Fast genau vor einem Jahr hat Bundeskanzler Gerhard Schröder den Begriff ins Spiel gebracht. Ausstieg ja, aber ohne Entschädigung. Heute erinnert sich niemand mehr daran, dass damit vor allem die Verträge mit England und Frankreich gemeint waren, Notenwechsel, in dem sich die Bundesregierung Anfang der neunziger Jahre verpflichtete, die Wiederaufarbeitungsanlagen in Sellafield und La Hague mit Atommüll zu beliefern, andererseits das gesamte Material nach dem nuklearen Recycling wieder zurückzunehmen. Wenn überhaupt, dann könnten nur die Briten etwas verlangen, wenn die Deutschen sich vom Atom-Strom verabschieden. Schadensersatzansprüche für den Fall, dass La Hague nicht mehr beliefert wird, sind aus den Noten, die mit Frankreich ausgetauscht wurden, nicht herauszulesen. Der diplomatische Briefwechsel mit England enthält dagegen die Verpflichtungen der Regierungen, "der Lieferung von bestrahlten Brennelementen... kein rechtliches oder verwaltungsmäßiges Hindernis entgegenzusetzen", auch "keinerlei Initiativen in Form von Gesetzen". Eine Vertragsstrafe ist jedoch nicht vereinbart worden, die Bundesrepublik müsste einen konkreten Schaden ersetzen. Aber das verlangt den Nachweis, dass nach dem deutschen Atomausstieg die Anlage in Sellafield nicht mehr voll ausgelastet ist. Viele Tonnen Brennelemente aus Deutschland, die dort schon lagern, sind noch nicht bearbeitet worden. Gleichzeitig sind die Verträge zwar mit Verlängerungsoption versehen, doch erst einmal nur bis 2006 befristet.
Noch weniger begründet ist die innerdeutsche Dimension der Entschädigungsfrage, auch wenn sie in den letzten Monaten politisch heiß gekocht wurde, Anfang des Jahres sogar eine gemeinsame Fraktionsklausur der Koalitionsparteien dafür einberufen wurde. Denn Rot-Grün ist vor allem über die eigene vermeintliche Chuzpe gestolpert.
Haben die Strombetreiber Ersatzansprüche, wenn ihnen Teile ihrer wirtschaftlichen Grundlagen entzogen, sie dadurch vielleicht sogar enteignet werden, hieß die Frage, als die Zahlenspielereien begannen und von 25, 26, 30, 30 plus x Jahren ohne Entschädigung die Rede war. Die Atomindustrie stieg bei 35 Jahren ein, in der letzten Zeit scheut sie sich aber auch nicht mehr, 40 oder 50 Jahre Gesamtlaufzeit zu fordern. Wenn die Schrödersche Koalition ein fröhliches Feilschen im Auge gehabt haben sollte, hat sie das gründlich verpatzt. Immer, wenn sie sich mühsam intern auf eine neue Zahl fest gelegt hatte, traf sie auf ein Gegenüber, der mit neuen Bedingungen aufwartete. Wie auf dem Flohmarkt, wenn man die Kommode schon im Auge hat, aber noch eine Runde dreht, um den Trödler so richtig weich zu kochen. Ist der Verkäufer professionell, erzählt der einem, wenn man zurückkommt, dass er das gute Stück schon fast verkauft habe, und verlangt den doppelten Preis.
Um Gesamtlaufzeiten geht es in der Diskussion gar nicht wirklich. Sondern um den politischen Willen, die ersten Atomkraftwerke schon in dieser Legislaturperiode vom Netz zu nehmen. Die Koalition versuchte, die Atombosse mit vermeintlich langen Laufzeiten zu ködern. 30 Jahre klang zwar nach einem großen Geschenk, aber auch die andere Verhandlungsseite wusste, dass sich dahinter kurze Ausstiegsfristen verbargen. Das AKW Obrigheim ist schon 31 Jahre am Netz ist, Stade 27 und Biblis A 25 Jahre. Doch die 30 als Untergrenze stand fortan felsenfest.
Der Terminus, um den sich die juristische Diskussion dreht, wenn es um Entschädigung geht, heißt Vertrauensschutz. Hier spielen AKW-Laufzeiten nur eine Nebenrolle. Wer ein Häuschen im Grünen stehen hat, darf darauf Vertrauen haben, dass der Staat es ihm nicht einfach wegnimmt. Wenn, dann muss dafür ein Gesetz vorliegen und darin eine Entschädigungen festgelegt sein. So das Grundgesetz. Aber wie viel Vertrauensschutz darf ein Stromkonzern reklamieren, der mit hoch gefährlicher und politisch umstrittener Technologie arbeitet, deren Folgeschäden bei einem Versagen gar nicht abzuschätzen sind, dass ihm nicht doch einmal der Hahn abgedreht wird? Deswegen wirtschaften die Atombetreiber so, dass sich ihre Anlagen nach rund 20 Jahren amortisiert haben. Nach 25 Jahren, hat der Frankfurter Rechtswissenschaftler Erhard Denninger errechnet, sind AKW so altersschwach, dass ihr Betrieb mehr Kosten als Gewinn bescheren, eine wirtschaftliche Grundlage stellen sie dann also gar nicht mehr dar.
Aber, so Denninger in seinem Gutachten für das Bundesumweltministerium weiter: Vertrauensschutz müsste dennoch beinhalten, dass den Kraftwerksbetreibern eine Übergangsfrist zugestanden werde, um sich auf die neue Situation einstellen zu können. Hier spielen nicht nur juristische, sondern auch technische und ökonomische Kriterien eine Rolle. Die Abwägung muss letztendlich die Politik und der Gesetzgeber übernehmen. "Zirka ein bis drei Jahre", sagt das Gutachten. Aber auch von Fristen bis zu fünf Jahren ist die Rede, die Lobbyarbeit neben den Konsensgesprächen voll in Schwung. Dabei hat Hans-Christian Ströbele darauf hingewiesen, dass die Übergangsfrist schon längst begonnen habe. Nicht erst mit In-Kraft-Treten des Gesetzes müsse die Atomwirtschaft um den Bestand ihrer Brüter fürchten, das gelte schon seit dem Regierungswechsel im Herbst 1998.
Wenn die Atomgesetznovelle, die den Ausstieg ohne Entschädigung regelt, am Ende vor dem Bundesverfassungsgericht landet, hat das Gericht also über eine politische Abwägung zu entscheiden. In den letzten Jahren haben die Senate aber mehrmals betont, dass für solche Fragen das Parlament zuständig ist, beispielsweise, als es um internationale Kampfeinsätze ging, aber auch, als die letzte Atomrechtsänderung verfassungsrechtlich auf den Prüfstand kam.
Um konkrete Entschädigungen geht es vor dem Verfassungsgericht noch gar nicht. Sollte dann doch eine Bestimmung als verfassungswidrig erkannt werden, hätte das Nachbessern ausnahmsweise keinen Schaden, wenigstens keinen, der einen Ersatzanspruch der Atomkraftbetreiber begründen würde. Denn die Gelddruckmaschine Atomkraft liefe während der Verfassungsbeschwerde munter weiter. Die AKW-Rentner brauchen keine Pension.
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