Raus aus Afghanistan Der Westen kann den Krieg in Afghanistan nicht gewinnen. Die SPD sollte ihren Fehler zugeben und den sofortigen Abzug der Bundeswehr verlangen
Im vergangenen Frühling griff Präsident Hamid Karsai in den Lauf der Legislative ein und kassierte das neue afghanische Eherecht. Er hatte das Gesetz bereits unterzeichnet. Angeblich, um vor den Wahlen, die in der kommende Woche stattfinden sollen, die Schiiten im Land zufriedenzustellen. Druck aus dem Westen zwang ihn, seine Unterschrift zu revidieren. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte damals: „Wir kämpfen dafür, dass in Afghanistan alle Menschen vernünftig leben können, Männer und Frauen gleichermaßen.“ Das Gesetz hatte unter anderem vorgesehen, dass eine Frau sich schminken müsse, wenn ihr Mann das verlange. Außerdem sei es ihre Pflicht, „die sexuellen Wünsche ihres Ehemanns zu erfüllen“.
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nken müsse, wenn ihr Mann das verlange. Außerdem sei es ihre Pflicht, „die sexuellen Wünsche ihres Ehemanns zu erfüllen“.Wäre die Lage nicht so ernst, dann wäre das eine skurrile Episode aus dem großen Buch der kulturellen Missverständnisse und Unverträglichkeiten. Es liegen ja buchstäblich Welten zwischen dem, was der durchschnittliche Schiite gerne im Gesetz sehen möchte, und wofür Angela Merkel Soldaten in den Kampf schickt. Aber die Lage ist ernst. US-Oberbefehlshaber Stanley McChrystal sagt, die Taliban sind auf dem Vormarsch. Die Amerikaner werden ihre Truppen weiter verstärken und ihre Verbündeten auffordern, das gleiche zu tun. Auch die Deutschen.Der Westen will die Kluft zwischen seiner demokratieseligen Rhetorik und der Realität am Hindukusch mit immer mehr Geld, immer mehr Waffen, immer mehr Soldaten schließen – und darum auch mit immer mehr Toten. Das muss ein Ende finden.Man muss kein Pazfist sein, um gegen diesen Krieg zu sein und auch kein deutsch-micheliger Isolationist. Es genügt ein nüchterner Blick. In Afghanistan führt der Westen einen Krieg, den er nicht gewinnen kann. Weil der Gegner keine Armee ist, sondern eine andere Kultur. Sechzig Prozent der Afghanen sollen bereit sein, auch Taliban in der Regierung zu akzeptieren, wenn das dem Frieden dient. Die Afghanen kämpfen nicht für das, was der Westen unter Demokratie und Menschenrechten versteht. Ihnen sind – zu Recht! – die Rolle Amerikas in der Welt, der Clash of Civilizations und die wechselseitige Bedrohung Israels und des Iran herzlich gleichgültig. In Afghanistan geht es nicht um globale, sondern um lokale Fragen.Im Korengal-Tal, in der östlichen Provinz Kunar, soll ein Streit um Holzrechte Auslöser für heftige Gefechte gewesen sein. Und im Usbin-Tal geht es angeblich um die Lizenz zum Schmuggeln. In Usbin, nur 50 Kilometer östlich von Kabul entfernt, starben übrigens vor einem Jahr zehn französische Marineinfanteristen bei Kämpfen mit den Taliban. Deren Anführer war Gulbuddin Hekmatyar. Man kennt ihn von früher. Hekmatyar ist der afghanische Warlord schlechthin. An ihm zeigt sich die ganze Vergeblichkeit des Versuchs ausländischer Mächte, die Kontrolle über Afghanistan zu erlangen. Schon die Sowjets bissen sich an dem Paschtunenchef die Zähne aus. Erst unterstützten ihn die Pakistanis, dann die Saudis und die Amerikaner. Einen Fundamentalisten immerhin, der im Ruf stand, auf dem Motorrad an Universitäten vorbeizufahren und unverschleiterten Frauen Säure ins Gesicht zu schütten. Nach dem Abzug der Roten Armee kämpfte er im Bürgerkrieg – nur für die eigenen Ziele –, wurde Premierminister, musste vor den Taliban in den Iran fliehen, schloss sich erst Osama bin Laden an, distanzierte sich dann wieder, kehrte in die Heimat zurück und macht nun wieder gemeinsame Sache mit den Taliban. Letzte Meldung: Präsident Karsai soll Hekmatyar einen Ministerposten angeboten haben. Ach, Angela!Die Deutschen stehen in Afghanistan, weil sie nicht in den Irak wollten. Gerhard Schröders bleibendes Verdienst. Aber nun entwickelt sich Afghanistan zum deutschen Irak. Und zu Angela Merkels Versagen. Erst ein paar Polizeiausbilder und ein paar Pioniere, dann ein paar Flugzeuge und ein paar motorisierte Infanteristen, dann ein paar Panzer und Haubitzen, und immer mehr und mehr ... Bald stehen 4.500 deutsche Soldaten am Hindukusch, wo angeblich unsere Freiheit verteidigt wird. Wir sind in diesen Krieg geraten wie mit dem Ärmel in eine Maschine: Wir werden immer tiefer hineingezogen. Holt uns raus! Gebt den Soldaten den Befehl: Gepäck aufnehmen! Sofort!Aber wer gibt den Befehl? Im bleiernen Spätsommerwahlkampf, der diesen Namen gar nicht verdient, ist die Frage nach Krieg und Frieden kein Thema. Das ist ein Skandal. Und das Bürgertum murrt nur leise. „Zu Ihnen, sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin, passt es doch auch nicht, diesen Krieg wachsen und wachsen zu lassen. Immer wieder mal 300 Mann mehr?! Das geht doch nicht“, schrieb neulich Martin Walser in der Zeit. Dieser Ton putziger Empörung ist das Maximum an Aufwallung.Also, wer gibt den Befehl zum Rückzug? Die Bundeskanzlerin ist als gewendete Ostdeutsche zu amerikahörig, um ihren Afghanistan-Kurs zu überdenken. Die SPD aber könnte den Mut haben, den Fehler der Struckschen Polit-Geografie zu korrigieren und die Räumung des Hindukusch zu fordern. Es würde ihr zur Ehre gereichen. Und es würde – nebenbei – die Chancen bei den Wahlen erheblich verbessern. Steinmeier muss sein Spitzenbeamtentum hinter sich lassen und handeln wie ein Staatsmann. Schröder hätte es getan.
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