Vor 25 Jahren hat sich mein Vater von seinem täglichen Frühstücks-Ei verabschiedet. Er begrub sein morgendliches Ritual, das viel mehr war, als dem Ei den Kopf abzuschlagen und das Innere in sich hineinzulöffeln. Wie oft hatten wir am Frühstückstisch darüber diskutiert, manchmal sogar hitzig, ob so einem Ei überhaupt der Kopf abgetrennt gehört – oder man es doch lieber pellt? Ob es tatsächlich den Löffel aus Kunststoff brauchte, der an Babybesteck erinnerte?
Die Kardinalfrage aber war: Wie weich muss das Gelbe in einem perfekten Frühstücks-Ei sein? Und wie lang muss es dafür kochen? Regelmäßig tropfte, wenn das Ei doch nicht so wachsweich geraten war, wie die Theorie es vorschrieb, etwas Gelb auf die Krawatte meines Vaters. Was manchmal zu großer Trauer, manchmal nur zu kurzem Bedauern führte. Deshalb verbinde ich das Frühstücks-Ei heute nicht nur mit den ersten kulinarischen Debatten, sondern auch mit meinen ersten Schritten in den Bereich Mann und Mode.
Doch von dem einen auf den anderen Tag war abrupt Schluss damit. Warum?, fragte ich irritiert. Die Begründung bestand aus einem Wort: Cholesterin. Mein Vater machte sich Sorgen um seinen Blutdruck und den kommenden Herzinfarkt.
Ich habe an dieses Erlebnis wieder denken müssen, als ich vor ein paar Wochen las, dass amerikanische Ernährungsspezialisten eine radikale Kehrtwende eingeleitet haben. In den offiziellen Ernährungsratschlägen des Landes wurde US-Bürgern bislang empfohlen, weniger als 300 Milligramm Cholesterin zu sich zu nehmen, was schon den Konsum eines täglichen Frühstücks-Eis problematisch machte. Nun sagen die Experten – und sie berufen sich dabei auf eine Vielzahl von Studien –, es gebe keinen nennenswerten Zusammenhang zwischen dem Cholesterin in Lebensmitteln und dem Cholesterinspiegel im Blut. Ihre Schlussfolgerung: „Cholesterin soll nicht mehr als bedenklicher Nährstoff gelten.“ Kurzum: Eier sind ungefährlich.
Spiegeleier auf dem Cover
Jemand, der mit dem täglichen Frühstücks-Ei aufgewachsen ist, wundert sich, dass so eine Nachricht am nächsten Tag nicht auf sämtlichen Titelseiten platziert ist. Denn wer soll dann noch kommen, um mit dem Cholesterin aufzuräumen: die WHO? Der Papst? Es würde wahrscheinlich wenig nützen. Der Mythos lebt. Und wie es bei Gerüchten meist der Fall ist: Irgendetwas Wahres wird schon daran sein.
Die Sache mit dem Cholesterin ist deshalb so interessant, weil dieser Nahrungsbaustein einen Zeitenwechsel eingeleitet hat. 1984 widmete das US-Magazin Time C27H46O erstmals eine Titelgeschichte. Auf dem Cover waren zwei Spiegeleier und ein Stück krossen Specks zu einem traurigen Gesicht angeordnet. Der zugehörige Artikel behauptete: „Cholesterin ist nachweislich tödlich, und unsere Ernährung wird vielleicht nie wieder dieselbe sein.“
Das war in einem Punkt prophetisch. Auf einmal hatte man einen Alleinschuldigen für eine der größten Zivilisationskrankheiten des späten 20. Jahrhunderts gefunden, den Herzinfarkt. Erstmals nistete sich breit, bis in die Arztpraxen der ganz normalen Schulmedizin, die Erkenntnis ein: Essen kann ungesund sein, kann krank machen, sogar, wenn es ganz natürlich ist. Die Ernährung änderte sich, vor allem aber wurde unser Denken über Ernährung ein anderes. Zucker, Fette, Kohlehydrate, Gluten, Laktose, Glutamat – all das und noch viel mehr ist seitdem immer wieder in Verruf geraten und an den Pranger gestellt worden, so wie es einst das Time-Magazin vorgemacht hat.
Das isst man heute so: Der Koch-Automat
Sein Name ist Thermomix. Mitunter wird er auch liebevoll-verniedlichend „Thermimaus“ genannt. Gemeint ist damit das derzeit beliebteste Küchengerät hierzulande, verehrt von vielen Hausfrauen auf Youtube. Es kostet 1.100 Euro, vertrieben wird es über eigene Verkaufspartys. Der Thermomix kann wiegen, hacken, schnitzeln, mahlen, rühren, schlagen, kochen und dämpfen – und das alles mit Zeitstopp. Das bedeutet ganz konkret: Kochen auf Knopfdruck. Die digitale Datenverarbeitung erobert so auch die Küche. Über sogenannte Rezept-Chips lassen sich ganze Kochbücher einlesen, das Gerät gibt dann nur noch Anweisungen, welche Zutat wann hinzugefügt werden muss, und erledigt den Rest auf Druck der Enter-Taste. Ein Rezept für Sauce bolognese fängt etwa so an: Röstgemüse bei Stufe 7 fünf Sekunden zerkleinern, anschließend 40 Gramm Öl hinzufügen, fünf Minuten auf „Varoma-Stufe“ garen. Nach dem Kochen kann fast das ganze Gerät in der Spülmaschine verschwinden, die Küche und die Hände bleiben vorbildlich sauber. Die Zeit fürs Kochen hält so sogar der Anfänger leicht unter Kontrolle. Nur: Ist das überhaupt noch Kochen?
Man kann daher sagen, dass Cholesterin der Anfang war. Der Anfang des Denkens, dass mit Nahrung nicht zu spaßen ist. Eine Haltung, die heutzutage täglich gefüttert wird mit positiven wie negativen Meldungen, mit Studien und Gegenstudien, mit Skandalgeschichten. Seit 1985 ist selten ein Jahr ohne ausgekommen: Glykolwein, BSE, Gammelfleisch, Dioxin in Eiern, EHEC, Pferdefleisch-Bolognese, falsch deklarierte Bioprodukte, um mal nur die wichtigsten Beispiele aus Deutschland zu nennen.
Auf der anderen Seite werden mit dem „richtigen“ Essen Heilsbotschaften verbunden. Erdbeeren verhindern Krebs, Nüsse den Herzinfarkt, Lachs und Sardinen Schlaganfall und Depressionen. Solche Meldungen, obwohl meist vom gleichen Kaliber, werden mit höherer Ernsthaftigkeit konsumiert als jedes Tageshoroskop. Nicht auszudenken, was noch auf uns zukommt. Die Schulmedizin entdeckt gerade den Verdauungsapparat als völlig unerforschtes Gelände, schon wird der Darm mit Charme – so der Titel eines aktuellen Sachbuchbestsellers – zum körpereigenen Doktor gemacht. Da sind der Selbstmedikamentierung bald keine Grenzen mehr gesetzt. Wie soll man diese hypertrophe Beschäftigung mit dem Thema Nahrung erklären?
Dreißig Jahre nachdem das Cholesterin zum Feind erklärt wurde, leben wir in einer Zeit der totalen Nahrungsverunsicherung. Das ist paradox. Denn sollten wir in Zeiten der Demokratisierung des Wissens und der Digitalisierung nicht viel besser Bescheid wissen und eigentlich souveräner sein? Nein, die Google-Abfrage liefert einfach nur immer mehr Risiken und Nebenwirkungen. Hinzu kommt: In der Ära des Selfies ist der Teller auf dem Tisch oder der Inhalt des Kühlschranks stärker als je zuvor Mittel zur Selbstdarstellung geworden. Fotos davon im Netz sollen meist demonstrieren: Ich bin überlegt, ich bin kultiviert, ich bin politisch.
Das isst man heute so: Kuratiertes Essen
„HelloFresh“, „Kochzauber“ oder „MarleySpoon“ heißen die neuen Lieferdienste, die nach Rezept genau abgemessene Zutaten liefern. Sie sind gerade der Liebling von Venture-Kapitalisten und Business-Engeln. Nach hoffnungsvollen Anfängen in Skandinavien und Großbritannien wird momentan ausgiebig der deutsche Markt getestet. Die Vision: Der Kunde entwirft den Essensplan für seine Woche, und alle Zutaten werden ihm exakt portioniert an die Haustür gebracht. Es bleiben keine Reste, Vorratshaltung wird unnötig. Das ist Just-in-time-Versorgung privater Haushalte, die Macher sehen sich aber lieber als Essens-Kuratoren. Bei „DailyKitchen“ sind die Zutaten sogar vorgeputzt, geschnitten oder mariniert, also kochfertig. Außerdem gibt es noch spezielle Angebote für Veganer, Vegetarier oder Menschen mit Nahrungsunverträglichkeiten – bis hin zur „kindgerechten Küche“.
Aus heutiger Sicht handelte es sich um vergleichsweise naive Zeiten, als noch wegen der allgemeinen Auffassung, Ernährung könnte dick machen, schlicht eine Diät nach der anderen Konjunktur hatte. „Der Mensch ist, was er isst“, hat der Anthropologe und Philosoph Ludwig Feuerbach 1850 bemerkt. Und heute wird richtig ernst damit gemacht. Das Essen ist zum Feld der Sinnstiftung geworden, egal ob Gesundheit, Moral, Identität oder Weltverbesserung. Und niemand schreit Halt, wenn Hysteriker, Radikale, Ideologen und Quacksalber die Löffel von Hand zu Hand reichen.
Der Diätberater ist vom Puritaner abgelöst worden, der Verzicht von der Enthaltsamkeit. Essen heißt heute für viele Menschen sündigen. Gegen den eigenen Körper, die Volksgesundheit, die Umwelt, das Klima, die Dritte Welt oder das globale Tierwohl. Wir blicken lustfeindlich auf unsere Nahrung, stellen alles unter Generalverdacht. Es ist Zeit, die Frage zu stellen, was eigentlich schlimmer ist: die Nahrungsmittelindustrie oder die Ernährungsfundamentalisten, die unsere Verunsicherung ausnutzen?
Da treten neuerdings die Vertreter der Paleo-Ernährung auf den Plan. „Essen wie die Neandertaler“ ist ihr Credo. Es ist eine radikale Gegenbewegung zu allem, was Landwirtschaft und Nahrungsindustrie hervorgebracht haben. Wir sollen uns wieder wie Jäger und Sammler ernähren: viel Fleisch, viel Fisch, viele Schalentiere, Nüsse, Kräuter, Früchte und Pilze. Was vom Acker und aus dem Stall kommt, also Brot und Milchprodukten wird abgelehnt. Wer Studentenfutter mit Steak mag, für den ist Paleo genau das Richtige.
Eiferer und Rechthaber
Am missionarischsten sind aber die Veganisten, diese Bewegung hat sich das Anhängsel „-ismus“ wirklich redlich verdient. Sie ist längst über Ernährungsfragen hiaus gewachsen, mischt sich in die Impf-Debatte ein, weil Antikörper gegen Masern nicht tierfrei sind. Oder applaudiert, wenn ein Bauer von seinem Bullen zu Tode getrampelt wird. Auf den ersten Blick haben Veganer sogar alle Argumente auf ihrer Seite: Wer möchte, dass der kategorische Imperativ auch für die Ernährung und den Umgang mit allen Mitlebewesen gilt, wer seine Lebensbilanz danach ziehen will, welche Kollateralschäden seine Lebensweise bewirkt hat, der muss Veganer werden.
Das isst man heute so: Zurück in die Höhlen
Fleisch isst die menschliche Spezies seit 2,5 Millionen Jahren, Ackerpflanzen erst seit etwa acht Jahrtausenden. Stellt sich die Frage: Sind unsere Körper überhaupt an die Lebensmittel von heute angepasst? Viele Anhänger der Paleo-Ernährung sagen Nein und versuchen sich wie Steinzeit-Menschen zu ernähren: am besten nur Wild, Früchte, Kräuter und Pilze. Das Problem: Ob der Mensch sich damals tatsächlich so ernährte, weiß niemand. Viel wahrscheinlicher ist, dass die Paleo-Anhänger nur heutige Vorstellungen auf längst vergangene Zeiten projizieren. Selbst Ötzi lebte nämlich schon in einer von Landwirtschaft geprägten Gesellschaft. Außerdem haben sich auch die Lebensmittel seitdem, nun ja, leicht verändert. In jedem Fall hat man aber eine tolle Geschichte zu erzählen, bevölkert von Mammuts und Säbelzahntigern, wenn man sich frei von Gluten, Laktose und Zucker ernähren will. Und kohlehydratarm ist die Paleo-Diät natürlich auch.
Interessant ist aber: Das Wissen um die intellektuelle Vorherrschaft macht Veganer nicht gelassen, ganz im Gegenteil. Denn natürlich ist es gut, wenn wir weniger Fleisch essen, der Trend ist sogar messbar. Doch die Zahl der Eiferer, Rechthaber und Weltverbesserer nimmt deswegen nicht ab, im Gegenteil. Vielleicht weil die Bewegung spürt, dass allein über Rationalität die Angelegenheit nicht zu schaukeln ist?
Der Kampf ums Essen führt inzwischen immer stärker dazu, dass sich Menschen ganz von der Materie abwenden. Man könnte das als das Soylent-Syndrom bezeichnen, abgeleitet von dem Namen eines Ernährungsdrinks, den der Programmierer Rob Rhinehart entworfen hat. Ihn nervte es, essen zu müssen. Und er sah auch nicht ein, warum er immer Unterschiedliches auf seinem Teller haben sollte. Die Qual der Wahl löste er daher mit einem Universal-Shake, den er sich anhand von ein paar Ratgebern zusammenstellte, in denen er nachlas, welche Nährstoffe sein Körper braucht.
Das isst man heute so: Gerichte als Botschafter
Es begann als ein Experiment: 2010 eröffnete der Künstler Jon Rubin in Pittsburgh im US-Bundesstaat Pennsylvania einen Imbiss namens „Conflict Kitchen“. Das Lokal bietet Essen aus Nationen an, mit denen sich die USA in einem Konflikt befinden. Halbjährlich wird das Land gewechselt. Das gastronomische Angebot wird von Informationsveranstaltungen und Podiumsveranstaltungen begleitet. Bisher gab es Essen aus Iran, Afghanistan, Kuba, Nordkorea und Venezuela, aktuell stehen palästinensische Gerichte auf der Speisekarte des Take-away-Restaurants.
„Conflict Kitchen“ ist sicher das weitreichendste Beispiel einer weltweiten kulinarischen Bewegung zur Völkerverständigung, die gerade stark wächst. „Welcome Dinner“ heißt es meist, wenn Flüchtlinge und Migranten mit Einheimischen an einen Tisch gebracht werden. Hier wird nicht irgendwas gegessen, sondern ganz bewusst Gerichte aus den Herkunftsländern der Vertriebenen. Die Idee folgt dem Gedanken, dass auch, wer alles aufgegeben hat, um ausreisen zu können, Rezepte und Küchentraditionen seiner Heimat weiter im Gepäck hat. In der Fremde gewinnen sie als Teil der eigenen kulturellen Identität eine große Bedeutung. In Australien, den USA, Großbritannien, inzwischen auch in Deutschland finden immer mehr solcher Veranstaltungen statt. Es geht um gutes Essen, ja, aber vor allem geht es um guten Austausch – und feine Tischgespräche.
Es ist natürlich Hacker-Humor, dass sich Rhineharts Pulver dabei auf Soylent Green bezieht, den Science-Fiction-Klassiker von 1973 mit Charlton Heston in der Hauptrolle. Der Film zeigt eine zerstörte Welt mit einem rein kannibalistischen Ernährungssystem. Soylent Green wird in dieser fiktiven Zukunft aus Leichen gewonnen, das Soylent von Bob Rhinehart heute dagegen hat viele Vorzüge von Babymilchpulver: effiziente Rundumversorgung bei voller Kostenkontrolle und wenig Zeitverschwendung. „Was wäre, wenn Sie sich nie wieder Gedanken über das Essen machen müssten?“, fragt ein Video auf der Website seiner Firma, die mit dem Vertrieb des Trockenpulvers, das man auf sein Idealgewicht und seinen Kalorienverbrauch abstimmen kann, längst Gewinn macht.
Stress im Schlaraffenland
Und es ist nicht so, als ob der Rhinehart-Drink nur wieder ein kalifornischer Spleen wäre. Er ist nur das Extrem. In jedem Supermarkt findet man heute „Soylent“, in wesentlich appetitlicherer Form, nämlich als Fertiggericht. Das kulinarische Feld ist so stark vermint, dass sich immer weniger Menschen zutrauen, es noch zu betreten. Das Kochen als Alltagsbeschäftigung bricht damit weg. Nach einer Studie der Marktforscher von der Nürnberger GfK ist die Zahl der Haushalte, in denen täglich warm gekocht wird, zwischen 2007 und 2013 von 75 auf 66 Prozent gesunken, durchschnittlich werden wochentags täglich 29 Minuten für die Essensvorbereitung aufgewendet. Jeder achte Deutsche bekennt offen, keinen Spaß daran zu haben, in der Küche neue Sachen auszuprobieren. Da verkehrt sich der ganze gut gemeinte Missionarseifer ins Gegenteil.
Es ist, als ob wir mit dem Schlaraffenland nicht klarkommen würden. Denn so muss die Welt aus Supermärkten, Fast-Food-Filialen und Gourmetrestaurants jemandem vorkommen, der eine Zeitreise aus früheren Jahrhunderten zu uns machen würde. Überfluss bedeutet aber auch Stress. Rückzug, zunehmende Individualisierung, neue Innerlichkeit, damit antworten viele auf die überbordende Vielfalt der Warenwelt. Nur für die Frage „Was tut mir gut?“ bedeutet das selten einen Schritt nach vorn.
Das isst man heute so: Die Rettung des Fast Food
Fast Food ist das Essen der Moderne. In der Single-Gesellschaft gehört das schnelle Essen auf die Hand einfach mit dazu. Allerdings: Die meisten verbinden mit Fast Food fetttriefende Gerichte ohne Qualität, die kaum schmecken, aber schnell satt machen. Seien es Currywurst, Burger, Pommes oder China-Nudelpfanne. Doch die Branche verändert sich momentan. Bei McDonald’s gehen die Umsätze seit Jahren zurück, Burger King hat zuletzt seinem größten Franchise-Nehmer in Deutschland wegen Hygienemängeln und Verstößen gegen das Arbeitsrecht gekündigt.
Zehn Jahre nachdem sich der Dokumentarfilmer Morgan Spurlock in Super Size Me mit einem Fast-food-only-Selbstversuch fast zu Tode gefressen hätte, wird nun auch in Deutschland das schnelle Essen auf die Hand neu erfunden. Nicht als Franchise-Kette, sondern als Burgerladen um die Ecke. Der Trend geht darauf ein, dass sich Essgewohnheiten individualisieren, Menschen aber trotzdem eine einfache, preiswerte Mahlzeit wollen. Und so entstehen eine Unzahl von Schnellrestaurants, sei es um den Hamburger zu zelebrieren, Fish & Chips oder vegane Rohkost-Smoothies. Der moralische Anspruch wird kaum kommuniziert, ist in den Küchen im Vergleich zu den Fast-Food-Marktführern aber hoch. In immer mehr Großstädten versammelt sich die Street-Food-Bewegung auf Plätzen und in alten Industriehallen. Hier wird Fast Food dann sehr gesellig und auf einmal sehr slow.
Der Mensch ist, was er isst. Heute heißt es eher: Der Mensch ist, was er nicht isst. Feuerbach ist gründlich missverstanden worden. Er hat seinen Satz als Widerspruch zu dem „Ich denke, also bin ich“ von René Descartes formuliert. Er wehrte sich gegen die rationale Vorstellung, wonach sich menschliche Wirklichkeit allein im Geiste abspiele. Ohne Essen, ohne Genuss keine Existenz. Es war schlicht ein Plädoyer für den Bauch.
Und damit etwas, das heute nötiger denn je ist. Mehr Bauch, weniger Kopf, mehr Sinnlichkeit, weniger Askese. Essen macht Spaß, ist keine Sünde, genauso wenig wie bloße Ernährung. Auch wenn das für jeden einigermaßen vernunftbegabten Menschen wie eine Selbstverständlichkeit klingt: Es muss mal gesagt sein. Kostet eine Karotte, lobt eine Karotte! Gebt dem Geschmack wieder eine Rolle in den Ernährungsdebatten. Das ist ein Aufruf an die Abstinenzler genauso wie an die Asketen, und nicht nur an die aus der veganen Ecke. Weil sie mehrheitlich ignorieren, dass sie ihr Programm positiv besetzen müssen. Und deshalb nur an Menschen herankommen, die noch interessiert sind an dem, was sie in sich hineinfuttern. Am Geschmack kommt man aber nie vorbei.
Hoffnung gibt, mit welchem Erfolg eine neue Bewegung genau über diesen Weg zurzeit Freunde findet. Überall in der Republik entstehen gerade Street-Food-Märkte. Burger und Crêpes, Pizza und Burritos, das Essen auf die Hand aus der ganzen Welt ist hier vereint. Regional, bio, vegetarisch oder vegan, das ist das meiste hier, auch wenn es nicht groß an der Tafel steht. Es sind kleine Hersteller mit Leidenschaft. Hierher kommt niemand, um schnell eine Currywurst in sich hineinzudrücken. Es ist ein Happening. Man kommt zusammen, um zu essen und zu reden, absolut niedrigschwellig. Für diesen Genuss muss man nichts wissen, nicht mal, wie man ein Messer hält. Es ist die reine Lust, das Prinzip: Esst doch, was ihr wollt. Hier bekommt man wieder ein Gefühl dafür, dass Essen und Zusammenkunft grundlegende Elemente des menschlichen Lebens sind. Und zwar nicht nur an Feiertagen. In diesem Sinne: schöne Ostern!
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