Die Begegnung mit dem revolutionären Subjekt fällt enttäuschend aus. Nicht einmal "einen herzlichen persönlichen Kontakt zu den Kollegen" herzustellen, will dem vormaligen APO-Aktivisten gelingen. "Sie haben keine Ahnung, worum es uns geht, wollen es auch nicht wissen. Sie haben von nichts mehr eine Idee. Außer von der Kohle", erzählt er einer ehemaligen Kampfgenossin, die ihn in seinem selbsterwählten Exil aufsucht. Vom so genannten "bewaffneten Widerstand" halten sie erst recht nichts: "... sie wollen die RAF an die Wand stellen, wenn sie etwas zu sagen hätten. Kurzer Prozess!"
Auch wenn Fritz Teufel, damals Anfang 30 und im Ruhrgebiet untergetaucht, wahrscheinlich noch nie ganz von der Bereitschaft westdeutscher Arbeiter, gegen die kapitalistischen Verhältnisse aufzubegehren, überzeugt war, ist die triste proletarische Realität der Kunststofffabrik in Essen-Frintrop für ihn ein Schock. "Außerhalb des linken Ghettos und beim Versuch, mich von meiner eigenen Geschichte abzunabeln, bei dem Versuch in der Illegalität aus eigener Kraft ein neues Leben und neue Kämpfe anzufangen, die ihrerseits in die revolutionäre Bewegung der Zeit wieder einmünden sollten, bin ich gescheitert."
Das hatte sich wenige Jahre zuvor, im August 1970, noch anders angehört. In einem Brief aus dem Gefängnis Stadelheim, wo er wegen der mutmaßlichen Beteiligung an Sprengstoffanschlägen in Untersuchungshaft sitzt, wendet sich Teufel gegen die plumpe Klassenkampf-Rhetorik selbsternannter Avantgardeparteien maoistischen Zuschnitts: "Eine tiefgreifende Politisierung wird auf Organisationsformen zurückgreifen müssen, die man nicht so leicht abschreiben sollte: Kommunen und Kollektive von Lehrlingen und Jungarbeitern: Agitationszeitungen, die ihre Praxis unterstützen, statt sie zu diskriminieren; Analysen von Klassenkämpfen statt Katechismusformeln; Verbreitung von Kampfformen und -modellen."
Sex, Pop, Politik
Veröffentlicht wird die im Rückblick arg wirklichkeitsfremd wirkende Epistel übrigens in der Zeitschrift twen, die kaum als Agitationsblatt für Arbeiterjugendliche taugt. Allerdings lässt sich am Cover des schicken Magazins für die designorientierte reifere Jugend durchaus ablesen, wie stark die kulturelle Revolution der späten sechziger Jahre noch den Zeitgeist prägt. Neben dem Hinweis auf Fritz Teufels "Briefe aus dem Gefängnis" findet sich das Versprechen "Jetzt noch mehr Orgasmen" und die Ankündigung einer Reportage über das "Leben in der Großfamilie". Aber die Mischung von Sex, Pop und Politik vermag die Werbekunden der Zeitschrift nicht zu überzeugen, im Mai 1971 erscheint twen vorerst zum letzten Mal. Problematisch scheint die Verbindung von hedonistischer Jugendkultur und linkem Veränderungswillen allerdings schon länger.
Während sich Fritz Teufel Anfang 1970 als ernsthafter Revolutionär versucht - "Der Clown ist tot, jetzt muss es krachen", zitiert ihn sein Biograph Marco Carini in der entsprechenden Kapitelüberschrift -, schickt sich sein einstiger Freund und Mitkommunarde Rainer Langhans an, in München einen Popkonzern zu gründen. "Die Idee war folgende", erinnert sich der mittlerweile auf die 70 zugehende Esoteriker: "Wir müssen mit den Medien arbeiten. Das können wir nur, wenn wir die schöneren Bilder entwerfen und herstellen, also auch multiplizieren und weitergeben. Dafür brauchen wir Videokameras und Produktionsräume. Dann werden wir dieses schönere Leben, das wir leben, per Bild in die Häuser bringen. Per Krieg wirst du ihnen nichts verkaufen können, du musst es mit den Medien tun, mit den modernen Medien. Es ist sowieso besser, statt eine Bank zu berauben, selber eine zu gründen." Besser könnten das heute die Produzenten einschlägiger Formate im privaten Fernsehen auch nicht formulieren. Fritz Teufel und seine neuen Freunde sehen das natürlich ganz anders. Für den "Ausverkauf der Revolution" nehmen sie Langhans bei einem "Besuch" in dessen Schwabinger Kommune mit vorgehaltener Waffe eine Art "Bußgeld" von 2000 Mark "für ihre Lehrlingsarbeit im Untergrund" ab.
All das ist lange her und nicht immer leicht zu verstehen. Dass in diesem Frühjahr die Autobiographie des Rainer Langhans (samt einem Bilderbuch der Kommune 1) erschien und die Biografie Fritz Teufels in einer erweiterten Ausgabe erneut auf den Markt gebracht wurde, verdankt sich einem fragwürdigen Jubiläum. Andere Publikationen, die denselben Anlass nutzen und um die Aufmerksamkeit des Lesepublikums konkurrieren, bieten die ganze Bandbreite von wohliger Nostalgie bis hin zur manchmal larmoyant anmutenden Selbstkritik. Der taz-Redakteur Marco Carini hat sein Buch über Fritz Teufel mit spürbarer Sympathie geschrieben. An seiner Biographie mitarbeiten mochte der heute vollkommen zurückgezogen lebende ehemalige "Spaßguerillero" allerdings nicht, so dass weitgehend das aus den Medien vertraute Bild Teufels im Kontext einer Geschichte der Studentenbewegung der sechziger Jahre und ihrer Ausläufer reproduziert wird.
Auch Rainer Langhans erzählt nicht sehr viel Neues, gewährt aber zumindest einen Einblick in Tagebücher, die er als 18- bis 23-Jähriger geführt hat und in denen es, wie sollte es anders sein, vor allem um Mädchen geht. "Wie gerne würde ich mit ihr schlafen, bei ihr sein, nahe, ohne Angst, ganz haben, nachts Dunkelheit, geborgen in ihr - mein ganzes Sein staunt über die feinen Möglichkeiten, die unausdenkbaren, nur erlebbaren Wege der Zärtlichkeit, des Liebesspiels, Miteinandergehens in sich steigernder Dichte", reflektiert Langhans im Mai 1964 Erfahrungen mit seiner Freundin, und man kann sich ausmalen, welche Wirkung die rabiate Gruppenanalyse in den frühen Tagen der Kommune 1 auf den sensiblen Knaben gehabt haben dürfte. Allein, die Ernsthaftigkeit im Umgang mit Sexualität bleibt. Dass Fritz Teufel später seinen Ruhm als Star der Revolte nutzt, um ein "regelrechtes Groupiewesen" aufzuziehen, stößt ihn ab.
Dabei waren die Umwälzungen der sechziger Jahre offenbar für nicht wenige junge Männer eine willkommene Chance, gegen die Normen der "bürgerlichen Gesellschaft" endlich die freie Entfaltung ihrer Sexualität als individuelles Recht einzufordern. "Wir befanden uns klar auf der richtigen Schiene mit unserer Vorstellung, Gammler zu werden, dem spießigen Lebensentwurf, den die Eltern für sich und ihre Kinder gebastelt hatten, den Arsch zu zeigen", lässt uns der Held des, wahrscheinlich autobiographischen, Romandebüts des 1947 geborenen Georg Meier wissen.
Drogen, Musik, Sex
Wie der Autor ist er folgerichtig ab Mitte der sechziger Jahre in Europa und Asien "on the road". Ein Vertreter der internationalen Hippiegemeinde, beflügelt von Drogen, Musik und Sex. So einer hat viel zu erzählen, sollte man meinen, doch letztendlich läuft es immer auf dieselbe Geschichte hinaus, spiele sie in Berlin, Amsterdam oder Istanbul. Im bedröhnten Zustand verwischen halt die Unterschiede. Obwohl Meiers gekonnt schnoddriger Tonfall durchaus reizvoll ist, fällt es deshalb schwer, das Interesse über die ganze Strecke von fast 500 Seiten wach zu halten, zumal es der Autor nötig fand, seine Erzählung durch eine alptraumhafte Rahmenhandlung mit Bedeutung aufzuladen. Dabei verdient das Buch an sich schon wegen seines schönen Titels, Alle waren in Woodstock - außer mir und den Beatles, ein Lob, auch wenn die hier frech behauptete Individualität von seinem Helden nur begrenzt zum Ausdruck gebracht werden kann.
"Er redet nur noch selten über die Vergangenheit und meidet inzwischen die Öffentlichkeit", heißt es gegen Ende von Carinis Biografie über Fritz Teufel. Auch wenn diese Haltung wahrscheinlich tiefster Resignation entspringt, will sie uns nach der Bewältigung dieses kleinen Bücherberges fast vorbildlich erscheinen.
Marco CariniFritz Teufel. Wenn´s der Wahrheitsfindung dient. Eine Biografie. Überarbeitete und erweiterte Neuauflage. Konkret Literatur Verlag. Hamburg 2008, 256 S., 17 EUR
Rainer LanghansIch bin´s. Die ersten 68 Jahre. Autobiographie. Blumenbar, München 2008, 256 S., 19,90 EUR
Rainer Langhans Christa RitterK 1. Das Bilderbuch der Kommune. Blumenbar, München 2008. 192 S., 24,90 EUR
Georg MeierAlle waren in Woodstock - außer mir und den Beatles. Roman. Dittrich, Berlin 2008, 486 S., 22,80 EUR
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