„Superfest“-Gläser aus der Lausitz sind einfach zu gut für den Markt
Zeitgeschichte In der DDR wird ein besonders langlebiges Trinkglas hergestellt, das seine Wurzeln vom Design her im Bauhaus hat. Zwar ist mit der Produktion 1990 Schluss, doch bleibt „Superfest“ bei Sammlern begehrt und taucht bis heute immer wieder auf
Was im VEB Sachsenglas bis 1990 produziert wurde, gehört in manch alteingesessenem ostdeutschen Lokal nach wie vor zum Inventar
Fotos: Eugen Nosko/Deutsche Fotothek, Günter Höhne/industrieform-ddr.de (Hintergrund)
Unten wird das Trinkglas etwas schmaler, weiter oben wölbt es sich leicht nach außen. Zeigefinger und Daumen ruhen bequem in einer Rundung. Hatte man es in der Hand, verlieh ihm dieses Design einen fast ikonischen Akzent, verstärkt durch Reflexionen, die entstanden, wenn Licht darauf fiel. Am Rand formten kleine Buchstaben einen Namen: „Superfest“. Verblasst und schwer zu entziffern, kommt es bei den Exemplaren zum Vorschein, die heute noch vorhanden sind. Es ist 34 Jahre her, dass Arbeiter Gläser dieser Machart in Kartons verpackten, damit sie die Fabrik in einer kleinen Stadt im Osten verlassen konnten und an Abnehmer im ganzen Land gingen. Gläser der Marke „Superfest“ gehörten zur Produktion des Volkseigenen Betriebes (VEB) Sachsengl
nglas Schwepnitz zwischen 1980 und 1990. Das Ganze firmierte unter DDR-Konsumgüterproduktion und kam in jener Dekade auf einen Ausstoß von gut 120 Millionen Glaswaren.Hinter „Superfest“ stand ein Designerkollektiv um Paul Bittner, Fritz Keuchel und Tilo Poitz. Sie orientierten sich am sogenannten „Wirteglas“, wie es die ostdeutschen Designer Margarete Jahny und Erich Müller Anfang der 1970er Jahre entwarfen. Trotz des geradezu revolutionär anmutenden Produkts blieb der Name weitgehend unbekannt. Günter Höhne, Experte für Formgestaltung in der DDR, hat dafür die Erklärung: „Niemand kannte die Macher. Es war immer der VEB Sowieso, der etwas produzierte und dem die offizielle Anerkennung zufiel. Kein Mensch wusste, wem ‚Superfest‘ eigentlich zu verdanken ist – abgesehen von eingeweihten Spezialisten und der Fachpresse“, so Höhne, der von 1984 bis 1989 als Chefredakteur der DDR-Zeitschrift für industrielle Formgestaltung form+zweck arbeitete.Der Staat achtete auf Zusammenhalt und Gemeinschaftlichkeit, was dazu führte, dass kollektives Arbeiten über dem Können des Einzelnen stand. So seien die hervorragendsten Formgestalter der DDR für die Verbraucher anonym geblieben. Höhne, inzwischen 80 Jahre alt, gießt Mineralwasser in zwei „Superfest“-Gläser der 25-Zentiliter-Version. Der Gastgeber hat sie unabhängig vom Gesprächsthema auf den Tisch gebracht. Beim Ehepaar Höhne in Berlin-Pankow zählt „Superfest“ zum Alltag. Ostdeutsche Einrichtungsklassiker füllen die Wohnung. Am Esstisch taucht Ernst Moeckls bekannter Z-Stuhl auf, vom skandinavischen Formgestalter Werner Panton inspiriert. Auf einem Wandgestell stehen Tassen und Kannen der Porzellanserie „Rationell“, Geschirr, das nicht nur in Kantinen und Hotels verwendet wurde, auch in den Speisewagen der Deutschen Reichsbahn. Anregend illustrierte Bände über die bedeutendsten Industrieprodukte aus DDR-Zeiten reihen sich in den Regalen, dazu Lampen und Uhren im Design der 1960er und 1970er. Im Küchenschrank und einer Vitrine finden sich „Superfest“-Gläser aller Art. Die Serie bestand aus Sekt-, Wodka- und Weinbrand-Konfigurationen wie drei Varianten für Biergläser. Ein raffinierter ästhetischer Anspruch ist allen Versionen eigen, aber nicht der einzige Vorzug.Die Bruchfestigkeit der „Superfest“-GläserEine von DDR-Forschern einst entwickelte chemische Technologie verlieh „Superfest“ eine Bruchfestigkeit, die bis zu 15-mal höher ist als bei gewöhnlichen Gläsern. „Dahinter steckte eine enorme technische Vorarbeit“, meint Höhne und klopft mit dem Finger auf das Glas vor ihm, sodass ein klirrendes Geräusch entsteht. „Die schwächste Stelle ist normalerweise der obere Rand. Aber schauen Sie sich das hier genauer an“, macht er auf einen kaum erkennbaren Knoten aufmerksam. Die kleine Verdickung, die wie ein Schönheitsfehler wirkt, ist eine Erklärung für die hohe Bruchsicherheit von „Superfest“. Günter Höhne: „Ganz am Ende der Produktion wurde der Rand mit einer speziellen Gasflammentechnik geschmolzen und diese leichte Unregelmäßigkeit erzeugt. Dann war das Gefäß fertig und musste nicht wie gewöhnliche Trinkgläser an der Oberseite geschliffen werden. Deshalb kann ein ‚Superfest‘-Glas auch herunterfallen, ohne zu zerbrechen.“Höhne hat mehrere Bücher über Industriedesign in der DDR verfasst, so eine Biografie über Margarete Jahny, eine Patin der „Superfest“-Gläser, die am 25. Mai 2023 hundert Jahre alt geworden wäre. „Meine Frau und ich haben sie gut gekannt. Sie war bescheiden und immer sehr kritisch gegenüber ihrer eigenen Arbeit.“ Zusammen mit der Gruppe von Designern, Technikern und Chemikern, die hinter „Superfest“ stand, band sich Jahny an eine Tradition der Glasproduktion in der Lausitz, die ihre Wurzeln im Bauhaus hatte.Nach dem Abschluss an der berühmten Hochschule für Gestaltung und Architektur hatte 1935 Wilhelm Wagenfeld die künstlerische Leitung der Vereinigten Lausitzer Glaswerke übernommen. Zu jener Zeit war er bereits als Schöpfer der berühmten Bauhausleuchte MT 9 als einer der geschicktesten Glasgestalter Deutschlands bekannt. Wagenfeld brachte die Architekten Ernst Neufert und Emil Lange mit, die Bauten der Glasindustrie in einem funktionalistischen Stil entwarfen. Ein halbes Jahrhundert später half ihre Kreativität, Marken wie „Superfest“ zu begründen.Schrotthändler ante portasDerzeit sind die langlebigen Gläser nur noch gebraucht zu kaufen. Seit dem Ende der DDR werden sie nicht mehr hergestellt, doch können Gäste in alteingesessenen ostdeutschen Lokalen bis heute das Glück haben, Bier in ihnen ausgeschenkt zu bekommen. Außerdem sind die Gläser mittlerweile begehrte Sammlerstücke, die im Internet zu respektablen Preisen gehandelt werden. Geschichte und Gestaltung machen sie nicht nur für Kenner begehrenswert. In einer Zeit, in der nachhaltiges und umweltfreundliches Design wichtiger wird, kann „Superfest“ einen magischen Stellenwert beanspruchen. Die lange Lebensdauer eines solchen Gebrauchswertes hilft, Rohstoffe und Energie zu sparen. Warum also nicht jene Art der Herstellung von Trinkgläsern wieder einführen? Wegen einiger Nachteile des Produkts? Weil sich das schlichte, funktionale Outfit des Glases nicht für Verzierungen eignet? Tatsächlich kann es der Vorliebe deutscher Biertrinker für Goldornamente, Brauerei-Label und aufgedruckte Wappen mit Löwen, Drachen oder Adlern wie in Bayern kaum gerecht werden. „Barocke Verzierungen auf einem ‚Superfest‘-Glas, das funktioniert einfach nicht“, so Günter Höhne. „Dies würde dem Design Gewalt antun. Goldrand, das verbietet sich.“ Erschwerend für eine Renaissance wirkt die verbreitete Gepflogenheit, Produkte aus der DDR und deren Design als minderwertig abzuqualifizieren. Diesem Vorurteil begegne er oft, meint Höhne, der seit 1990 nicht nur Bücher geschrieben, sondern auch die Website industrieform-ddr.de aufgebaut hat.So sehr sich die Verkaufsabteilung der Glashütte in Schwepnitz 1990 auch mühte, den Absatz in den Westen Deutschlands zu lenken, so wenig Erfolg war ihr beschieden. Potenzielle Kunden etwa in der Gastronomie reagierten abweisend. Dort habe niemand etwas mit „Superfest“ zu tun haben wollen, erinnert sich Höhne. Doch eine Frage der Qualität? Ganz im Gegenteil. „Händler, die nach den Regeln des Marktes spielen, leben davon, dass Gläser zerbrechen, damit sie mehr verkaufen können. Ein Glas, das nicht zerbricht, bedroht ihren Gewinn. Es hat sich herausgestellt, dass ‚Superfest‘ nicht für den Markt geeignet ist. Die Gläser sind zu gut für reines Marktdenken.“ Der Übergang von der Planwirtschaft zum Kapitalismus hat die Glasindustrie in der Lausitz hart getroffen. Wie viele andere Unternehmen musste auch der VEB Sachsenglas Schwepnitz im Jahr des Beitritts der DDR zur BRD aufgeben. Hunderte von Mitarbeitern erhielten die Kündigung. Schrotthändler holten Schmelzformen, Anlagen und Maschinen ab.So gesehen zeigt die Geschichte von „Superfest“ auch, was geschieht, wenn zwei höchst unterschiedliche Gesellschaftssysteme aufeinanderstoßen. Dabei würden gegenwärtig populäre Werte wie Ressourcenschonung und Umweltfreundlichkeit nahelegen, die Produktion extrem haltbarer Gläser der Marke „Superfest“ wieder anzugehen. „Die Anlagen und die Infrastruktur müssten freilich neu aufgebaut werden“, sagt Günter Höhne und leert mit einem großen Schluck sein Glas.
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