, die unmittelbare Erfahrung von Problemen einer Familie mit schulpflichtigen Kindern einzubringen.“ Sicher, das klingt eher, als habe er sich um den Posten des Hausmeisters im Bellevue beworben und nicht um den des Hausherren. Und dass er es jetzt gleichsam durch die Hintertür geschafft hat, ist auch nicht eben hilfreich. Aber knapp drin ist eben auch drin. In wenigen Tagen werden sich sich nur noch Politologen dafür interessieren, dass außer Wulff bislang nur zwei Präsidenten drei Wahlgänge benötigten: Gustav Heinemann und Roman Herzog. Das waren, immerhin, nicht unsere schlechtesten. Wulff selber hat mit seiner provinziellen Freundlichkeit hinter der sich professionelle Härte verbirgt, gute Chancen, ein passabler Präsident zu werden. Wohlgemerkt: Es ist kein Amt, um das man ihn beneiden würde. Denn er wird ein Präsident der Panik sein. Nicht nur der Angst Angela Merkels um ihr Amt. Er wird auch der Präsident der Angst vor Veränderung sein, die immer noch für die Mehrheit Verschlechterung bedeuten wird.

Heimlicher Gewinner

Das Land erwacht nun nach der Wahl aus seinem kollektiven Sommernachtstraum, und man möchte so gerne wenigstens einen Gewinner des wirren Treibens sehen. Und ja, es gibt einen: Joachim Gauck, ausgerechnet ihn, den Verlierer. Ihm bleibt die Berliner Mühle erspart. Aber dass er überhaupt noch einmal derart gefragt war – was für eine Freude war das für den alten Mann! Dem glucksenden Gauck, der für Bescheidenheit nicht bekannt ist, war die Genugtuung über die neugewonnene Bedeutung förmlich anzusehen. Dass er gewissermaßen von den falschen Parteien aufgestellt worden war, nahm er hin. Auf die Frage, ob er auch angetreten wäre, wenn Merkel ihn gefragt hätte, antwortete er: „Das wäre mir lieber gewesen.“

Das Stück ist zu Ende. Der Vorhang fällt über dieser Bühne. Die Wahrheit ist: Wir haben uns alle blamiert, Volk, Politiker, Medien. Die Lichter gehen an. Betretenes Schweigen im Saal wäre jetzt angebracht. Lasst uns nach Hause gehen. „Keinen Epilog, ich bitte euch“, heißt es bei Shakespeare, „euer Stück bedarf keiner Entschuldigung. Entschuldigt nur nicht: Wenn alle Schauspieler tot sind, braucht man keinen zu tadeln.“

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