Das Flugblatt klingt mehr nach Vorladung als nach Einladung. Es wurde in die Briefkästen von Schnellroda und den umliegenden Dörfern geworfen und wirbt für einen Diskussionsabend mit Götz Kubitschek. Seine Kritiker sind mit Namen geladen. Bürger aus dem Zweihunderteinwohnerdorf, die sich erlaubt hatten, öffentlich Stellung zu beziehen zum politischen Wirken von Kubitschek, dem selbsternannten Vordenker der Neuen Rechten. Bürger, die die Sache nicht von „Nachbar zu Nachbar“ geklärt hatten, wie es im Flugblatt heißt.
Dabei findet Kubitschek für die ostdeutsche Provinz im südlichen Zipfel von Sachsen-Anhalt eigentlich immer viel Lob. Geschwärmt hat er von „herrlichen Kämpfen“ in der Dorfkneipe, von „Derbheit“ und „Grobheit“, vom Leben „wie vor 50 Jahren“. Viele im Dorf kennen diese Passagen aus einem Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, können sich darin aber kaum wiederfinden. „Wir haben schnelles Breitband-Internet“, sagt einer. „So viel zum Leben wie vor 50 Jahren.“
Fußball, Kneipe, Volkslieder
Doch die Worte waren sicher nicht böse gemeint von Kubitschek, der seine Weltflucht bewusst in der ostdeutschen Provinz auf einem ehemaligen Rittergut, weitab vom „Multikulti“ westdeutscher Großstädte, inszeniert. Sein Videokanal auf Youtube will diese Idylle zeigen. Weiche Konturen und warme Farben, ein Mann trottet mit einem Weidenkorb inmitten der friedlich daliegenden Dorfstraße. Seichtes Klaviergeklimper wechselt sich ab mit Kubitscheks Stimme aus dem Off: Schnellroda sei der „Knotenpunkt eines konservativ-revolutionären Milieus“ und längst „zur Chiffre für diesen Geist geworden“. Umschnitt auf ihn und seine Frau Ellen Kositza. Sie flanieren durch den Ort, redend, lächelnd, in die Ferne schauend. In einem anderen Spot verkündet sie mit süffisantem Lächeln: „Wir sind die gute Rechte, die kluge Rechte, die schöne Rechte.“
Das Paar hat sich mit seinem Verlag, dem Institut für Staatspolitik und mit Hilfe von Pegida und AfD ins öffentliche Licht gerückt. Etliche Homestorys sind gedreht und geschrieben worden. Wer wollte nicht sehen, wie der Hausherr die Ziege melkt? Hören, wie Herr Kubitschek und Frau Kositza sich siezen? Und wer wollte sich nicht selbst von den altgermanischen Namen der vielen Kinder überzeugen?
Das Dorf Schnellroda mutierte zur Kulisse von Kubitscheks Lebenswerk. Anfangs, vor über zehn Jahren, fügte sich alles wunderbar. Kubitschek spielte Fußball bei den alten Herren, rief einen Männerchor ins Leben, der deutsche Volkslieder sang, trat dem Traditionsverein bei, und man saß abends zusammen in der Dorfkneipe. Doch die traute Eintracht ist Vergangenheit. Warum, ist schwer zu sagen.
Hartmut Augustin saß früher im Gemeinderat. Seine Tochter, erinnert er sich, war die Erste, die vor Kubitschek gewarnt hatte. Als Aushilfe in der Dorfkneipe habe sie ihn erlebt und gesagt, der sei ein „ganz gefährlicher Mann“. Augustin erinnert sich auch, dass Kubitschek bei der feierlichen Einweihung eines Kriegerdenkmals vor einigen Jahren etwas vorgelesen hat, einen Feldpostbrief aus Stalingrad oder so etwas, genau weiß er das nicht mehr. Auch der alte Tischler Max Raue erinnert sich an diesen Tag. Damals wurde ihm klar: „Da bekommen wir wieder, was nach ’33 war.“ Nach diesem Vorfall wurde das Kriegerdenkmal stillschweigend in die alte Kirche verlegt. Eine Gedenkveranstaltung hat es nie wieder gegeben.
Das Unbehagen keimt in Schnellroda. Günther Höfers wohnt zusammen mit seiner Frau Rosalinde nur 50 Meter Luftlinie von Kubitscheks Rittergut entfernt. Er sitzt in seiner Hollywood-Schaukel und erzählt über seinen Nachbarn: „Also, belästigen tut er uns nicht. Aber so seine ganze Art, die komischen Versammlungen und was er dann im Fernsehen und in der Zeitung noch preisgibt, und im Internet! Als wäre er der kleine König von Schnellroda.“ Dem Ehepaar sind die Pilgerfahrten zum Rittergut natürlich nicht entgangen. Aus dem gesamten Bundesgebiet, sogar aus Österreich und der Schweiz kommen sie nach Schnellroda, vor allem jüngere Leute. Doch aufgeschreckt wurde Rosalinde Höfers erst, als sie von Arbeitskolleginnen auf ihr „braunes Dorf“ angesprochen wurde.
Dem Landwirt Bernd Bollmann ist Kubitscheks „seltsame Deutschtümelei“ suspekt, er hat sie lange ausgehalten. „Dass aber für Kubitschek Mensch nicht gleich Mensch ist und die aus Russland und Osteuropa angeblich besser zu uns passen als die aus Afrika, da ist für mich die Grenze“, sagt der konservative Katholik aus Westfalen. Diskussionen über Politik mit Kubitschek vermeidet er inzwischen. Er will keinen Streit, wie so viele.
Hartmut Augustin wagte Kritik im MDR-Fernsehen: „Das haben wir alles schon mal gehabt. Und ich mache mir ein bisschen Sorgen, dass ein Teil der Bevölkerung das nicht wahrhaben will oder nicht erkennt.“ Deshalb hat Kubitschek zur Diskussion in die Dorfkneipe „Zum Schäfchen“ geladen.
Er steht an einem Bistrotisch am Kopf des Saals. Hier hielt der Thüringer AfD-Fraktionschef Björn Höcke Ende vergangenen Jahres seine Rede von „verschiedenen Menschentypen“. Zur Diskussion mit den Bürgern von Schnellroda betont Kubitschek, er habe bewusst nicht seine Gefolgschaft mobilisiert, um hier von Nachbar zu Nachbar zu sprechen. Stillschweigend beobachten Mitglieder der neurechten Identitären Bewegung die Szenerie im Saal. Sie fotografieren, filmen.
Den Bürgern von Schnellroda stellt sich der politische Aktivist Kubitschek als Verleger vor. Er sei konservativ und ein „Sympathisant“ der AfD, nur einer von rund 25 Prozent, die bei der Wahl in Sachsen-Anhalt rechtsnational gewählt haben. Allerdings wird nicht jeder Sympathisant wie Kubitschek als Spindoctor der Partei gehandelt, und es tritt auch nicht jeder als Ehrengast auf der Magdeburger AfD-Wahlparty auf.
Doch um Kubitscheks Verhältnis zur AfD geht es den Bürgern von Schnellroda nicht. Damit könnten viele wahrscheinlich leben, schließlich konnte die AfD im Wahlbezirk mehr Stimmen einstreichen als jede andere Partei. Es ist Kubitscheks Kampfrhetorik, die aufhorchen lässt. Die erste Wortmeldung am Abend kommt von einer Frau. Sie habe gelesen, wer deutsch sein wolle, müsse laut Kubitschek bereit sein, für „das deutsche Volk zu kämpfen“, auch unter „Einsatz des Lebens“. Das sei „der Hammer“, sagt sie, ob er da was zu sagen könne. Sehr gerne, sagt Kubitschek. Irgendein Journalist habe das in die Welt gesetzt – und zwar verkürzt, dabei ginge es hier um einen „sehr komplizierten Sachverhalt“. Eine Position, auf die er sich an diesem Abend oft zurückzieht: Er werde missverständlich, sinnentstellt oder falsch wiedergegeben.
Reden nach Schema
Später redet er über Flüchtlinge, sagt, dass es doch für Syrer würdiger sei, mit Waffen für ihr Land zu kämpfen, als in das Lagerleben in Deutschland zu flüchten. Da passt es gut, dass diese „Alternative“, bei der alle bleiben und sterben, wo sie sind, Kubitscheks geistigen Bürgerkrieg befrieden würde, in dem es angeblich „um die Existenz unserer Nation, unseres Volks“ geht.
Diese Dramatisierung ist aus seinen Pegida-Reden bekannt. Ruft Kubitschek darin zu Gewalt auf, stachelt er an und hetzt auf? Nein, sagt er, er habe sich immer von Gewalt distanziert. Das stimmt, doch seine Reden folgen einem Schema. Am Anfang steht die Warnung vor dem Untergang, das deutsche Volk solle „ausgetauscht“ werden. Dann fragt er, wie weit „wir“ gehen dürfen, inwieweit „wir“ ermächtigt sind. Die Antwort: Wir brauchen Widerstand! Friedlich vorerst, mehr könne er jetzt noch nicht sagen, erklärte Kubitschek in einer Dresdner Rede.
In Schnellroda droht die Stimmung im Saal zwischenzeitlich zu kippen. Kubitschek wird ungehalten. Seine Frau Kositza springt ihm zur Seite. Sie grätscht in einen offenbar unerwünschten Redebeitrag zu Nationalsozialismus, völkischem Denken und fehlender Abgrenzung. Kositza will vom Redner wissen, wie er denn heiße. Ja, wo kommt er überhaupt her, dröhnt Kubitschek. Die Antwort gibt er sich selbst: Sicher nicht von hier! Das motiviert die Kubitschek-Unterstützer zu Zwischenrufen.
Nach zwei Stunden ist die Show vorbei. Kubitschek gibt noch zu bedenken, was seine Kinder aushalten müssen, wenn ihre Eltern in der Öffentlichkeit derart angegangen werden. Was er nicht fragt: Was denken die Kinder eigentlich, wenn ihre Mutter auf Youtube erzählt, dass man ihnen den Mund mit Seife auswäscht, sobald sie schmutzige Wörter in den Mund nehmen? Zum Beweis lutscht die Mutter im Video tatsächlich an einem Stück Seife. Das ist also die rechte Idylle in Schnellroda.
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