Es ballt sich schon wieder etwas zusammen: Wie das biblische Tier mit sieben Häuptern und zehn Hörnern taucht der Markt aus der Versenkung der Krise auf und hebt an zu murren. In Frankreich gewinnt der Sozialist François Hollande, und der Dax schließt mit Verlusten. In den Niederlanden zerbricht eine merkeltreue Regierung am Spardiktat, und ein internationaler Banker warnt vor der „Balkanisierung Westeuropas“.
Und allenthalben wird an François Mitterrand erinnert, den bislang letzten Sozialisten im Élysée-Palast: Der hatte es nach dem Wahlsieg 1981 gewagt, gegen den neoliberalen Mainstream seine Politik des „Sozialismus in einem Land“ zu setzen und war von den Devisenmärkten nach zwei Jahren in die Knie gezwungen worden. An die Adresse des möglichen Nachfolgers Hollande gerichtet schreibt das Handelsblatt schon mal vorsorglich: „Die Finanzmärkte sind heute viel aggressiver als 1981. Für zwei Jahre Experimente bleibt keine Zeit.“ Wer das so sieht, will die Politik weiter in der Knechtschaft der Märkte halten.
Als SPD-Chef Sigmar Gabriel neulich den Unterschied zwischen Konservativen und Sozialdemokraten erklären wollte, verwies er auf die Forderung der Kanzlerin nach einer „marktkonformen Demokratie“ und sagte: „Wir glauben, das Gegenteil ist richtig: Wir müssen demokratiekonforme Märkte schaffen.“ Da ist die Politik offenbar keinen Schritt vorangekommen. Europas Politiker haben die kurze Atempause der Erholung, die das Abflauen der Krise ihnen in den vergangenen Monaten gewährt hat, für eine Reform des Systems nicht genutzt. Jetzt will der Markt wieder sicherstellen, dass allen klar ist, wer in der Politik das Sagen hat.
Die Lüge vom unpolitischen Geld
Aber das Murren nimmt nicht nur an den Märkten zu. Es kann sein, dass die Franzosen ihren Präsidenten Nicolas Sarkozy vor allem deshalb in die Wüste schicken wollen, weil er ihnen so furchtbar auf die Nerven fällt. Sie haben, schrieb die FAZ, das Gefühl, „mit ihm in einem Aufzug eingesperrt zu sein“. Aber gleichzeitig haben sie bei diesen Wahlen auch für ganz Europa gesprochen: Es reicht jetzt mit dem deutschen Sparzwang. Der Kontinent hat diese Ideologie satt, die ökonomisch unsinnig ist und sozial eine Katastrophe. „Ihre Stimme wird für lange Zeit die Orientierung in Europa bestimmen.“ François Hollande hatte das bei einer großen Wahlveranstaltung gesagt. Der Mann ist vielleicht kein Visionär. Aber dieser Satz ist wahr. Frankreich ist das einzige Land, das in Europa genug Gewicht in die Waagschale werfen kann, um die deutsche Dominanz zu brechen. „Kann man sich einen einzigen Augenblick lang vorstellen, dass Deutschland Europa allein führen und Frankreich isolieren will?“, hat Hollande gefragt und selbst geantwortet: „Nein!“
Die Deutschen haben an der Lüge vom unpolitischen Geld festgehalten und Europa in den Sumpf ihrer Ideologie gezogen. Aber Geld ist politisch. Das hat man in Frankreich immer besser verstanden als in Deutschland. „Europa wird durch das Geld entstehen oder gar nicht“, hat Jacques Rueff gelehrt, der Währungsexperte Charles de Gaulles’. Die unabhängige Zentralbank, die ohne Rücksicht auf politische Zusammenhänge agiert, halten die Franzosen seit jeher für einen deutschen Irrtum.
Warum hat die Krise nachgelassen? Nicht wegen Merkels Austeritätspolitik. Sondern weil Mario Draghi die „Dicke Bertha“ ausgepackt hat. So hat der Chef der Europäischen Zentralbank (EZB) das 1-Billion-Euro-Programm genannt, in dessen Rahmen er die europäischen Banken mit Krediten versorgte. Sein Vorgänger Jean-Claude Trichet war schon vorausgegangen und hatte für 200 Milliarden Euro Anleihen der Krisenstaaten gekauft. Seit die EZB sich von der deutschen Lehre abwendet und den Geldhahn aufdreht, flacht die Krise ab.
Wieder einmal wird sich an der Währungspolitik die Zukunft Europas entscheiden. Hollande will die EZB weiter politisieren. Wenn er gewinnt, wird der deutschen Politik nichts übrig bleiben, als ihren Irrweg endlich aufzugeben. Angela Merkel wird dann als das entlarvt, was sie ist: nicht die Retterin des Euros, sondern seine größte Bedrohung.
Das ist die Chance der SPD für die Bundestagswahl 2013, die Chance Sigmar Gabriels. Kann der Parteichef sie nutzen? Hollande hat neulich gesagt: „Ich bin kein gemäßigter Sozialist, auch nicht mäßig sozialistisch – ich bin einfach Sozialist.“ Er kämpft für eine gerechtere Verteilungspolitik und für eine Reichensteuer. Solche Radikalität ist den Deutschen fremd: Wenn sich hierzulande jemand als Sozialist bezeichnet, legt der Verfassungsschutz einen operativen Vorgang an. Aber die deutschen Sozis müssen ja auch nicht gleich wie ihre französischen Genossen eine Reichensteuer von 75 Prozent anstreben. Es würde schon genügen, wenn Gabriel aus dem Kampf gegen die immer weiter fortschreitende soziale Ungleichheit mehr machen würde als ein Lippenbekenntnis.
Als Angela Merkel von den Usancen der bisherigen Diplomatie abrückte und Nicolas Sarkozy Wahlkampfhilfe anbot, reagierte Gabriel klug und schlug sich demonstrativ auf Hollandes Seite. Wenn Hollande siegt, gäbe das den Linken in der SPD Auftrieb. Der Parteivorsitzende sollte dann bald Schluss machen mit der SPD-Troika. Er muss aus der Reihe der Drei Fragezeichen ausscheren und den Rücken gerade machen.
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