Vielleicht waren Drei Engel für Charly einfach zu wenig. Nicht nur numerisch, sondern auch charakterlich: Die zwischen 1976 und 1981 produzierte, dem sogenannten Jiggle TV zuzurechnende Serie hatte einen klaren Fokus auf den männlichen Blick. Der Begriff Jiggle TV wurde in den 70ern von einem NBC-Vorstand geprägt, der damit die für die Story nicht unbedingt nötigen, aber durchaus zum Konzept gehörenden, regelmäßig prominent durchs Bild wackelnden Hinterbacken der Protagonistinnen paraphrasierte. Neben den oft im Bikini ermittelnden „Engeln“ gehörten auch die beiden weiblichen Figuren der homophoben 70er-Jahre-Serie Three’s a Company dazu, bei denen der Zuschauer den männlichen Hauptdarsteller beneiden sollte: Der hatte sich als schwul ausgegeben, um, uiuiui, mit zwei heißen jungen Single-Frauen zusammenziehen zu dürfen, eine blond, eine brünett! Und beide andauernd leicht bekleidet!
Mit der zweiten Welle der Frauenbewegung, die naturgemäß etwas Zeit brauchte, um in den Vorstandsetagen der TV-Sender anzukommen, erweiterte man die Möglichkeiten weiblicher Figurenkonstellationen. Aus dem Dreieck wurde das Quartett: vier Personen, vier Archetypen, jede mit einer bestimmten Eigenschaft verbunden. Das nicht mehr nach heteromännlichem Mainstream-Geschmack, sondern für ein weibliches Publikum ausgesuchte Heldinnenquartett schaffte es spätestens 1985 in die Serienwelt. Mit den Golden Girls, die in Deutschland erstmalig 1990 ausgestrahlt wurden, gab es plötzlich vier ältere und damit klar aus dem heteronormativen Attraktivitätsschema herausfallende Frauen, die vor allem Humor und Humanität verband.
Sex and the City etablierte das selbstbewusste Frauenkleeblatt ab 1998 endgültig, mit leicht veränderten Attributen: die nachdenkliche Chronistin, die Sexgöttin, die Naiv-Prüde und die Karrierefrau. Die deutsche Regisseurin Doris Dörrie legte 2010 in ihrer teilweise sehr gelungenen ZDF-Mini-Serie Klimawechsel beherzt den Fokus auf das Thema Wechseljahre und erzählte von vier Münchner Lehrerinnen. Lena Dunhams Girls (ab 2012) diskutierte die Normen, denen sich Frauen (und Männer) unterwerfen, erstmals ebenso kritisch wie den Egoismus der Generation Y: Ihre vier Protagonistinnen waren selbstsüchtige, neidische, verwöhnte New Yorkerinnen – und treulose Tomaten in Sachen Freundschaft noch dazu. Gegen sie wirkten die Kabbeleien zwischen Carrie und Miranda wie kalter Caffè Latte.
Fast 20 Jahre später erzählt die französische Schauspielerin, Drehbuchautorin und Regisseurin Julie Delpy nun wieder eine Geschichte von vier Freundinnen. Die Protagonistinnen in On the Verge (seit September auf Netflix) sind zwischen Mitte 40 und Anfang 50, sie heißen Justine (Delpy), Ell (Alexia Landeau), Anne (Elizabeth Shue) und Yasmin (Sarah Jones), sind hetero, haben internationale (Frankreich) und diverse Wurzeln (Yasmins Vater ist Iraner, die Mutter „Black Panther“) und leben in Los Angeles.
La La Land für die Ü40-Frau
Und dieser Ort, dieses Mekka der gekünstelten Superreichen, bestimmt die Handlung erheblich mit: Alle vier scheinen vor allem ein Problem mit der Authentizität zu haben. Justine lebt an ihrem bilderbuchfranzösischen, wie ein Schlot rauchenden Ehemann Martin (Mathieu Demy) vorbei, der seiner Frau ihren Erfolg als Starköchin missgönnt – anstatt angesichts seiner latent misogynen Ignoranz mal auf den Küchentisch zu hauen. Die finanziell klamme Ell, die drei Kinder von drei Männern aus unterschiedlichsten Kulturen hat, definiert sich so sehr über ihre Liebesgeschichten, dass ein Blowjob für einen guten Freund für sie wie selbstverständlich dazugehört. Die Designerin und sorglose Erbin Anne ist meistens stoned. Und Yasmin, der einst eine Laufbahn als Juristin offenstand, fängt neurotisch an zu heulen, wenn ihr sanftmütiger Ehemann sie kritisiert.
Delpys Drehbücher, die sie gemeinsam mit Landeau schrieb, offenbaren somit vor allem Ebenen der Selbsttäuschung: Fast niemand in dieser teilweise recht unterhaltsamen Erzählung scheint sich selbst oder die Verhältnisse, in denen man sich bewegt, realistisch wahrzunehmen. Das ist insofern erstaunlich, als dass das konventionelle US-Unterhaltungskino diese Kopf-in-den-Wolken-Inszenierungen üblicherweise eher jüngeren Frauen vom Typ „Chaosnudel“ zugesteht, es ihnen gar als sympathische Eigenschaft anheimstellt. Delpys Heldinnen sind zwar – teilweise – noch sympathisch. Aber langsam sickert bei ihnen die Erkenntnis durch, dass es über 40 oder jenseits der 50 mit komplizierten, voneinander abhängigen Job-Familien-und-Mutter-Pflichten immer schwieriger wird, tatsächlich alles hinzuschmeißen und sich neu zu erfinden.
Diese dem Leben mit (vor allem in der US-Gesellschaft) all seinen Zwängen geschuldete Tatsache könnte der Serie eine Bitterkeit geben, die sie auf der einen Seite ernsthafter, auf der anderen ernst zu nehmender machen würde. Darauf verzichtet Delpy jedoch meist. Stattdessen inszeniert sie ein paar seichte Gags zu viel: Katzenkot-neben-Sofa-Katastrophen, Akte am Rande des Nervenzusammenbruchs, halbgare Ideen wie das Treffen von Justine mit der echten Delpy, die als arrogante Salat-Zicke im Restaurant vorbeischneit. Immerhin: Die große Liebe, konservatives Endziel und Motiv fast aller ähnlich gelagerten Produktionen, bleibt (zumindest in Staffel 1) angenehm verschwommen in der Ferne hängen.
Info
On the Verge Julie Delpy Frankreich/ USA 2021, Netflix
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