Preisfrage: Trauen Sie sich zu, ein Blatt Rucola von einem Blatt Greiskraut zu unterscheiden? Dann müssen Sie schon Salatbauer oder langjähriger Hobbygärtner sein. Sich in der Unterscheidung zu üben ist zur Zeit ohnedies schwierig, wegen der Kontamination mit Greiskraut haben die meisten Supermärkte in den letzten Tagen die Rucola-Schalen aus dem Sortiment genommen. Greiskraut enthält leberschädigende Pyrrolizidinalkaloide (PA) in hohen Dosen, es ist eine Giftpflanze, schon 140 Gramm sollen ein Pferd umbringen können, heißt es auf Wikipedia.
In Deutschland werde, so sagt die FDP-Bundestagsabgeordnete Christel Happach-Kasan, schon seit einiger Zeit eine doppelte Debatte um Pflanzen geführt, die das Lebergift enthalten. Das gemeine Greiskraut, das jetzt im Rucola gefunden wurde, stand dabei weniger im Fokus, sondern eine andere Korbblütlerpflanze, das Jakobskreuzkraut. Vor allem die Landwirtschaftsämter beobachten seit mehreren Jahren eine Zunahme dieser Pflanze. Seit im Mai ein Neugeborenes in Baden-Württemberg an schweren Leberschäden verstarb, weil seine Mutter in der Schwangerschaft größere Mengen an Gesundheits-Tee getrunken hatte, der Pyrrolizidinalkaloide enthielt, gibt es mehr Kräuterkundler unter Politikern.
Herbizide verboten
Happach-Kasan, selbst Botanikerin, erklärt, das Jakobskreuzkraut sei in Deutschland eine relativ seltene Pflanze, seine Zunahme mache nun vor allem Weidetierhaltern zu schaffen. Vor allem bei Pferden wird ein Anstieg an Vergiftungen gezählt. In Norddeutschland, wo sich das Jakobskreuzkraut am stärksten vermehrt hat, führen Experten das auf die durch die von Brüssel verordnete größere Stilllegung oder Umwidmung von landwirtschaftlichen Flächen zurück. Dort kann sich das Jakobkreuzkraut ungehindert ausbreiten.
Das gemeine Greiskraut, das auch schon vor zwei Jahren in einer Salatmischung aufgetaucht war, sei dagegen für Landwirte ein alter Bekannter, meint Happach-Kasan. Es wachse seit jeher an Wegrändern. Experten gingen davon aus, dass es sich vermehrt habe, weil bestimmte Herbizide, die früher wirksam gegen einige Greiskrautarten eingesetzt wurden, inzwischen verboten seien. Die FDP-Politikerin fordert, dass die Bundesregierung eine Meldepflicht und die Einführung eines Grenzwertes für den PA-Gehalt von Lebensmitteln einführt. "Die Untersuchung der Packung Rucola hat eine Belastung von 2.500 Mikrogramm ergeben. Die von Medizinern empfohlene Tageshöchstdosis sollte 1 Mikrogramm nicht übersteigen."
Unübersichtliche Rucola-Familie
Dem Rucola sieht das Greiskraut tatsächlich zum Verwechseln ähnlich, bzw. dem, was in Deutschland als Rucola in den Läden zu finden ist, nämlich ausgefranste Blätter wie von einer disteligen Pflanzen. Unter Rucola firmieren die Triebe zweier Pflanzen, Eruca sativa und Diplotaxis tenuifolia, die nicht viel miteinander zu tun haben, außer das ihre Blätter ähnlich schmecken. Diplotaxis tenuifola wird auch Wilde Rauke genannt, für den Massenmarkt mit Rucola, den inzwischen sogar Discounter ganzjährig im Sortiment haben, ist Eruca sativa aber ergiebiger. In landwirtschaftlichen Gendatenbank allerdings sind international hunderte unterschiedlicher Krautarten verzeichnet, die sich auf dem Teller alle als Rauke wiederfinden. Allesamt grüne Blätter mit einem etwas scharfen Geschmack, der von nussig bis senfig reicht. In den USA kommt ein Rucola auf den Tisch, der eher nach jungem Spinat aussieht als nach Löwenzahnblättern, so wie hier bei uns.
Kein Wunder also vielleicht, dass bei so viel unterschiedlichem Grün sich auch mal ein giftiges Blatt in den Salat mischt? Und sich doch die Frage stellt: Müssen wir nach Fleisch und Fisch nun auch darauf achten, ob unser Gemüse gesund ist? Eigentlich ist das doch ein Paradox: Ungesundes Gemüse. Das Vertrauen der Verbraucher in das, was in den Obst- und Gemüseauslagen liegt ist, riesengroß geworden – gerade weil das, was in den Kühltheken der Supermärkte liegt, doch unterbewusst suspekt ist. Und die Märkte haben diese "Risikozonen" inzwischen auch räumlich so weit wie möglich von Obst und Gemüse getrennt. Das liegt meist gleich vorne am Eingang, damit König Kunde sein grünes Gewissen mit einer Gurke oder dem Salat befriedigen kann, um danach herzhaft und ohne Skrupel einkaufen zu können. Fast wie in einem Videoladen, wo am Eingang die Familienfilme liegen und am hinteren Ende versteckt die Pornoabteilung.
Auch die Meldungen der vergangenen Jahre, wenn in Obst und Gemüse zu hohe Pestizid-Rückstände gefunden worden waren, haben nie große Wellen untern Verbrauchern geschlagen. Im Gegenteil: Jüngst bekamen wir sogar wieder erzählt, dass Bio-Gemüse auch nicht nährstoffreicher sei oder mehr Vitamine enthalte als konventionell angebautes. Zu viel Bio? Gerade am Greiskraut-Fund wird mal wieder das Für und Wider von Gifteinsatz in der Landwirtschaft offenbar. Trotz dieser zwei Seiten birgt es aber eine Erkenntnis: Dass auch die Obst-und Gemüseauslagen gesunde Skrupel verdienen.
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