Ein Krieg, der nur den Eliten nützt

Aserbaidschan/Armenien Trotz des aktuellen Konflikts ist ein Frieden möglich, wenn beide Länder mit dem Oligarchentum brechen
Ausgabe 40/2020
Armenische Polizisten patrouillieren in der armenischen Hauptstadt Jerewan im September
Armenische Polizisten patrouillieren in der armenischen Hauptstadt Jerewan im September

Foto: AFP/Getty Images

Die Kampfhandlungen vom Wochenbeginn erinnern an den vor drei Jahrzehnten schon einmal geführten Krieg um Bergkarabach. Die Verluste auf armenischer wie aserbaidschanischer Seite steigen von Tag zu Tag, besonders bei Zivilisten. Dabei fehlt es nicht an hitzigem Pathos, wenn Premier Paschinjan vor dem Parlament in Jerewan beteuert, er sei bereit, auf dem Schlachtfeld zu sterben. Mitte Juli bereits kam es zu heftigen Gefechten zwischen den Erzfeinden, zur schwersten Eskalation seit 2016, die nun freilich übertroffen wird. Als vor zwei Monaten die Artillerie feuerte, geriet die Provinz Tawusch im Nordosten Armeniens unweit der Grenze zu Aserbaidschan ins Visier. Und zu den Opfern zählte ein aserbaidschanischer General.

Die Enklave Bergkarabach, steter Anlass zur Konfrontation, gehört völkerrechtlich zu Aserbaidschan, wird aber wie auch andere aserbaidschanische Orte von Armenien kontrolliert. Ein Konflikt, der zurückreicht in die Zeit des jähen Zerfalls der Sowjetunion, als beide Länder die Entscheidung im Krieg suchten, den 1994 kein Friedensvertrag, lediglich ein Waffenstillstand beendete. Immer wieder haben seither Experten vor der Gefahr eines Schlagabtauschs mit unvorhersehbaren Folgen für den gesamten Kaukasus gewarnt.

Wie und ob das geschieht, können zwei regionale Großmächte maßgeblich beeinflussen: Die Türkei unterstützt Aserbaidschan und hat wie die Regierung in Baku ein äußerst schlechtes Verhältnis zu Armenien, was viel mit dem im Namen des Osmanischen Reiches verübten Völkermord an den Armeniern während des Ersten Weltkrieges zu tun hat. Russlands Part ist nicht so eindeutig exponiert, auch wenn die Prioritäten klar bei Armenien liegen und eine Militärbasis in der Nähe der armenischen Stadt Gjumri unterhalten wird. Russische Waffen wurden zuletzt an beide Konfliktparteien verkauft.

Traditionell nutzen die autoritären postsowjetischen Regimes Aserbaidschans wie Armeniens ihre Fehde, um den Nationalismus anzufeuern und an Rückhalt durch die Beschwörung eines externen Feindes zu gewinnen. 2018 jedoch schienen für Armenien neue Optionen möglich, als Nikol Paschinjan nach einer friedlichen Revolution und dank seiner großen Popularität Premierminister wurde. Offenbar markieren die jetzigen Gefechte das Ende der Schonzeit im Verhältnis zwischen Paschinjan und dem Regime in Baku. Die aserbaidschanische Führung begrüßte zwar anfangs, dass ein Politiker zum Zuge kam, der im Gegensatz zu vorherigen Führern Armeniens nicht mit dem Krieg in den frühen 1990er Jahren in Verbindung stand. Doch als im Juli aus dem aserbaidschanischen Verteidigungsministerium die Drohung kam, ein armenisches Atomkraftwerk in der Nähe von Jerewan zu bombardieren, schien die gewohnt unversöhnliche Rhetorik erneut aufzuleben. Die Zuspitzung nahm ihren Lauf, als Ilham Alijew, der Staatschef Aserbaidschans, Mitte August den russischen Präsidenten anrief, um ihn in selten offener Weise dafür zu attackieren, Armenien mit erheblichen Waffenvorräten ausgestattet zu haben. Alijew machte Putin klar, dass Intensität und Timing der Lieferungen „Besorgnis erregen und ernsthafte Fragen in der aserbaidschanischen Öffentlichkeit aufwerfen“.

Schlüssel zur Versöhnung

Augenscheinlich deutete man in Baku den Waffentransfer als Signal aus Moskau an Armenien, im Konflikt keine Zurückhaltung mehr zu üben. Für Alijew war damit Russlands Glaubwürdigkeit als Vermittler erschüttert. Mit dem ohnehin ausgeprägten Misstrauen und feindseliger Rhetorik wuchs die Bereitschaft zum Schießen, sodass es nur noch eine Frage der Zeit war, bis die Situation außer Kontrolle geriet.

Die Konsequenzen beschäftigen nicht allein Russland und die Türkei, auch eine Regionalmacht wie der Iran wird tangiert. Dazu die EU, die nicht nur mit neuen Flüchtlingsströmen rechnen muss, sondern auch die Versorgung mit Öl und Gas aus Aserbaidschan gefährdet sieht.

Wo liegt der Schlüssel zu einer dauerhaften Versöhnung zwischen den Konfliktparteien? Nach 30 Jahren des postsowjetischen Autoritarismus und Missmanagements wird allmählich klar: Es gibt keine dauerhafte Lösung ohne eine Auseinandersetzung mit der Oligarchie und Kleptokratie beider Länder, gepaart mit der Erkenntnis, dass Aserbaidschaner und Armenier nie wirklich unversöhnliche Feinde waren. „Ihre Leiden und der Hass waren in all den Jahren kaum mehr als ein Instrument der Kapitalakkumulation für die Eliten in Jerewan und Baku. Nur durch einen Abschied von diesen Akteuren kann endlich Frieden einkehren“, sagt der Kaukasus-Experte Peter Liakhov.

Im August verging kein Tag ohne Zusammenstöße an der stark befestigten Front. Schon da drängte sich das Urteil auf, dass der fragile Waffenstillstand von 1994 ausgedient hat und durch ein wirksameres Agreement ersetzt werden muss – nunmehr erst recht.

Jens Malling ist freier Autor und lebt in Berlin

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