Das ist schon ein Typ, dieser Erich „Rickerl“ Bohacek (Voodoo Jürgens). Selten bis gar nicht ist er ohne Fluppe zwischen den Lippen zu sehen, auch das Bierchen oder der G’spritzte (Weinschorle) scheinen mit ihm verschweißt. Auf dem Rücken trägt er, metaphorisch gesprochen, seinen Traum spazieren: seinen Koffer mit der Gitarre und den zerknitterten Songtextzetteln darin. Rickerl ist ein aus der Zeit gefallener Träumer, der kein Smartphone besitzt. „Die Gegenwart ist beschissen, schick ’ne SMS!“, krakeelt er einmal. Natürlich nicht auf Hochdeutsch, denn er hat den breitesten Dialekt und den Wiener Schmäh quasi für sich gepachtet.
Eigentlich will er mit seinen urig-melancholischen, teils morbiden Singer-Songwriter-Numm
riter-Nummern Geld verdienen, aber was soll man sagen: So recht kriegt der Überlebenskünstler seinen Hintern nicht hoch. Sein „fetter Manager“, wie Rickerl ihn nennt, haust in einem zugestellten, höhlenähnlichen Büro und wartet vergeblich auf das Demo-Tape seines Schützlings. Bis dahin soll der Rickerl auf einer Hochzeit spielen: „Beatles, Simon und Furunkel oder wie der Scheiß heißt, aber nichts Eigenes!“ Der Arbeitsmarktservice (AMS), quasi das österreichische Jobcenter, sitzt ihm, weil schon aus etlichen Anstellungen geflogen, im Nacken.Spielfilmdebütant David Öllerer aka Voodoo Jürgens, Aushängeschild des neuen „Austropop“ und der Wiener Musiksubkultur, schlawinert sich kongenial durch Adrian Goigingers in Wien spielende Tragikomödie Rickerl – Musik is höchstens a Hobby. Nicht von ungefähr haftet dem durch und durch sympathischen Film eine verschrobene Authentizität an, denn der österreichische Regisseur lässt Fiktion und Realität sich produktiv aneinander reiben. Auch wenn er nach eigenem Drehbuch nicht die tatsächliche Geschichte von Jürgens erzählt, greift der Film doch bewusst dessen Background auf und spielt damit.Gleich in der ersten Filmszene wird dieser besondere Modus deutlich. Da spielt Rickerl in einer Art Lagerraum auf dem Friedhof vor einer biertrinkenden, qualmenden und schließlich mitsingenden Gruppe den Song Heite grob ma Tote aus, bevor ein Totenkopf über den Boden kullert. Wenig später verliert er seinen Job und brockt sich ein Beschäftigungsverbot für sämtliche Wiener Friedhöfe ein. Jürgens hat selbst einst als Gärtner auf einem Friedhof gearbeitet, der gespielte Song war sein erster großer Hit.Einen ähnlichen autobiografischen Ansatz verfolgte Goiginger bereits zuvor. In seinem gefeierten Debüt Die beste aller Welten verarbeitete er durch die Augen eines Jungen sehr authentisch seine eigene Kindheit in Salzburg und die Beziehung zur drogenkranken Mutter und zu ihren Freunden. In Der Fuchs wiederum schöpfte er aus den Erinnerungen seines Urgroßvaters, der als Soldat am deutschen Überfall auf Frankreich teilnahm.Im Rickerl steht, wie schon im Debüt, eine nicht ganz einfache Eltern-Kind-Beziehung im Zentrum. Jedes zweite Wochenende verbringt Rickerl Zeit mit seinem sechsjährigen Sohn Dominik (Ben Winkler), der in einem spießigen Einfamilienhaus bei seiner Ex Viki (Agnes Hausmann) und ihrem Neuen, einem deutschen „Piefke“, wohnt. Wenn der dürre Musiker mit den langen, zerzausten Haaren, Bart und Vintage-Garderobe am Zaun der modernen weißen Architektur steht, um den Sohn abzuholen, wirkt er völlig fehl am Platz.An seinen Wochenenden streunt Rickerl mit Dominik herum. Anstatt an der Karriere zu feilen und ein Radiointerview wahrzunehmen, geht er mit Dominik campen. Er nimmt den Jungen mit in die verrauchte Eckkneipe, wo er kleine Konzerte spielt und mit Freunden säuft. Im Sexshop, wo er einen Job als Verkäufer annimmt, massiert sich Dominik mit einem Vibrator den Nacken und darf die ersten Minuten eines Pornos schauen. Pädagogisch fragwürdig ist einiges, was Rickerl mit dem Sohn unternimmt, aber er meint es immer gut. Wie schon in Die beste aller Welten bleibt der Film durchweg angenehm undidaktisch.Rickerl – Musik is höchstens a Hobby erzählt mit Naturalismus und völlig unverkitscht die Geschichte dieses so feinen wie verschrobenen Typen, der auf seine verpeilte Art versucht, von der geliebten Kunst zu leben. Es ist ein Film über Väter und Söhne und auch über destruktive Ahnenlinien. Denn Rickerls eigener Vater, ein Spielsüchtiger und Fußballfan, war kaum für ihn da und wurde wiederum selbst von seinem Vater verprügelt.Zugleich ist Rickerl eine Ode, und zwar in mehrfacher Hinsicht: an das Wien der Beisln und Tschocherln, an die Kunstfigur Voodoo Jürgens, der sich hier als großer Charakterdarsteller und Musiker präsentieren darf. Und an die Wiener Musikkultur generell, für die er stellvertretend steht.Aktuell sorgen „Austropop“ und Wien als Schmelztiegel für Aufsehen. In der österreichischen Hauptstadt scheinen die Voraussetzungen zu stimmen für ein vielseitiges musikalisches Biotop, für eine Szene zwischen Mundart-Liedermachern wie Jürgens oder Gaga-Pop-Erscheinungen, Rappern und Rock. Atmosphärisch porträtiert wurden Musiker wie Der Nino aus Wien – der in Goigingers Film einen Gastauftritt hat – oder Kerosin95 bereits in Philipp Jedickes Dokumentarfilm Vienna Calling.Jedickes Film folgte auch Voodoo Jürgens, und es fühlt sich ein wenig so an, als sei der Musiker aus dem subjektiven Szeneporträt direkt in Goigingers Spielfilm hineingefallen. Rickerl – Musik is höchstens a Hobby ist gewissermaßen ein filmgewordener Voodoo-Jürgens-Song: mit seinem humanistischen Blick auf das Abseitige und auf gesellschaftliche Randgestalten, mit seiner zarten Melancholie und dem derben Humor. Rickerls Manager sagt einmal, dass man mit seiner Musik vielleicht nicht viel verdienen könne, dass sie aber mitten ins Herz ziele. Mitten ins Herz zielt auch das Ende von Goigingers Film, bei dem ein selbstgeschriebener Song emotional aus den Socken haut.Eingebetteter MedieninhaltPlaceholder infobox-1