Führer im Fall

Italien Silvio Berlusconi spielt auf Zeit, aber sein Abgang als Regierungschef ist absehbar

Zu Wochenanfang lief alles nach dem bekannten Schema: Der Rückzug der christdemokratischen UDC und des "sozialistischen" Nuovo PSI aus der Regierung Berlusconi macht den Weg frei für eine Regierung Berlusconi 2 - mit Beteiligung von UDC und Nuovo PSI. Den formellen Rücktritt - Voraussetzung für dieses Manöver - hat der Premier dann allerdings überraschend verweigert. So erscheinen Neuwahlen immer wahrscheinlicher. Die aber galten bisher - durchaus realistisch - für die herrschende Koalition als "selbstmörderisch".

Auch wenn sich Silvio Berlusconi und seine christdemokratischen Partner noch einmal einigen, eine dann erfolgende Regierungsumbildung wäre etwas ganz anderes als eines jener Manöver, wie sie aus den Zeiten christdemokratischer Hegemonie in Erinnerung sind und allein Giulio Andreotti in 20 Jahren sieben Mal das Amt des Ministerpräsidenten bescherten.

Die derzeitigen Turbulenzen resultieren aus der Schwäche der Koalition, die bei den jüngsten Regionalwahlen (s. Freitag 14/05) offenbar wurde: In nur zwei von 14 Regionen konnte sich der Rechtsblock durchsetzen; hochgerechnet auf die nationale Ebene ergab sich ein Stimmenverhältnis von 52 zu 46 Prozent für Mitte-Links. An diesem Kräfteverhältnis wird sich so schnell nichts ändern. Es ist das Ergebnis einer zuverlässig wachsenden Enttäuschung über Berlusconis uneingelöste Versprechen: So hatte er sich 2001 vor laufenden Kameras in einem "Vertrag mit den Italienern" verpflichtet, 1,5 Millionen neue Arbeitsplätze zu schaffen, Steuern zu senken und einen garantierten Mindestlohn einzuführen. Jetzt erkennen viele, die dieses Theater damals für Politik hielten, dass sie hereingelegt wurden. Mit Floskeln von einer "Neuausrichtung" der Wirtschaftspolitik und der Auswechslung einiger Minister wird nicht mehr viel zu gewinnen sein. Während Berlusconis Sieger-Image - trotz Face-Lifting und Haar-Transplantation - immer mehr schwindet, nehmen seine christdemokratischen Partner für sich in Anspruch, durch ihren "Mut" den übermächtigen Chef unter Druck gesetzt zu haben, natürlich "zum Wohle Italiens". Das könnte sich bei den spätestens im Frühjahr 2006 fälligen Parlamentswahlen für sie auszahlen und neue Bündniskonstellationen ermöglichen. Berlusconis Ende als Regierungschef scheint auf jeden Fall absehbar. Ob er - wie zu hoffen ist - vom Mitte-Links-Bündnis unter Einschluss von Rifondazione Comunista abgelöst wird, ist noch offen.

Die jetzige Regierungskrise hat die politischen Widersprüche innerhalb des Rechtsblocks aufbrechen lassen. Dort finden sich Nationalisten und Separatisten, Staatsfetischisten und Ultra-Liberale, katholische Fundamentalisten und Mussolini-Bewunderer - und jede Menge Provinzfürsten, die für die eigene Klientel möglichst viel herausholen wollen. Berlusconi wird augenblicklich nur noch von Umberto Bossi und dessen Lega Nord vorbehaltlos unterstützt, während Vizepremier und Außenminister Gianfranco Fini von der neofaschistischen Alleanza Nazionale mit Loyalitätsadressen betont sparsam umgeht. Er spürt innerparteilich den Druck von Hardlinern, die sein Taktieren seit jeher mit Widerwillen betrachten. Finis Traum, Berlusconi als Regierungschef zu beerben, dürfte bis auf weiteres ein Traum bleiben.

Dessen Straucheln ist auch für das übrige Europa ein gutes Zeichen, weil die Retortenpartei Forza Italia mit in den Abwärtssog geraten ist. Bei ihrer Taufe 1994 war sie auch von so genannten kritischen Parteienforschern als den traditionellen "Volksparteien" überlegenes Zukunftsmodell hofiert worden: eine von der hauseigenen Werbeagentur Publitalia dirigierte Firma ohne schwerfälligen Apparat, dafür mit attraktiven Kandidaten, die vor allem fernsehtauglich sein mussten. Über allem strahlte der Konzernchef und große Kommunikator Berlusconi. In der Stunde der Not zeigt sich nun, dass der einstige Erfinder der "Partei des Präsidenten" ein "Präsident ohne Partei" ist, wie der renommierte Politologe Ilvo Diamanti formuliert. Sein Hinweis, dass Verankerung in der Gesellschaft zu den notwendigen Bedingungen dauerhaften politischen Erfolges gehört, mag auch für die Linke tröstlich sein. Wenn ein Produkt einmal als mangelhaft erkannt wurde, nützt auch die raffinierteste Werbekampagne nichts mehr - Medienmacht ist doch nicht alles.

Das bleibt auch den im politischen Marketing geschulten Funktionären von Forza Italia nicht verborgen, die sich von der Sorge um die eigene Karriere getrieben fühlen. Ihre Devise sei "Rette sich, wer kann", schrieb die Tageszeitung La Repubblica - und brachte die in der Partei vorherrschende Stimmung auf den Begriff: "Titanic-Syndrom".


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