In einer Kolumne im Freitag (37/2022) wettert der linke Journalist Karsten Krampitz gegen das Gendern. Solch „radikale Sprachveränderungen“, wird nahegelegt, könnten von den erschöpften Hartz-IV-Empfänger*innen nicht mehr nachvollzogen werden und führten letztlich zu einer weiteren Spaltung der Gesellschaft. Das aber könne die Rechte – Krampitz nennt den Aufstieg Hitlers als Beispiel – letztlich besser. Er schließt mit den Sätzen: „Der Hass auf das Gendern ist der Kitt, der völlig unterschiedliche Leute zusammenbringt und der es der Rechten leicht macht, gegen alles Linke zu mobilisieren. Der AfD hätte man keinen besseren Knüppel in die Hand geben können.“ Mit anderen Worten, wer mit dem Kampf für Geschlechtergerechtigkeit schon beim Sprechen und Schreiben beginnt, bereitet dem Faschismus den Weg. Das ist ein ungeheuerlicher Vorwurf.
Neu ist er nicht: So hatte etwa der Ethnologe und GWR-Autor Thomas Wagner in seinem Buch „Die Angstmacher“ (2017) im gleichen Tenor im Hinblick auf das Gendern vor einer „höfischen Sprache“ von „intellektuellen Eliten“ gewarnt, die mit daran schuld sei, dass die Leute sich von den Rechten eher vertreten sehen als von linken Gruppen und Parteien (vgl. Rezension GWR 424). Wagner greift dabei wiederum zustimmend den anti-identitätspolitischen Diskurs von Sahra Wagenknecht, Bernd Stegemann u.a. auf. Den Tiefpunkt der Annahme, das Gendern führe in den Faschismus, setzte vielleicht der österreichische Philosoph Robert Pfaller. Der sich als links verstehende Autor hatte nahegelegt, das Gendern selbst sei schon eine Art faschistische Praxis: Er bezweifle, sagte er in einem Radiobeitrag im österreichischen Radiosender Ö1 im April 2021, ob das Sichtbarmachen durch den Genderstern eine emanzipatorische Praxis sei, schließlich sei es auch beim Judenstern unter den Nazis schon um Sichtbarmachung gegangen.
Gegen diesen Anti-Gender-Diskurs mancher Linker lassen sich vor allem drei Argumente ins Feld führen. Erstens: Wäre die Logik stichhaltig, nach der Menschen rechte Parteien wählen, weil sie von Sprachregelungen überfordert sind, wäre linke Politik schlechterdings unmöglich. Und zwar nicht nur in Sachen Geschlechtergerechtigkeit, sondern überhaupt. Denn mit diesem Argument kann letztlich jede Forderung nach Veränderung als Überforderung des Proletariats oder von irgendjemandem ausgelegt werden: egal ob den Fleischkonsum einzuschränken, andere nicht mit Schimpfworten zu beleidigen oder eben auch den Klassenkampf zu führen. Linke Politik greift immer auch in Alltagsgewohnheiten ein, in denen Ungleichheit und Diskriminierung gelebt wird, sonst wäre sie nicht links.
Es muss hier vielleicht auch noch einmal daran erinnert werden, dass es beim Gendern darum geht, Ausblendungen und Auslassungen zu vermeiden. Das ebnet die geschlechterbezogene soziale Ungleichheit noch nicht ein, ist aber ein Schritt auf dem Weg dorthin. Denn es führt einerseits zur Anerkennung vergangener Leistungen (von Frauen) und öffnet andererseits auch Möglichkeitsräume für die Zukunft. Mädchen, das haben verschiedene Studien gezeigt, die es gewohnt sind, von Ärztinnen und Pilotinnen zu hören und nicht nur bei Ärzten und Piloten angeblich mitgemeint sind, ergreifen später mit höherer Wahrscheinlichkeit wirklich solche Berufe. Die Sprachwissenschaftlerin Luise F. Pusch und andere Feministinnen zeigen all das schon sehr lange auf.
Die ständige Behauptung des Wagenknecht-Lagers, der Kampf gegen soziale Ungleichheit sei die eigentliche Sache der Linken und den Marginalisierten sozusagen selbstverständlich, während der Kampf um Antisexismus und Gendergerechtigkeit bloß die „Marotte“ (Wagenknecht) von ein paar elitären Kosmopolit*innen und deshalb mit linker Politik kaum vereinbar sei, ist weder auf der Ebene von Forderungen triftig noch überhaupt.
Zweitens übernehmen Krampitz usw. die Argumentation der eigentlichen Gegner*innen, wenn sie behaupten, die Leute seien vom Gendern überfordert. Denn genau so argumentiert ja auch die antifeministische Rechte: Wir sind die Sprachrohre der „einfachen Leute“, die sich von euch linken akademischen Eliten ausgegrenzt fühlen. Dass Ressentiment und Rassismus womöglich gar nicht die Reaktion auf gendersensible Sprache und Transgender-Toiletten sind, sondern tief verwurzelte, kulturelle Verhaltensmuster spiegeln, kommt den vermeintlichen Verteidiger*innen der „einfachen Leute“ gar nicht in den Sinn. Damit werden auch die eigentlichen Motive fürs Rechtswählen verharmlost und rassistische Einstellungsmuster legitimiert. Denn AfD-Wähler*innen wählen die Partei vielleicht auch aus einem Interesse am Erhalt der eigenen Privilegien, aus Missgunst und/oder dem Drang, den eigenen Frust an den nächst Schwächeren abzulassen, ohne je von politisch korrekten Protofeminist*innen mit ihrer Sprachpolitik genervt worden zu sein.
Und drittens muss auch wirklich mal infrage gestellt werden, ob das Überforderungsargument im konkreten Fall des Genderns überhaupt zutrifft. Sprache ist doch ohnehin nicht statisch, sondern verändert sich andauernd. Warum soll der erschöpfte Hartz-IV-Empfänger eigentlich nicht offen sein für andere Sprachregelungen? Es wird doch ständig alles Mögliche im Alltag geregelt, warum nicht eine Regel akzeptieren und umsetzen, die Auslassungen und Ausblendungen abschafft und nachweislich soziale Ungleichheit nicht weiterhin zementiert? So schwer ist das nämlich auch gar nicht. Man muss die armen Armen auch nicht dümmer machen, als sie ohnehin nicht sind. Verglichen mit anderen impliziten und expliziten Verordnungen, die den Alltag von Menschen regulieren, erscheint es jedenfalls nicht allzu schwierig, sich anzugewöhnen, *innen mitzusprechen, wenn nicht nur Männer gemeint sind. Hinzu kommt: Es hatten jetzt auch alle ziemlich viel Zeit, sich an diese ach so „radikale Sprachveränderung“ zu gewöhnen.
Das ist noch ein vierter Punkt, der zu erwähnen wäre: Die historische Dimension der ganzen Auseinandersetzung lässt sich vielleicht ein bisschen ins richtige Licht rücken. Es wird in den Debattenbeiträgen ja häufig so getan, als sei das Gendern ein Phänomen der letzten Jahre, das die Trump-Wahl, den Brexit usw. mit forciert habe und die Leute eben in die Arme der AfD treibe bzw. der AfD einen „Knüppel in die Hand“ (Krampitz) gäbe. Das ist allerdings auch zeitdiagnostisch falsch. Die AfD wurde 2013 gegründet und auch wenn das Feuilleton erst in den letzten Jahren so richtig heiß gelaufen ist in dieser Frage – gendersensible Sprech- und Schreibweisen gibt es schon seit Jahrzehnten! Als wir unsere SchülerInnenzeitung „gaanix“ gemacht haben, die im Untertitel auch SchülerInnenzeitung hieß (mit Binnen-I), waren wir sicherlich keine Avantgardist*innen in Sachen Sprachpolitiken, sondern einfach linke, antifaschistische Schüler*innen an einem stinknormalen Gymnasium im Essener Süden. Ich habe 1990 Abitur gemacht, die Zeitung erschien in den beiden Jahren davor. Es wurde also schon vor 1989 gegendert. Und jetzt sollen plötzlich Menschen, die das Ende des Kalten Krieges, die Nutzung von E-Mail-Kommunikation und Smartphones, die Einführung des Euro und das Rauchverbot in Kneipen verkraftet und in ihren Alltag integriert haben, ohne Nazis zu werden, wegen ein paar Binnen-Is oder Sternchen oder Unterstrichen zu Faschos werden? Mir fehlt da die Evidenz.
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