Ante portas

Genua Es war kein Zufall, dass die entfesselte Staatsgewalt sich ausgerechnet auf italienischem Boden austobte

Genua ist nicht überall. Der entfesselte Staatsterror war - zum jetzigen Zeitpunkt und in diesem Ausmaß - so nur in Italien möglich. Und das nicht, weil dort seit Berlusconis Amtsantritt der Faschismus an der Macht wäre. Von einem faschistischen Regime in Italien kann derzeit ernsthaft keine Rede sein. Allerdings könnte, ohne massive demokratische Gegenwehr, Genua zum Beginn einer Entwicklung werden, die zum Faschismus hinführt.

Die politische Entscheidung, in Genua »hart durchzugreifen«, wurde von der Polizei dankbar aufgegriffen. Es waren keineswegs nur die Spezialisten für »Aufstandsbekämpfung«, die sich durch besondere Brutalität auszeichneten, sondern auch Beamte der Guardia di Finanza (Finanzpolizei), der Polizia und der Carabinieri - keineswegs bloße Befehlsempfänger, sondern eifrige und voll verantwortliche Täter. Dass sich in der Polizei, insbesondere bei den Carabinieri und in den Geheimdiensten, neofaschistische Kader und Sympathisanten tummeln, ist kein Geheimnis. Auch in den vergleichsweise mageren Jahren zwischen 1946 und 1992 hatte die neofaschistische Partei MSI, die bei Wahlen kaum über fünf Prozent kam, in Polizei und Armee ihre stärksten Bastionen. In einzelnen Kasernen erzielte sie Traumergebnisse von über 90 Prozent. Die Zusammenarbeit von Staatsdienern und rechten Terroristen ist spätestens seit dem als »Staatsmassaker« in die Geschichte eingegangenen Bombenanschlag von Mailand (Dezember 1969: 16 Tote) aktenkundig. Hinzu kommt die Verwicklung hochrangiger Polizisten in klassische rechte Putschvorbereitungen. Der prominenteste Verschwörer war der Carabinieri-General Giovanni De Lorenzo, dessen Umsturzplan 1964 aufgedeckt wurde. De Lorenzo blieb straffrei und beendete seine Karriere als MSI-Abgeordneter. Eine Entfaschisierung von Polizei und Geheimdiensten hat es bis heute nicht gegeben, deren demokratische Kontrolle durch Parlament und Öffentlichkeit scheint in Italien noch weniger durchsetzbar als in anderen europäischen Ländern.

Nicht nur spezialisierte Elitetruppen, auch maßgebliche Teile der Carabinieri sind in hohem Maße politisiert. Zum Feindbild gehört alles, was entfernt mit Aufruhr und Kommunismus zu tun haben könnte. Die Hochrufe auf Pinochet und Mussolini während der Misshandlung von Gefangenen und die von diversen Augenzeugen belegten »Siegesfeiern« nach der Schlacht von Genua - sind das keine Belege für ein faschistoides bis offen faschistisches Weltbild?

Scharfmacher mit Oberwasser

Viel zu wenig beachtet wurde bisher, dass neben den zuständigen Ministern für Inneres und für Justiz, Scajola und Castelli, ein weiteres Regierungsmitglied die Polizei bei ihrer blutigen Arbeit »unterstützte«: Der stellvertretende Ministerpräsident Gianfranco Fini, Sekretär der neofaschistischen Partei Alleanza Nazionale, hatte zusammen mit einigen Vertrauten direkt im operativen Zentrum der Polizei Quartier bezogen. Mit welchem Auftrag er dort war und was er dort tat, ist bis heute unklar geblieben. Die Vermutung liegt nahe, dass er vor Ort die Einhaltung der politischen Generallinie überwachte und der Polizeiführung etwaige noch verbliebene Skrupel ausredete. Fini war auch der Rammbock, der sich nach dem 20. Juli der internationalen Kritik entgegenstellte. Während Berlusconi Ausflüchte suchte (die überforderten Polizeiführer seien noch von der Mitte-Links-Regierung eingesetzt worden), wich Fini keinen Zentimeter zurück.

Nach Genua haben die Scharfmacher Oberwasser. Neben Gianfranco Fini war es vor allem Umberto Bossi, der Anführer der Lega Nord, der die von internationaler Kritik bedrängte Rechtsregierung aus der Defensive zu reden versuchte. Ohne auch nur ein einziges Indiz nennen zu können, lastete er den Bombenanschlag auf das Gericht von Venedig am 9. August Teilen der Geheimdienste an, die »mit der Linken verbündet seien«. Ihr Kalkül sei es gewesen, mittels Terror Bedingungen für eine Regierung der »nationalen Solidarität« zu schaffen - eine Anspielung auf die siebziger Jahre, als die kommunistische Partei, PCI, in eine informelle große Koalition mit der Christdemokratie eingebunden war. Tatsächlich haben Teile der parlamentarischen Opposition sich nach der Bombe von Venedig demonstrativ auf die Regierung zu bewegt - namentlich der linksdemokratische Fraktionsvorsitzende Luciano Violante, der schon direkt nach Genua mit einer Ehrenrettung für die »diffamierten« Sicherheitskräfte aufgefallen war.

Die wirkliche Opposition findet auf der Straße statt. Ihr gilt auch offenbar die Bombe von Venedig. Das Bekennerschreiben der Nuclei territoriali antiimperialisti hält der ermittelnde Staatsanwalt Felice Casson für nicht überzeugend, zumal die rechte Falange armata ebenfalls die Bombe für sich reklamierte. Eine weitere Spur führt in den Bereich der organisierten Kriminalität und scheint nach ersten Ermittlungen besonders plausibel: Demnach hätte eine polizeibekannte Bande von Waffenhändlern die Bombe gezündet, um den beginnenden Prozess gegen zehn Kumpane zu beeinflussen. Was, wenn es stimmt, die Frage aufwirft, wer denn für die gefälschten Bekennerschreiben verantwortlich ist. Auch die Bombe gegen das Büro der Lega Nord in Vigonza (Venetien) ist nicht so eindeutig zuzuordnen, wie es die Auswahl des Ziels nahe legt.

Strategie der Spannung

Für die rechte Presse und auch für einige Vertreter der Justiz können die Bombenleger in beiden Fällen nur aus der extremen Linken kommen. Es passt doch - scheinbar - alles so schön zusammen: »Das Bekennerschreiben der Anti-Imperialisten ist glaubwürdig, weil es sich auf die Thematik des G8-Gipfels bezieht, die das Schlachtross der neuen Subversion sein wird«, erklärte der venezianische Richter Mastelloni. Es passt tatsächlich, aber augenscheinlich zu gut: Denn dass breite linke Oppositionsbewegungen alsbald von Bombenanschlägen begleitet werden, ist in Italien Teil der politischen Tradition - einer Tradition von Staatsterror und Faschismus. Seit 1969, dem »heißen Herbst« der rebellierenden Arbeiter und Studenten, wird diese rechtsterroristische Kriegführung gegen die Linke »Strategie der Spannung« (strategia della tensione) genannt. Im Unterschied zu damals sitzen heute die Neofaschisten mit in der Regierung.

Ihre politischen Bündnispartner und ihre Sympathisanten in den Medien tun derweil alles, um die opferreichen »bleiernen Jahre« seit 1969 in eine Verbrechensgeschichte der Linken umzufälschen, vor deren Wiederholung sie eindringlich warnen. Im Vertrauen auf das kurze Gedächtnis des Publikums definiert etwa der päpstliche Osservatore Romano den bislang eindeutig mit rechtem Terror assoziierten Begriff »Strategie der Spannung« einfach um: Die Aktionen der »Stadtguerilla« von Genua - das sei eine Neuauflage dieser Strategie.

Hinzu kommen ständig wiederkehrende - und fast immer als Drohung gemeinte - Anspielungen auf einen bevorstehenden »heißen Herbst«, womöglich mit weiteren toten Demonstranten. Die Polizei spielt zwar einerseits die Rolle der verfolgten Unschuld, signalisiert aber gleichzeitig ungebrochenen Kampfeswillen. Insbesondere die Spitzenfunktionäre der Polizeigewerkschaften wetteifern um martialische Formulierungen.

Dabei handelt es sich keineswegs nur um Rhetorik, vielmehr sind diese Formulierungen Ausdruck zielgerichteter Politik, die auch schon greifbare Erfolge errungen hat. Aus der regierenden Mitte-Rechts-Koalition kommen unzählige Bekenntnisse zur Polizei, auch von Leuten, die - wie die Forza-Italia-Minister Frattini und Pisanu - bislang zu den »Gemäßigten« gezählt wurden. Berlusconi, der als Unternehmer-Politiker stets den größtmöglichen Gewinn einfahren will, hat sich ebenfalls festgelegt und mehrere symbolträchtige Treffen mit hohen Polizeiführern absolviert, u.a. mit Oscar Fioriolli, dem neuen Polizeipräsidenten von Genua, der kurz nach seiner Ernennung eine persönliche Offensive startete: Die »Falschmeldungen« diverser Presseorgane über angebliche Verfehlungen der Polizei hätten das Image der Institutionen beschädigt; das dürfe sich nicht wiederholen. Die Provokation hat einen positiven Nebeneffekt, weil sie klare Fronten schafft: Diese Regierung sagt nicht nur denen offen den Kampf an, die auf der Straße für ihre Rechte demonstrieren. Auch die guten Demokraten der linken Mitte werden sich künftig nicht herausreden können, man habe doch nicht ahnen können, wohin das alles führen würde.

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