Die Ankündigung die italienischen Premiers, den G8-Gipfel Anfang Juli von der Insel La Maddalena in die vom Erdbeben verwüstete Stadt L’Aquila zu verlegen, war gewiss kein letzter Versuch, aus der Katastrophe politisches Kapital zu schlagen. Die Bilanz des Schreckens – fast 300 Tote, Tausende Verletzte und Traumatisierte, 60.000 Obdachlose – bringt Berlusconi nicht aus dem Gleichgewicht. Er tritt auf wie immer: selbstsicher und gelassen, ein Mann der Tat, der hoffnungsvoll in die Zukunft schaut und andere mit seinem Optimismus anzustecken versteht. Wer kein Haus mehr hat und erst einmal im Zelt wohnen muss, solle das „wie ein Camping-Wochenende“ nehmen, riet er. Dass die Geschädigten diesen unerträglichen Zynismus hinnehmen, weil sie auf den Retter in der Not hoffen, ist menschlich verständlich – dass der vermeintliche Retter diese menschliche Schwäche für eigene Zwecke ausnutzt, ist schamlos.
Schwamm drüber
Nur zwei Jahre soll der Wiederaufbau in den Abruzzen dauern. Da darf keine Zeit verloren werden mit „überflüssigen“ Nachforschungen, warum selbst neuere Bauten bei dem Beben am 6. April in sich zusammenstürzten, findet Berlusconi. Zumal nicht einmal klar sei, ob es überhaupt irgendwelche Verstöße gegen Bauvorschriften gegeben habe. Alle unabhängigen Experten sind vom Gegenteil überzeugt. In jedem Fall steht fest, dass die zuständigen Behörden nur in den seltensten Fällen die Einhaltung der zuletzt verschärften Vorschriften auch wirklich kontrolliert haben. Diese Unterlassungen aufzuklären und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen, wäre minimale Voraussetzung dafür, dass die gleichen Fehler nicht noch einmal begangen werden. Die von Berlusconi propagierte Politik des „Schwamm drüber“ würde diejenigen Baufirmen, die aus Profitgründen gegen Sicherheitsstandards verstoßen haben, mit neuen Aufträgen belohnen. Ohne strikte Kontrolle – Kontrolle der Kontrolleure eingeschlossen – wäre die nächste Katastrophe programmiert. In der süditalienischen Baubranche sind die Grenzen zwischen „normalem“ Profitstreben und organisierter Kriminalität fließend: Dass die von Rom für den Wiederaufbau der Region bewilligten 12 Milliarden Euro die Mafia-Clans auf den Plan rufen, ist so sicher wie Berlusconis nächste verbale Entgleisung.
Schon in der Vergangenheit sind große Teile der nach Erdbeben bereit gestellten staatlichen Gelder in dunklen Kanälen versickert. „Irpiniagate“ ist der bis heute geläufige Name für den Korruptionsskandal nach dem schweren Beben in der Irpinia-Gebirgskette im November 1980: Damals kamen in den süditalienischen Regionen Campania und Basilicata 2.914 Menschen ums Leben, 300.000 wurden obdachlos. Von den in- und ausländischen Hilfsgeldern kam schätzungsweise nur ein Viertel bei den Geschädigten an; Tausende lebten viele Jahre in Behelfsunterkünften, während korrupte Kommunalpolitiker, Bau-Unternehmer und die Camorra sich die Taschen füllten. Der prominenteste der im Zusammenhang mit „Irpiniagate“ unter Verdacht geratene Politiker war der aus der betroffenen Region stammende Christdemokrat Ciriaco De Mita, Italiens Premier 1988/89. Für De Mita allerdings saßen die wahren Schurken in Neapel: Die dortige Regionalregierung und die Camorra seien Schuld an der Veruntreuung der Gelder.
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